Ludwig Leo (1924–2012)
Text: Harbusch, Gregor, Zürich
Ludwig Leo (1924–2012)
Text: Harbusch, Gregor, Zürich
Am 1. November ist Ludwig Leo im Alter von 88 Jahren in Berlin gestorben. In den Architekturkreisen des alten Westberlin war er legendär, international seit langem ein Geheimtipp. Er arbeitete zurückgezogen und verblüffte mit jedem Entwurf aufs Neue. Gebaut hat er nur wenig.
Leo war einer der eigenwilligsten deutschen Architekten nach 1945. Er gehörte zu jener Generation junger Architekten, die direkt nach dem Krieg zu studieren begann und sich von der unbeschwerten Rasterfassaden- und Nierentischästhetik der unmittelbaren Nachkriegszeit distanzierte, um sich genuinen Fragen der Architektur und der sozialen Verantwortung des Architekten zuzuwenden.
Leos Biografie ist unauflösbar mit dem Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs und dem Neuaufbau Deutschlands verknüpft, beides hat ihn als Architekt geprägt. Am 9. September 1924 wurde er in Rostock geboren. Sein Vater, der Arzt gewesen war, starb, als Leo drei Jahre alt war. Mutter und Sohn mussten mehrmals den Wohnort wechseln, bis die Mutter 1934 Arbeit in Magdeburg fand. 1942 legte er in Frankfurt am Main das Notabitur ab und wurde sofort eingezogen. Die Mut-ter sah er nie wieder, sie überlebte den Krieg nicht. Leo wurde kurz vor Ende des Krieges an der Ostfront so schwer verwundet, dass ihm ein Bein amputiert werden musste. Nach der Kriegsgefangenschaft studierte er Hochbauingenieurwesen an der Staatsbauschule in Hamburg. 1951 ging er nach Berlin, um sich an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) für das Architekturstudium einzuschreiben, das er 1954 beendete. Leo lebte im Studentendorf Eichkamp, das direkt nach dem Krieg von Architekturstudenten der HBK als Selbstbauinitiative entstanden war. Dort lernte er auch seine spätere Frau Sheila kennen. Ab Mitte der 50er Jahre trat er mit eigenen Entwürfen in Erscheinung. Die 60er und frühen 70er Jahre waren Leos produktivste Zeit. Mit Antritt seiner Professur an der HBK 1975 verzichtete er darauf, als selbständiger Architekt zu arbeiten. Aus gesundheitlichen Gründen musste er die Professur 1982 wieder aufgeben. Danach nahm er nur noch vereinzelt an Wettbewerben teil, zuletzt 1993 am Wettbewerb für den Neubau der Berliner Akademie der Künste.
Der leidenschaftliche Nonkonformist
Zeitlebens entwickelte Leo keine formale Handschrift, sondern entwarf konzeptionell. Sein Anspruch war es, für jede architektonische Aufgabe eine funktional präzise austarierte und formal eigenständige Lösung zu finden. Immer zielte er auf Realisierungen, plante seine Bauten bis in das letzte Detail und bestand darauf, die komplette Ausführung selbst zu verantworten. Obwohl Leos Formensprache von vielen als radikal und utopisch gelesen wird, hat er sich für die seinerzeit so beliebten Architektur-Utopien nie interessiert und auch keine einzige gezeichnet. Im alten Westberlin rankten sich zahlreiche Mythen um seine Person, und gerne apostrophierte man ihn als „schwierig“. Dass es dabei im Grunde nicht um einen bloßen Charakterzug ging, sondern um einen leidenschaftlichen Nonkonformismus in der Auseinandersetzung mit planerischen Herausforderungen, brachte ein Weggefährte Leos auf den Punkt, als er einen klagenden Bauherren aufklärte: „Die Schwierigkeiten liegen in der Sache, und Herr Leo gibt ihnen nur Ausdruck.“
Beginnt man in Berlin eine Konversation über die Arbeit Ludwig Leos, genügen wenige Worte, um sein bekanntestes Gebäude vor dem inneren Auge erstehen zu lassen: „Rosa Rohr, blaue Box.“ Mit dem Umlauftank 2 der ehemaligen Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau (VWS) hat Leo das vielleicht ungewöhnlichste Wahrzeichen der Stadt geschaffen – eine Ikone Westberlins am Rand des Tiergartens. Der Bau ist ein Labor für Kavitationsversuche an Schiffsmodellen in einem steten Wasserstrom. In der rosafarbenen Ringrohrleitung befinden sich 3500 Kubikmeter Wasser, die durch einen Propeller beschleunigt werden können. Die blaue Box oberhalb des Rohrs beherbergt eine große helle Laborhalle mit Zugang zur eigentlichen Messstrecke. Hier werden die Schiffsmodelle fixiert, so dass ihr Verhalten im Wasserstrom untersucht werden kann. Finanziert durch das Konjunkturförderungsprogramm des Bundes, bekam die VWS die damals weltweit größte Anlage ihrer Art, entworfen von dem Ingenieur Christian Boës. Leo wurde im Herbst 1967 ins Spiel gebracht, um die künstlerische Oberleitung des Gesamtprojekts zu übernehmen – „soweit es künstlerisch gestaltet werden kann“, wie der damalige Leiter der VWS das Hinzuziehen eines Architekten spitz kommentierte.
Das Ergebnis ist ein Lehrstück, was architektonisches Entwerfen leisten kann. Im beschränkten Möglichkeitsraum der künstlerischen Leitung und mit wenigen, dabei umso präziseren Gestaltungsentscheidungen schuf Leo ein Bauwerk, das zugleich als funktionalistisch und konstruktivistisch, aber auch als postmodernes Landmark und „architecture parlante“ beschrieben wurde. Liest man die Assoziationen und Interpretationen zum Umlauftank, weiß man, was postmoderne Mehrfachcodierung ist. Leo scheint damals gerade aufgrund seiner Affinität für alles Technische erkannt zu haben, dass eine Hightech-Maschine eben nicht nur wie eine solche aussehen soll – sondern nach mehr. Er begriff die Aufgabe als ein ästhetisches Problem der Architektur, gliederte Elemente, spielte mit den Maßstäben, verteilte Fensteröffnungen und setzte schließlich die Farbe als überraschendes Mittel ein, um der monumentalen Maschine ihre Ernsthaftigkeit zu nehmen und ihr einen surrealen und ironischen Touch zu geben. Heute wirkt der Umlauftank von außen etwas ramponiert, tatsächlich ist er fast vollständig im Ursprungszustand erhalten. Die Wüstenrot Stiftung hat den Wert des Gebäudes erkannt und 2012 die Büros HG Merz und adb, Ewerien und Obermann beauftragt, eine Machbarkeitsstudie zur denkmalgerechten Sanierung des Gebäudes zu erstellen. Auf Basis dieser Studie wurde erst vor wenigen Wochen entschieden, das Gebäude umfassend zu sanieren. Ziel ist die Reaktivierung der immer noch brauchbaren Anlage und deren Nutzung durch vier Institute der Technischen Universität. Darüber hinaus sollen Veranstaltungen der interdisziplinären „Hybrid Plattform“ von TU und der Universität der Künste dort stattfinden.
Neben dem Umlauftank kennt man Leo vor allem als Architekten der Zentrale der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) in Berlin-Spandau – ein Hybrid aus Maschine und Architektur, dessen Form sich aus einem 45 Grad schrägen Lift für Boote herleitet, die in dem Gebäude im Winter eingelagert werden. Nicht weniger beeindruckend sind die Innenräume: ein Vortragssaal mit mechanisch veränderbaren Tribünen, eine enge „Kombüse“ mit verschiebbaren Elementen und kompakte „Kajüten“, die sich direkt zu einer offenen Mannschaftsdusche öffnen. Immer ging es Leo um Gemeinschaften, um den arbeitenden und lernenden Menschen, um Kommunikation und Austausch. Nirgends konnte er dies konsequenter realisieren als in der DLRG-Zentrale.
Entwurf für die „entschulte Schule“
Ludwig Leo hat ein schmales gebautes Werk hinterlassen, drei seiner Bauten stehen bereits unter Denkmalschutz: der Umlauftank, die DLRG-Zentrale und die Sporthalle in der Sömmeringstraße in Berlin-Charlottenburg (1960–65). Eines seiner wichtigsten, unrealisiert gebliebenen Projekte ist die Laborschule Bielefeld von 1971, die er mit Justus Burtin, Rudi Höll und Thomas Krebs entwickelte. Die Laborschule war ein ambitioniertes Schulprojekt des damals äußerst einflussreichen Reformpädagogen Hartmut von Hentig. Leos Team nahm im Januar 1971 erfolgreich an einem Workshop teil und wurde beauftragt, in Kooperation mit dem Berliner Planungskollektiv Nr. 1 einen Vorentwurf zu zeichnen. In kritischer Auseinandersetzung mit dem neu aufgekommenen Typus der Großraumschulen schlug Leo einen natürlich belichteten und belüfteten Großraum vor, den er halbgeschossig gliederte. Drei große sogenannte „Felder“, auf denen bis zu sechs Schülergruppen parallel unterrichtet werden können, werden von zweigeschossigen, schmalen Streifen gefasst, die Leo als „Wiche“ bezeichnete und die der Erschließung und dem ruhigen Arbeiten dienen. Gerahmt wird dieser Kernbereich durch geschlossene Fachräume, eine Turnhalle, eine Bibliothek sowie eine multifunktionale und offen bespielbare Gemeinschaftszone. Was vielversprechend begann, wurde bald immer mühsamer und nach einigen Monaten stieg Leo aus dem Projekt aus.
Die Bauwelt nahm Leos Entwurf schließlich im Januar 1973 zum Anlass, ein Heft zum Thema Schulplanung zu machen (Bauwelt 2/73). Der Artikel über die Laborschule ist die substantiellste zeitgenössische Publikation, die je zu Leo erschienen ist, und sie entsprach seiner Vorstellung, wie Architektur zu publizieren sei. Die Zeichnungen machen deutlich, wie er sich in die „entschulte Schule“ hineindachte und für diese eine angemessene architektonische Hülle schuf. Er zeichnete lange Streifen, in denen er die Möglichkeiten seines Entwurfs „erzählte“ und zeigte, wie sich die Nutzer die Architektur aneignen. Ergänzend schuf er einen komplex überlagerten Systemschnitt, in dem er die herausfordernden technischen Lösungen seines Vorschlags in aller Präzision offenlegte. In diesem doppelten Fokus auf den Menschen als handelndes Wesen im Raum einerseits und die technische Umsetzung der Architektur anderseits verweisen die Zeichnungen auf das Spannungsfeld, in dem Leos architektonische Arbeit angesiedelt war. Sein Interesse galt dem Mensch, zugleich hat ihn das Technische in allen Spielarten immer fasziniert. Da Letzteres seinen Bauten leichter abzulesen ist, hat es auch zu einer falschen Einschätzung von Leos Arbeit geführt. Doch so sehr er auf die Potenziale der mechanischen Beweglichkeit von Architektur setzte, so wenig wurde diese je zum Selbstzweck.
Leos Bauten werden seit einigen Jahren neu entdeckt und als faszinierend fremde Maschinenarchitekturen einer erstaunlich weit zurückliegenden Zeit bewundert. In ihrer Eigenwilligkeit versperren sie aber auch den Blick auf den umfassenden konzeptionellen Kern von Leos Architekturauffassung, auf sein Suchen nach Alternativen zum planerisch Offensichtlichen und auf seinen bedingungslosen Anspruch an die eigene Arbeit, die er als Dienstleistung an der Gesellschaft verstand und aus der eigenen Biografie begründete. Leo glaubte an das ästhetische, vor allem aber an das ethische Potenzial der Moderne, auch, als diese zunehmend in die Krise geriet – und es gelang ihm, am Projekt der Moderne produktiv weiterzuarbeiten.
Leos Biografie ist unauflösbar mit dem Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs und dem Neuaufbau Deutschlands verknüpft, beides hat ihn als Architekt geprägt. Am 9. September 1924 wurde er in Rostock geboren. Sein Vater, der Arzt gewesen war, starb, als Leo drei Jahre alt war. Mutter und Sohn mussten mehrmals den Wohnort wechseln, bis die Mutter 1934 Arbeit in Magdeburg fand. 1942 legte er in Frankfurt am Main das Notabitur ab und wurde sofort eingezogen. Die Mut-ter sah er nie wieder, sie überlebte den Krieg nicht. Leo wurde kurz vor Ende des Krieges an der Ostfront so schwer verwundet, dass ihm ein Bein amputiert werden musste. Nach der Kriegsgefangenschaft studierte er Hochbauingenieurwesen an der Staatsbauschule in Hamburg. 1951 ging er nach Berlin, um sich an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) für das Architekturstudium einzuschreiben, das er 1954 beendete. Leo lebte im Studentendorf Eichkamp, das direkt nach dem Krieg von Architekturstudenten der HBK als Selbstbauinitiative entstanden war. Dort lernte er auch seine spätere Frau Sheila kennen. Ab Mitte der 50er Jahre trat er mit eigenen Entwürfen in Erscheinung. Die 60er und frühen 70er Jahre waren Leos produktivste Zeit. Mit Antritt seiner Professur an der HBK 1975 verzichtete er darauf, als selbständiger Architekt zu arbeiten. Aus gesundheitlichen Gründen musste er die Professur 1982 wieder aufgeben. Danach nahm er nur noch vereinzelt an Wettbewerben teil, zuletzt 1993 am Wettbewerb für den Neubau der Berliner Akademie der Künste.
Der leidenschaftliche Nonkonformist
Zeitlebens entwickelte Leo keine formale Handschrift, sondern entwarf konzeptionell. Sein Anspruch war es, für jede architektonische Aufgabe eine funktional präzise austarierte und formal eigenständige Lösung zu finden. Immer zielte er auf Realisierungen, plante seine Bauten bis in das letzte Detail und bestand darauf, die komplette Ausführung selbst zu verantworten. Obwohl Leos Formensprache von vielen als radikal und utopisch gelesen wird, hat er sich für die seinerzeit so beliebten Architektur-Utopien nie interessiert und auch keine einzige gezeichnet. Im alten Westberlin rankten sich zahlreiche Mythen um seine Person, und gerne apostrophierte man ihn als „schwierig“. Dass es dabei im Grunde nicht um einen bloßen Charakterzug ging, sondern um einen leidenschaftlichen Nonkonformismus in der Auseinandersetzung mit planerischen Herausforderungen, brachte ein Weggefährte Leos auf den Punkt, als er einen klagenden Bauherren aufklärte: „Die Schwierigkeiten liegen in der Sache, und Herr Leo gibt ihnen nur Ausdruck.“
Beginnt man in Berlin eine Konversation über die Arbeit Ludwig Leos, genügen wenige Worte, um sein bekanntestes Gebäude vor dem inneren Auge erstehen zu lassen: „Rosa Rohr, blaue Box.“ Mit dem Umlauftank 2 der ehemaligen Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau (VWS) hat Leo das vielleicht ungewöhnlichste Wahrzeichen der Stadt geschaffen – eine Ikone Westberlins am Rand des Tiergartens. Der Bau ist ein Labor für Kavitationsversuche an Schiffsmodellen in einem steten Wasserstrom. In der rosafarbenen Ringrohrleitung befinden sich 3500 Kubikmeter Wasser, die durch einen Propeller beschleunigt werden können. Die blaue Box oberhalb des Rohrs beherbergt eine große helle Laborhalle mit Zugang zur eigentlichen Messstrecke. Hier werden die Schiffsmodelle fixiert, so dass ihr Verhalten im Wasserstrom untersucht werden kann. Finanziert durch das Konjunkturförderungsprogramm des Bundes, bekam die VWS die damals weltweit größte Anlage ihrer Art, entworfen von dem Ingenieur Christian Boës. Leo wurde im Herbst 1967 ins Spiel gebracht, um die künstlerische Oberleitung des Gesamtprojekts zu übernehmen – „soweit es künstlerisch gestaltet werden kann“, wie der damalige Leiter der VWS das Hinzuziehen eines Architekten spitz kommentierte.
Das Ergebnis ist ein Lehrstück, was architektonisches Entwerfen leisten kann. Im beschränkten Möglichkeitsraum der künstlerischen Leitung und mit wenigen, dabei umso präziseren Gestaltungsentscheidungen schuf Leo ein Bauwerk, das zugleich als funktionalistisch und konstruktivistisch, aber auch als postmodernes Landmark und „architecture parlante“ beschrieben wurde. Liest man die Assoziationen und Interpretationen zum Umlauftank, weiß man, was postmoderne Mehrfachcodierung ist. Leo scheint damals gerade aufgrund seiner Affinität für alles Technische erkannt zu haben, dass eine Hightech-Maschine eben nicht nur wie eine solche aussehen soll – sondern nach mehr. Er begriff die Aufgabe als ein ästhetisches Problem der Architektur, gliederte Elemente, spielte mit den Maßstäben, verteilte Fensteröffnungen und setzte schließlich die Farbe als überraschendes Mittel ein, um der monumentalen Maschine ihre Ernsthaftigkeit zu nehmen und ihr einen surrealen und ironischen Touch zu geben. Heute wirkt der Umlauftank von außen etwas ramponiert, tatsächlich ist er fast vollständig im Ursprungszustand erhalten. Die Wüstenrot Stiftung hat den Wert des Gebäudes erkannt und 2012 die Büros HG Merz und adb, Ewerien und Obermann beauftragt, eine Machbarkeitsstudie zur denkmalgerechten Sanierung des Gebäudes zu erstellen. Auf Basis dieser Studie wurde erst vor wenigen Wochen entschieden, das Gebäude umfassend zu sanieren. Ziel ist die Reaktivierung der immer noch brauchbaren Anlage und deren Nutzung durch vier Institute der Technischen Universität. Darüber hinaus sollen Veranstaltungen der interdisziplinären „Hybrid Plattform“ von TU und der Universität der Künste dort stattfinden.
Neben dem Umlauftank kennt man Leo vor allem als Architekten der Zentrale der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) in Berlin-Spandau – ein Hybrid aus Maschine und Architektur, dessen Form sich aus einem 45 Grad schrägen Lift für Boote herleitet, die in dem Gebäude im Winter eingelagert werden. Nicht weniger beeindruckend sind die Innenräume: ein Vortragssaal mit mechanisch veränderbaren Tribünen, eine enge „Kombüse“ mit verschiebbaren Elementen und kompakte „Kajüten“, die sich direkt zu einer offenen Mannschaftsdusche öffnen. Immer ging es Leo um Gemeinschaften, um den arbeitenden und lernenden Menschen, um Kommunikation und Austausch. Nirgends konnte er dies konsequenter realisieren als in der DLRG-Zentrale.
Entwurf für die „entschulte Schule“
Ludwig Leo hat ein schmales gebautes Werk hinterlassen, drei seiner Bauten stehen bereits unter Denkmalschutz: der Umlauftank, die DLRG-Zentrale und die Sporthalle in der Sömmeringstraße in Berlin-Charlottenburg (1960–65). Eines seiner wichtigsten, unrealisiert gebliebenen Projekte ist die Laborschule Bielefeld von 1971, die er mit Justus Burtin, Rudi Höll und Thomas Krebs entwickelte. Die Laborschule war ein ambitioniertes Schulprojekt des damals äußerst einflussreichen Reformpädagogen Hartmut von Hentig. Leos Team nahm im Januar 1971 erfolgreich an einem Workshop teil und wurde beauftragt, in Kooperation mit dem Berliner Planungskollektiv Nr. 1 einen Vorentwurf zu zeichnen. In kritischer Auseinandersetzung mit dem neu aufgekommenen Typus der Großraumschulen schlug Leo einen natürlich belichteten und belüfteten Großraum vor, den er halbgeschossig gliederte. Drei große sogenannte „Felder“, auf denen bis zu sechs Schülergruppen parallel unterrichtet werden können, werden von zweigeschossigen, schmalen Streifen gefasst, die Leo als „Wiche“ bezeichnete und die der Erschließung und dem ruhigen Arbeiten dienen. Gerahmt wird dieser Kernbereich durch geschlossene Fachräume, eine Turnhalle, eine Bibliothek sowie eine multifunktionale und offen bespielbare Gemeinschaftszone. Was vielversprechend begann, wurde bald immer mühsamer und nach einigen Monaten stieg Leo aus dem Projekt aus.
Die Bauwelt nahm Leos Entwurf schließlich im Januar 1973 zum Anlass, ein Heft zum Thema Schulplanung zu machen (Bauwelt 2/73). Der Artikel über die Laborschule ist die substantiellste zeitgenössische Publikation, die je zu Leo erschienen ist, und sie entsprach seiner Vorstellung, wie Architektur zu publizieren sei. Die Zeichnungen machen deutlich, wie er sich in die „entschulte Schule“ hineindachte und für diese eine angemessene architektonische Hülle schuf. Er zeichnete lange Streifen, in denen er die Möglichkeiten seines Entwurfs „erzählte“ und zeigte, wie sich die Nutzer die Architektur aneignen. Ergänzend schuf er einen komplex überlagerten Systemschnitt, in dem er die herausfordernden technischen Lösungen seines Vorschlags in aller Präzision offenlegte. In diesem doppelten Fokus auf den Menschen als handelndes Wesen im Raum einerseits und die technische Umsetzung der Architektur anderseits verweisen die Zeichnungen auf das Spannungsfeld, in dem Leos architektonische Arbeit angesiedelt war. Sein Interesse galt dem Mensch, zugleich hat ihn das Technische in allen Spielarten immer fasziniert. Da Letzteres seinen Bauten leichter abzulesen ist, hat es auch zu einer falschen Einschätzung von Leos Arbeit geführt. Doch so sehr er auf die Potenziale der mechanischen Beweglichkeit von Architektur setzte, so wenig wurde diese je zum Selbstzweck.
Leos Bauten werden seit einigen Jahren neu entdeckt und als faszinierend fremde Maschinenarchitekturen einer erstaunlich weit zurückliegenden Zeit bewundert. In ihrer Eigenwilligkeit versperren sie aber auch den Blick auf den umfassenden konzeptionellen Kern von Leos Architekturauffassung, auf sein Suchen nach Alternativen zum planerisch Offensichtlichen und auf seinen bedingungslosen Anspruch an die eigene Arbeit, die er als Dienstleistung an der Gesellschaft verstand und aus der eigenen Biografie begründete. Leo glaubte an das ästhetische, vor allem aber an das ethische Potenzial der Moderne, auch, als diese zunehmend in die Krise geriet – und es gelang ihm, am Projekt der Moderne produktiv weiterzuarbeiten.
0 Kommentare