Mögliche Vorstellung eines anderen Berlin
Ein Buch und eine Ausstellung denken Gegensätzliches zusammen
Text: Kuhlmann, Elmar, Berlin
Mögliche Vorstellung eines anderen Berlin
Ein Buch und eine Ausstellung denken Gegensätzliches zusammen
Text: Kuhlmann, Elmar, Berlin
Zum zweiten Mal kooperierte im Herbst 2015 die Berlinische Galerie mit der Deutschen Bank KunstHalle, dem KW Institute for Contemporary Art und der Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin. Das vom Senat angestoßene Förderprojekt startete die Berliner Art Week mit vier zeitgleichen Eröffnungen unter dem gemeinsamen Titel STADT/BILD – Image of a City. Man wolle sich „dem Themenkomplex ‚Stadt‘ aus verschiedenen Blickwinkeln“ nähern, so die Initiatoren, indem etwa „bauliche Entwicklungen sowie soziale, ästhetische und kulturelle Aspekte untersucht …, die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem sowie Stadtraum ausgelotet, Fragen der Partizipation und Gemeinschaft thematisiert“ würden.
Noch bis zum 21. März ist der Teilbeitrag der Berlinischen Galerie „The Dialogic City“ zu sehen. Zumindest das, was davon übrig ist. Da in dieser Installation offenbar Ausstellung und Katalog die Rollen getauscht haben, ist der Katalog das „zentrale Exponat“, klärt der Einführungstext auf. Gemeint ist die titelstiftende Publikation „The Dialogic City – Berlin wird Berlin“. Sie wurde zur Eröffnung in einigen tausend Druckexemplaren an einer Längswand der korridorartigen Ausstellungshalle aufgestapelt, um sogleich als Gratiskatalog dem Publikum zur Mitnahme empfohlen zu werden. Mit vollem Erfolg. Kein einziges Exemplar davon ist mehr vor Ort. Was allerdings die Frage hinterlässt, warum die derart geplünderte Ausstellung überhaupt noch zugänglich ist.
Verblieben sind etwa 500 seit dem Jahr 1991 archivierte Modelle öffentlicher Wettbewerbe nebst dazugehörigen Aktenordnern der Architektursammlung des im Haus beheimateten Landesmuseums für Architektur. Originalverpackt, mit Wettbewerbsnummern und handschriftlichen Verwaltungsnotizen versehen und in eine trostlos lange Regalwand einsortiert. Einige wenige der weitgehend vergessenen Arbeiten finden sich am Kopfende des Raumes ausgepackt auf einem Arbeitstisch, zwischen Geräten zu deren Digitalisierung, womit zu Ausstellungsbeginn unter den Augen der Besucher eifrig begonnen wurde. Komplettiert wird die Szene durch zwei Monitore, die Filmbeiträge von Heinz Emigholz (Berlin Geschichten, 1986–2012) und Christian von Borries (Berlin Berlin, 2010–2015) zeigen.
Anhand der Modelle ließe sich „zum einen ein alternatives Berlin imaginieren, das sich anhand der Wettbewerbsbeiträge rekonstruieren lässt; zum anderen zeigen sie eine Ideengeschichte, die auch in unrealisierter Form weiterhin besteht und als Inspiration für heutige Stadtdebatten genutzt werden kann“, ermutigen die Ausstellungsausrichter den um Orientierung bemühten Betrachter.
Der zieht sicherheitshalber weitere Online-Medien zurate. Auf der ausstellungsbegleitenden Homepage ist zu erfahren, dass Dialogic City ein gemeinsames Unternehmen von Arno Brandlhuber, Florian Hertweck und Thomas Mayfried mit Studierenden des Masterstudiengangs Architektur und Stadtforschung der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg ist. Spiritus Rector dürfte Brandlhuber als Inhaber des dortigen Lehrstuhls sein, dessen Online-Exposé den Projektansatz pointiert: „Dialogische Stadt denkt zwei oder mehrere gegensätzliche Vorstellungen als Modell zusammen, ohne dass die einzelne Vorstellung an Qualität verliert. Die Mischung muss ausgehalten werden“. In einem Interview danach befragt, was dies konkret bedeute, exemplifiziert Brandlhuber im Rückgriff auf seine vieldiskutierte Bikini-Studie für das Tempelhofer Feld: Es gehe angesichts neuer Herausforderungen und geänderter Lebenswirklichkeiten in der Stadtentwicklung nicht länger um ein „entweder“ (Bebauung des Areals) „oder“ (Schutz der Freifläche), sondern um ein „und und“. Daran verfängt die ‚dialogische‘ Idee, etwas dann lassen zu können, wenn ein anderes getan wird. Entscheidungen tragen bitte ihre Konsequenzen.
Architekt Brandlhuber ist seit 2006 in Berlin ansässig. Hier habe er nach eigenem Bekunden die Arbeitsweise, „mit dem Bestehenden eine neue Geschichte zu erzählen“, entdeckt, wofür etwa sein Konzept zur Transformation von Werner Düttmanns Kirche St. Agnes als Beleg dienen mag. Mit der Ausstellung will er dazu beitragen, ein neues „Stadtnarrativ“ zu entwickeln; mit der gewichtigen Publikation zur Dialogic City liegen hierfür nun die theoretischen Bezüge offen.
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