Bauwelt

Neu vernetzt: Barcelona

Lange wurde der digitale Wandel von Barcelona vor allem für die Wirtschaft und Prestigeprojekte vorangetrieben. Inzwischen stellt die Stadt mit einer eigenen Digitalisierungsbeauftragten revolutionär klingende Forderungen: Daten und Technik sollen zuerst den Bewohnern dienen, bevor sich Unternehmen daran bereichern. Ist Barcelona auf dem Weg zur digitalen Vorzeigestadt?

Text: Humann, Melanie, Berlin; Jank, Leon, Berlin

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    In dem Viertel Poblenou wurden gezielt Technologieunternehmen angesiedelt.
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    In dem Viertel Poblenou wurden gezielt Technologieunternehmen angesiedelt.

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    Der Torre Diagonal ZeroZero von Architekt Enric Massip-Bosch
    Foto: Gab Kiess

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    Airbnb-Angebote im Zentrum von Barcelona.
    Grafik: Deniz Keskin, Quelle: www.insideairbnb.com

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    Airbnb-Angebote im Zentrum von Barcelona.

    Grafik: Deniz Keskin, Quelle: www.insideairbnb.com

Neu vernetzt: Barcelona

Lange wurde der digitale Wandel von Barcelona vor allem für die Wirtschaft und Prestigeprojekte vorangetrieben. Inzwischen stellt die Stadt mit einer eigenen Digitalisierungsbeauftragten revolutionär klingende Forderungen: Daten und Technik sollen zuerst den Bewohnern dienen, bevor sich Unternehmen daran bereichern. Ist Barcelona auf dem Weg zur digitalen Vorzeigestadt?

Text: Humann, Melanie, Berlin; Jank, Leon, Berlin

„Es gibt keine digitale Revolution ohne eine demokratische Revolution.” So lautet das Credo von Francesca Bria, die seit 2015 als Expertin für den digitalen Wandel von Barcelona verantwortlich ist. Was aber meint sie mit diesem Statement? Ist Barcelona nicht bereits vorbildlich in puncto Partizipation, Transparenz – und Demokratie? Brias Ausführungen zu dem Digital City Plan der Stadt geben darauf eine Antwort: Es geht der Digitalisierungsbeauftragten nicht nur um eine partizipative und transparente Planungs- und Entscheidungskultur mittels digitaler Technologien, sondern vor allem um die Sicherung der technischen Souveränität der Stadt und ihrer Bewohner gegenüber globaler Konzerne. Barcelonas digitale Strategie ist eine klare Aufforderung an die Stadtgesellschaft: Erhebt einen Hoheitsanspruch an euren in der Stadt erzeugten Daten und nehmt Einfluss auf deren weitere Verwendung.
Kaum eine andere Stadt verfolgt den Wunsch nach eigener Veränderung so konsequent wie Barcelona. Ob eine Autobahn tiefer gelegt oder ein Skatepark umgestaltet werden soll – die Stadt verfügt nicht nur über experimentierfreudige Köpfe, sondern auch über umsetzungsstarke, operationelle Strukturen. Insofern überrascht es nicht, dass sich Barcelona bereits Anfang der 2000er Jahre dem Einsatz von digitalen Technologien in der Stadtentwicklung gewidmet hat.
Die Wurzeln der als streitlustig aber auch konsensfähig bekannten Stadtgesellschaft Barcelonas gehen zurück auf die späten 1960er Jahre. Der Stadtrand zeugte vom spekulativen Städtebau des Franco-Regimes. Das Leben in hastig errichteten Trabantenstädten ohne öffentlichen Nahverkehr, soziale Infrastruktur und Grünflächen führte zu einer offenen Konfrontation mit der Diktatur. In Reaktion auf die korrupte Kommunalpolitik zwischen 1970 und 1976 entstanden in Barcelona rund 120 Nachbarschaftsinitiativen und Stadtteilkomitees. Sie organisierten sich gegen Spekulantentum und Wohnungsnot und vertraten die Interessen der Bevölkerung bei der Weiterentwicklung der Quartiere. Nach dem Tod Francos 1975 und in den ersten Jahren der Transition zur Demokratie etablierten sich die Nachbarschaftsinitiativen und wirkten bis Mitte der 1980er Jahre intensiv an Planungsprozessen in Stadt und den Quartieren mit. Zwanzig Jahre später, im Jahr 2000, konzipierte Barcelona unter dem Label 22@Barcelona-Innovation District den ersten Prototypen einer Smart City. In diese Planung wurden die Nachbarschaften nun nicht mehr ein­gebunden. Das Projektgebiet 22@ liegt in Poblenou (Neues Dorf), einem Stadtteil nordöstlich der Altstadt, der durch die Industrialisierung geprägt wurde.
Der heterogene Gebäudebestand aus alten Hallen, ehemaligen Produktionsstätten und Wohnhäusern verkeilt sich eigenwillig in das nachträglich übergestülpte Raster der Stadterweiterung. Der halbe Stadtteil – rund 200 Hektar – wurde für das ambitionierte Projekt umgewidmet. Aus den alten Produktionsstandorten (alte Kennzeichnung: 22a) sollten neue und innovative Wissensfabriken der Informations- und Kommunikationstechnologie werden (neue Kennzeichnung: 22@). Die Ansiedlung der Unternehmen sollte aber nicht nur den Stadtteil revitalisieren, sondern auch technologische Innovationen der Stadtentwicklung vorantreiben. Das Areal von 22@ wurde fortan zum Testfeld für alle technologischen Implementierungen und soziotechnischen Maßnahmen, die sich aus der permanenten Weiterentwicklung des Smart City- und Digital City-Diskurses ergaben. Vom Musterviertel für energieeffiziente Fassaden verwandelte sich der Bereich zum sogenannten Maker-District mit Raumangeboten für eine lokale, kleinteilige Produktion und offenen Werkstätten (fablabs) bis hin zum derzeitigen Modellprojekt, der Superilla – einem autofreien Quartiersblock.
Beleuchtung, Glasfaserkabel, Smart City Player
Auch in ganz Barcelona wurden schon früh Maßnahmen zur technischen Ertüchtigung der Stadt getestet: mit Technik aufgerüstete Beleuchtungs- und Entsorgungssysteme, Glasfaserkabel, das Fahrradverleihsystem
bicing und eine technologisch bestens abgestimmte Verkehrssteuerung. Unternehmen lieferten die Hard- und Software, wobei verschiedene Systeme mit ähnlichen Zielen parallel existierten. So mangelte es an der Koordination einer übergreifenden Vision, um die Technologien gebündelt in die Stadt zu integrieren.
Dieser experimentelle Ansatz wurde mit der Wahl des liberalkonservativen Politikers Xavier Trias zum Bürgermeister 2011 stärker unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit und Medienwirksamkeit ausgerichtet. Unter Trias wurde Barcelonas erste gesamtstädtische Smart City-Strategie formuliert. Sie sollte die Lösungen und Einzelprojekte zu einer Gesamtstrategie zusammenfassen. Den Vorgaben von EU-Förderprogrammen wie Horizon 2020 folgend, lag der Fokus auf der Einsparung von Ressourcen, effizienten Abläufen innerhalb der Stadt und der Unterstützung von Kooperationen zwischen Städten und Unternehmen. Dabei kam es zu einer tiefgreifenden Reorganisation der Verwaltungsstruktur. Um die Handlungsfähigkeit zu verbessern, wurde die Abteilung Urban Habitat gegründet, die sich wiederum aus den Abteilungen Planung und Infrastruktur und dem Institut für Informationstechnologie zusammensetzte.
Fortan wurden sämtliche Stadtentwicklungsmaßnahmen mit der Smart City Strategie abgeglichen und – soweit möglich – an dieser ausgerichtet. Mit diesem Modell der städtisch-unternehmerischen Stadtentwicklung im digitalen Zeitalter verband die Regierung selbstbewusst den Anspruch, auf dem Feld der Smart City die globale Führungsrolle einzunehmen und große Prestigeprojekte zu stemmen. So gelang es der Stadt mit der Ausrichtung des Smart City Expo World Kongresses oder der Initiierung des Ciscos Internet of Everything Global Innovation Center, sich medienwirksam als globaler Smart City Player zu präsentieren.
Ziel der neuen Stadtentwicklungspolitik war auch, die Kommunikations- und Informationstechnologien als Werkzeuge der Stadtbevölkerung einzusetzen – in diese Entwicklungsprozesse selbst wurde die Bevölkerung aber nicht eingebunden. Barcelona lässt sich damit unter Trias (2011-2015) als sorgende und leitende Stadt verstehen, die ihren Bewohnern Zugang zu Dienstleistungen bot und deren Lebensqualität verbesserte, indem die städtischen Infrastrukturen spürbar entlastet und öffentliche Räume mit technischen Lösungen aufgewertet wurden. Allerdings konnte die Stadt in dieser Zeit die mit der Gentrifizierung und Aufwertungsprozessen einhergehenden Problemen der Verdrängung nicht durch technische und digitale Innovationen lösen. Im Gegenteil: Die Entwicklung verschärfte sich weiter, was zu Protesten führte.

Kehrtwende zur Digital City

Mit der Wahl der neuen Kommunalregierung im Jahr 2015 unter der Bürgermeisterin Ada Colau, die ihre politischen Wurzeln in der Hausbesetzerszene hat, rückte die Bürgerbeteiligung wieder in den Mittelpunkt. Barcelona gab sich ein neues Leitbild: Mitbestimmung, soziale Gleichheit und Souveränität sollten von nun an, wie schon in den frühen 80er Jahren, Priorität haben. Das vorhandene Smart City Konzept war der neuen Regierung zu stark Top-down ausgerichtet, zu unternehmensorientiert und zu exklusiv an wirtschaftlich potente Bevölkerungsgruppen gebunden.
Für die Strategie bedeutete dies eine Neuausrichtung – vorrangig abgestimmt auf Bedürfnisse der gesamten Stadtgesellschaft. So wurde aus der Smart City quasi über Nacht die neutral klingende Digital City und direkt im Büro der Bürgermeisterin der Posten eines Digatilisierungsbeaufragten geschaffen. Als Expertin wurde Francesca Bria aus London berufen, um eine neue Technologie- und Innovationsstrategie für Barcelona zu entwickeln und für eine „Smart City von unten“ einzustehen. 2016 präsentierte die Wirtschaftsberaterin schließlich den Digital Barcelona Plan, eine Roadmap mit dem Ziel, die Souveränität über Daten und Technologien in Bürgerhand zu legen und für die Stadtentwicklung nutzbar zu machen. Bisher lag die Datenhoheit bei den Anbietern technischer Lösungen.
Stadt verlangt Daten von Airbnb und Co.
Unter dem Schlagwort Digital Transformation fordert der aktuelle Plan die technische Souveränität der Stadt bei Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung ein: Vor allem die in der und durch die Stadt gewonnenen Daten sollen städtischen Institutionen, Wissenschaftseinrichtungen oder offenen Datenplattformen zur Verfügung stehen. Helfen soll bei der Rückgewinnung über die Technologiehoheit ein offenes Digitalisierungsprogramm der Stadt, um Open Source Software zu entwickeln und zu implementieren. Eine übergreifende Plattform, die Daten verschiedener Systeme zusammenführen kann, befindet sich im Aufbau. Ziel ist es ebenso, Daten dauerhaft – etwa auch im Zuge eines veränderten politischen Systems – vor Missbrauch zu schützen. Hartnäckig ist die Stadtregierung auch, wenn es um die Bereitstellung von Daten von Unternehmen geht: Im Juni diesen Jahres erzwang sie den Zugang zu den Daten von Airbnb, um gegen den illegalen und hoch problematischen Ferienwohnungsmarkt vorgehen zu können, den diese Plattform ermöglicht. Bereits 2016 wurde Airbnb die Zahlung einer Geldstrafe an die Stadt auferlegt, weil über das Portal illegal Wohnungen vermietet wurden. Auch der Mobilfunkanbieter Vodafone muss Barcelona mittlerweile monatlich umfangreiche Datensätze zur Verfügung stellen, die für die Stadtentwicklung relevante Informationen enthalten.
Mit dem Begriff Digital Empowerment verspricht die Stadt mehr Teilhabe und Transparenz. Hierunter fällt die entscheidende Frage, ob – und wenn ja, wie – eine Demokratisierung der Stadtentwicklung durch digitale Technologien unterstützt werden kann. Nach dem Regierungswechsel wurde auch ein Amt für Beteiligung eingerichtet, das auf eine „online-offline participation“ setzt: Die städtische Beteiligungsplattform decidim.barcelona listet online beispielsweise Planungsvorhaben in der Stadt auf, samt aktuellem Verfahrensablauf, Prozessstatus und bisheriger Ergebnisse. Die Plattform ergänzt damit die weiterhin analogen Beteiligungsprozesse, die in Kooperation mit Nachbarschaftsinitiativen durchgeführt werden. Zudem investiert Barcelona in Ausbildungs- und Aufklärungsprogramme für junge Menschen und bemüht sich gleichzeitig darum, dass die Älteren nicht durch den digitalen Wandel abgehängt werden.
Unternehmen bringen Wissen und Kapital

Als Erbin der technologiezentrierten Smart City muss die neue Regierung auch Unternehmensinteressen berücksichtigen – bringen die Unternehmen doch das nötige technologische Know-how und Kapital mit. Digital Innovation heißt die dritte Säule der Digitalstrategie und integriert geschickt Spielfelder für Public-private-Partnership Projekte, für die Unternehmensforschung und zur Ansiedlung internationaler Tech-Konzerne. So posi­tioniert sich Barcelona im internationalen Startup Ranking der Städte seit Jahren konstant auf den vorderen Plätzen. Derzeit siedeln sich große Tech-Unternehmen wie Facebook oder Amazon in Barcelona an. Ob diese langfristig zum Wohle der Stadt- und Zivilgesellschaft in die Pflicht genommen werden können, bleibt zu beobachten.
Die Metamorphosen des Smart City Konzepts – von seinen experimentellen Anfängen über den konzern- und marketinggetrieben Ansatz unter Xavier Trias bis zur aktuellen Digitalstrategie für mehr Rechte und Mitsprache – verdeutlichen die starke Abhängigkeit des Konzeptes von der jeweils aktuellen Regierungspolitik. Die Frage, ob, wie und wofür Technologien, Daten, Algorithmen und Software in Städten zum Einsatz kommen können, scheint noch lange nicht abschließend beantwortet. Barcelona ist es mit der Digitalstrategie jedoch mindestens in Ansätzen gelungen, den Fokus stärker auf die Bewohner und deren Bedürfnisse zu richten.
Auch ein weiteres Dilemma der Städte im Zuge der Digitalisierung zeigt sich an Barcelona: Wenn Städte versuchen, sich aus der Umklammerung der großen Tech-Konzerne zu befreien, müssen sie – zumindest noch – gleichzeitig auf diese als ökonomische und innovative Treiber zurückgreifen. Geht die Digitalstrategie Barcelonas allerdings auf, werden die Konzerne nicht nur in ihrer Datenhoheit entmachtet, sondern verlieren auch ihre Alleinstellung bei der Entwicklung und dem Einsatz von Technologien im städ­tischen Raum. Bewohner könnten über die Daten, die sie im städtischen Leben generieren, zumindest teilweise bestimmen und sie auch löschen. „In einer Welt, in der Maschinen und Algorithmen immer mehr übernehmen, muss darauf geachtet werden, dass die Daten den Bürgern, und nicht den Regierungen gehören“, fasst Francesca Bria ihre Agenda in einem ihrer vielen Interviews zusammen. „Städte sollten Vermittler und Hüter dieser neuen Rechte sein.“
Die ersten erfolgversprechenden Schritte von Barcelona in diese Richtung zeigen, dass die Vision einer digitalen Stadt „von unten“ durchaus Realität werden kann. Vorausgesetzt, ihr bleibt dafür ausreichend Zeit.

Weitere Beiträge der Autoren zum Thema: www.smartrebelcity.org

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