Raum auf Verlangen
Die New Yorker Diller Scofidio & Renfro präsentieren sich mit „The Shed“ bei Aedes in Berlin
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Raum auf Verlangen
Die New Yorker Diller Scofidio & Renfro präsentieren sich mit „The Shed“ bei Aedes in Berlin
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Langsam und gleichförmig schiebt sich ein stählernes Gebilde ins Bild. Die Konstruktion rollt auf Schienen, getragen von gewaltigen Rädern. Die riesige Projektionsleinwand bei Aedes in Berlin macht kleinste Details sichtbar, so dass eine Ahnung von der Größe des Gebildes erwächst: Es ist tatsächlich haushoch.
Es ist nicht nur so hoch wie ein Haus – es ist ein Haus. Freilich ein sehr transparentes; eigentlich eine gitternetzartige Konstruktion, die mit einer transparenten Außenhaut versehen sein wird, wenn im Frühjahr 2019 die Eröffnung ansteht. Bescheiden – oder besser gesagt cool – trägt das Ding die Bezeichnung „Shed“ für Schuppen, Baracke, Remise; all das kann in ihm gesehen werden. Tatsächlich ist es eine fahrbare Außenhaut, zu nichts anderem gedacht, als im ausgefahrenen Zustand das gewaltige Luftvolumen in seinem Inneren zu umschließen. Zurückgesetzt überwölbt es ein festes Gebäude, das aus einem Hochhaus hervorwächst. Der ganze Komplex entsteht längs der High Line, jenem so erfolgreichen Konversionsprojekt, das aus einem alten Eisenbahnviadukt einen mehrere Kilometer langen Fußgängerboulevard an der Westseite von Manhattan gemacht hat. Mit der High Line ist das Büro Diller Scofidio + Renfro berühmt geworden. Am oberen, nördlichen Ende nun bauen die Architekten ein Wohnhochhaus, das rechtwinklig zur High Line angeordnet ist und an dessen Breitseite, parallel zum stählernen Viadukt, ein achtgeschossiges Multifunktionsgebäude für alle denkbaren kulturellen Genres, von Theater bis Kunstgalerie anschließt. Darüber wölbt sich die stählerne Außenhaut, die auf eigenen Schienen läuft wie einer der immer gleichen Portalkräne in den Häfen der Welt.
Elizabeth Diller hat den Grundgedanken des Projekts mit den Worten erläutert, man könne „sicher sein, dass es einen stetigen Bedarf an klimatisierten Räumen in unterschiedlichen Höhen und Größen mit hoher struktureller Belastbarkeit und kompletter Stromversorgung geben“ werde. Die „unterschiedlichen Höhen und Größen“ finden sich innerhalb des festen Gebäudeteils; der leere Raum unter der Hülle wird dann fallweise zur 1600 Quadratmeter Grundfläche messenden Halle, in die variable Strukturen eingebracht werden können, Bühnen oder Zuschauerränge. Licht- und Tontechnik wird unterhalb der Decke installiert, steht also im Bedarfsfall immer zur Verfügung.
Ursprünglich sollte „The Shed“ – Entwürfe für die Baukommission von Manhattan zeigen es – zweiteilig sein und aus zwei übereinanderliegenden Konstruktionen bestehen, die sich ziehharmonikaförmig halb oder ganz hätten ausfahren lassen. Nun ist das Gitterwerk ebenso lang wie das von ihm umschlossene Gebäude, verdoppelt also dessen Grundfläche. Das Ganze steht auf dem Deckel über den Hudson Yards, dem Abstellgelände der Long Island Railroad, das als eine der letzten verfügbaren Großflächen Manhattans derzeit vollständig überbaut wird. Was bei Aedes zu sehen ist, stellt mehr oder weniger eine Momentaufnahme des Bauvorganges dar, im Mittelpunkt der dramaturgisch feine Film, der die Größe des Projekts in majestätischen Bildern vorführt, etwa wenn die Doppelräder des Monstrums über die zwischen den beiden Schienensträngen liegende Kamera gleiten. Musterstücke der Konstruktion, Entwurfszeichnungen, Baubescheide des Bezirks liegen aus.
Das Büro Diller Scofidio + Renfro ist so etwas wie der König Midas der Architekturszene: Was immer sie anfassen, wird ein Erfolg. Zuletzt haben sie es mit dem Museumsgebäude „The Broad“ für das gleichnamige Sammlerpaar in Downtown Los Angeles bewiesen (Bauwelt 43.2015). Und manch einer erinnert sich noch der Nicht-Architektur von „The Blur“, der Wolke, die sie bei der Swiss Expo 2002 in den Neuenburgersee nahe dem Ufer von Yverdon-les-Bains gestellt haben – tatsächlich eine Wolke aus beständig ausgeblasenem Wasserdampf, in der sich, von außen unsichtbar, eine Stahlstangenkonstruktion verbarg, in der Mitte eine Bar für 100 Sorten Mineralwasser (Bauwelt 21.2002). So nüchtern beschwingt kann Architektur sein – und Staunen machen, wie künftig im großen Maßstab „The Shed“ in New York.
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