Regierungsquartier in Oslo
Text: Förster, Niclas, Berlin
Regierungsquartier in Oslo
Text: Förster, Niclas, Berlin
Ende Juli jährt sich der brutale Anschlag von Oslo zum ersten Mal, die juristische Aufarbeitung ist in vollem Gange. Im Schatten der menschlichen Tragödie wird eine heftige Architekturdebatte um eines der wichtigsten Beispiele des monumentalen Modernismus in Norwegen geführt.
Am 22. Juli 2011, um 15:26 Ortszeit, wird die Osloer Innenstadt von einer gewaltigen Explosion erschüttert. Das Regierungsgebäude mit dem Büro von Ministerpräsident Jens Stoltenberg und mehrere angrenzende Ministerien werden stark beschädigt. Acht Menschen werden getötet, zweihundert zum Teil schwer verletzt. Die Autobombe, ferngezündet durch den Fanatiker Anders Behring Breivik, war in einem Lieferwagen versteckt, der an der Ostseite des 17-geschossigen Hauptsitzes der sozialdemokratischen Regierung parkte.
Mit dem derzeit laufenden Prozess gegen den Attentäter wird deutlich, wie sehr das Selbstverständnis des Landes unterminiert worden ist, das weltweit für seine Liberalität bewundert um seine Offenheit beneidet wird. Besonders deutlich wird das an dem beschädigten Regierungsgebäude, denn mit ihm wurde ein Symbol für den Aufbruch des modernen, sozialdemokratisch geprägten Staates nach 1945 getroffen. Diese Aufbruchstimmung manifestierte sich in einer scheinbar geschichtslosen, radikal-modernen Architektursprache, ihrer Integration in den öffentlichen Raum im Herzen der Innenstadt und einem ungewöhnlich vielfältigen Kunst-am-Bau-Konzept. In der norwegischen Bevölkerung wird seit einem Jahr diskutiert, wie der Staat auf einen solchen Angriff reagieren soll. Muss das stark beschädigte Gebäude abgerissen werden, um so die Erinnerung an diesen Angriff so schnell wie möglich zu tilgen? Soll es saniert und einer neuen Nutzung zugeführt werden? Hier den Regierungssitz zu belassen, scheint nach einem aktuellen sicherheitspolitischen Gutachten zu riskant.
Das Scheibenhochhaus als Kern des Regierungsquartiers, umgeben von Wohn- und Geschäftsvierteln um den belebten Youngs-Platz, war der erste große Auftrag für den Architekten Erling Viksjø (1910–71). Er kam nach einem Wettbewerb zum Ausbau des zu klein gewordenen Regierungsquartiers von 1939 zustande, bei dem vier Entwürfe prämiert wurden. Unter ihnen befand sich sowohl der des erst 29-Jährigen, als auch der des renommierten Ove Bang, in dessen Büro Viksjø zu jener Zeit noch tätig war. Nach der Besetzung durch die Deutschen 1940 lag das Vorhaben auf Eis. Erst nach Kriegsende wählte eine neue Jury den Entwurf von Viksjø zur Weiterbearbeitung aus. Politisch war eine Ära angebrochen, die für moderne architektonische Konzepte offen war.
Naturbeton
Der Ausbau des Regierungsquartiers erfolgte in zwei Abschnitten. Das 15-geschossige Hochhaus (højblokken) in dem zuletzt die Regierung und das Justizministerium untergebracht waren, wurde 1959 vollendet, der 5-geschossige, raumgreifende Y-Block für weitere Ministerien erst 1970. Das Hochhaus platzierte Viksjø inmitten eines Grundstücks, das bereits von anderen Ministerien umgeben war. Auf freitragenden Rundsäulen ruhend, sind die Längsseiten nach Osten und Westen in eine homogene Rasterfassade aufgelöst, die eine monumentale Strenge erzeugt. Le Corbusiers skulpturale Architektur hatte entscheidenden Einfluss auf Erling Viksjø. Ein formales Vorbild war dessen Bildungs- und Gesundheitsministerium in Rio de Janeiro, bei dem sich durch den Einsatz von Rohbeton (beton brut) die Stilrichtung des Brutalismus manifestierte. Viksjø entwickelte zusammen mit dem Bauingenieur Sverre Jystad zahlreiche Variationen von „Naturbeton“, der nach einer speziellen Methode gegossen wurde und sehr feine Detaillierungen ermöglichte. Naturbeton wurde 1955 international patentiert. Vieles von dem, was 1956–59 im großen Maßstab am Regierungsbau in Oslo zum Einsatz kam, wurde zuvor beim Bau von Viksjøs eigenem Sommerhaus ausprobiert.
Der Kunst am Regierungsbau gab der abstrakten Kunst Norwegens wesentliche Impulse. Neue Materialien und Techniken eröffneten vielfältige Möglichkeiten der Gestaltung: wirkungsvolle Reliefs, Konturzeichnungen, Lichtführungen, Megastrukturen und vielschichtige Oberflächenbehandlungen. Ein großer Teil der Aufträge wurde durch vier Künstler ausgeführt, die vorher mit abstrakten Ausdrucksformen auf sich aufmerksam gemacht hatten: Tore Haarland, Carl Nesjar, Inger Sitter und Odd Tandberg. Sie entwarfen eigene Motive und führten Arbeiten schon etablierter Künstler wie Kai Fjell und von Pablo Picasso aus. Die Kunst konzentrierte sich vor allem auf den Haupteingang, das Foyer und die Treppenhäuser. Zusammen mit Carl Nesjar entwickelte Viksjø ein spezielles Sandstrahlverfahren für Naturbeton, das er als ideale Methode erachtete, um künstlerische Ausdrucksformen wirkungsvoll in die Architektur zu integrieren. Viksjø selbst entwarf für die Stirnwände des Hochhauses eine Reihe von Piktogrammen, abstrakte Symbole für die einzelnen Ministerien des Landes. Diese wurden im Sandstrahlverfahren mit Schablonen in Betonplatten gefräst und dann verbaut.
Abreißen oder bewahren?
Es gibt heute ebenso viele Befürworter wie Gegner eines Abrisses des Viksjø-Baus, der seit Ende letzten Jahres asbestsaniert wird. Es steht der Umbau, der Neubau oder der Umzug des ganzen Quartiers zur Debatte. Das Büro Thorenfeldt Arkitekter kritisiert in seinem kürzlich veröffentlichten Gutachten: „Das heutige Regierungsquartier ist zu klein, die verschärften Sicherheitsmaßnahmen würden dazu führen, dass weite Teile des Zentrums abgeriegelt werden müssten.“ Gelänge es, ein geeignetes Gebiet zu finden, groß genug, um den neuen Sicherheitsansprüchen zu genügen, dazu verkehrsgünstig gelegen und nicht zu weit vom Zentrum entfernt, könnte nicht nur der Viksjø-Bau einer neuen Nutzung entsprechend saniert werden, sondern auch die Straßen und Parks der jetzigen Sperrzone wieder Teil der Stadt werden. Den Planern schwebt ein noch genutztes Bahngelände vor, gelegen in Bjørvika, der größten Stadterweiterung nordöstlich des neuen Opernhauses. „Es hat in Oslo schon Geschichte, dass wichtige Regierungsgebäude umziehen.“ Gemeint ist damit der Wiederaufbau nicht nur einzelner Gebäude, sondern der ganzen Stadt „Kristiania“ ein paar hundert Meter westlich von „Gamlebyen“ (dt.: Altstadt), die im großen Brand von 1624 untergegangen war. Ein Ausbau Bjørvikas bringe Oslo zurück an seinen Ursprung, hier hätte ein neues Regierungsquartier wiederum eine große symbolische Bedeutung.
Darüber sollte aber die gesamte Bevölkerung abstimmen, findet Kjersti Nerseth, die Präsidentin des Norske Arkitekters Landsforbund (NAL), die dafür einen offenen Ideenwettbewerb vorschlägt. Dies sei notwendig, um Licht auf die komplexen Problemstellungen eines neuen Regierungsquartiers zu werfen. Ingrid Helsing Almaas, Chefredakteurin von Arkitektur N, der NAL-Verbandszeitschrift, forderte bereits in einem Sonderheft zum Regierungsquartier (8/2012) die Einbeziehung aller Norweger und spricht von falsch verstandener Rücksichtnahme, wenn man sich nach denen richtet, die an einem Ort nicht mehr arbeiten wollen, wo ihre Kollegen gewaltsam ums Leben gekommen sind. Der Entscheidungsprozess müsse von den Gesellschaftsidealen der norwegischen Bürgerinnen und Bürger geleitet sein. Das schließe eine rein pragmatisch oder ökonomisch begründete Entscheidung aus.
Dass genau dies aber eine reale Gefahr ist, legt der Autor Halvor Wieder Ellefsen in einem Beitrag mit dem provokanten Titel „Viksjø på Grini, Picasso på Ebay“ in der Zeitschrift Arkitektur Nytt dar (Anm.: Erling Viksjø war 1944–45 im Gestapo-Lager Grini interniert). Es gäbe per se Gegner des brutalistischen Großbaus, welche die Tragödie des vergangenen Jahres dazu nutzen wollten, endlich loszuwerden, was sie schon immer gestört hat. Nach Meinung der Staatsrätin Rigmor Aasrud, die sich bisher für Abriss und Neubau des Regierungssitzes einsetzte, dürfe man sich in schwierigen, posttraumatischen Zeiten nicht zu sehr mit Kunst- und Architekturfragen beschäftigen. Damit spielt sie herunter, dass es sich, ganz objektiv betrachtet, um eines der wichtigsten Bauwerke der Nachkriegsära in Norwegen handelt, das all jene Werte repräsentiert, die der Fanatiker Breivik durch sein irrationales und mörderisches Handeln bekämpfen wollte. Sollte der Bau also tatsächlich weichen und durch einen neuen ersetzt werden, wäre dies auch ein später Triumph für den Massenmörder.
Mit dem derzeit laufenden Prozess gegen den Attentäter wird deutlich, wie sehr das Selbstverständnis des Landes unterminiert worden ist, das weltweit für seine Liberalität bewundert um seine Offenheit beneidet wird. Besonders deutlich wird das an dem beschädigten Regierungsgebäude, denn mit ihm wurde ein Symbol für den Aufbruch des modernen, sozialdemokratisch geprägten Staates nach 1945 getroffen. Diese Aufbruchstimmung manifestierte sich in einer scheinbar geschichtslosen, radikal-modernen Architektursprache, ihrer Integration in den öffentlichen Raum im Herzen der Innenstadt und einem ungewöhnlich vielfältigen Kunst-am-Bau-Konzept. In der norwegischen Bevölkerung wird seit einem Jahr diskutiert, wie der Staat auf einen solchen Angriff reagieren soll. Muss das stark beschädigte Gebäude abgerissen werden, um so die Erinnerung an diesen Angriff so schnell wie möglich zu tilgen? Soll es saniert und einer neuen Nutzung zugeführt werden? Hier den Regierungssitz zu belassen, scheint nach einem aktuellen sicherheitspolitischen Gutachten zu riskant.
Das Scheibenhochhaus als Kern des Regierungsquartiers, umgeben von Wohn- und Geschäftsvierteln um den belebten Youngs-Platz, war der erste große Auftrag für den Architekten Erling Viksjø (1910–71). Er kam nach einem Wettbewerb zum Ausbau des zu klein gewordenen Regierungsquartiers von 1939 zustande, bei dem vier Entwürfe prämiert wurden. Unter ihnen befand sich sowohl der des erst 29-Jährigen, als auch der des renommierten Ove Bang, in dessen Büro Viksjø zu jener Zeit noch tätig war. Nach der Besetzung durch die Deutschen 1940 lag das Vorhaben auf Eis. Erst nach Kriegsende wählte eine neue Jury den Entwurf von Viksjø zur Weiterbearbeitung aus. Politisch war eine Ära angebrochen, die für moderne architektonische Konzepte offen war.
Naturbeton
Der Ausbau des Regierungsquartiers erfolgte in zwei Abschnitten. Das 15-geschossige Hochhaus (højblokken) in dem zuletzt die Regierung und das Justizministerium untergebracht waren, wurde 1959 vollendet, der 5-geschossige, raumgreifende Y-Block für weitere Ministerien erst 1970. Das Hochhaus platzierte Viksjø inmitten eines Grundstücks, das bereits von anderen Ministerien umgeben war. Auf freitragenden Rundsäulen ruhend, sind die Längsseiten nach Osten und Westen in eine homogene Rasterfassade aufgelöst, die eine monumentale Strenge erzeugt. Le Corbusiers skulpturale Architektur hatte entscheidenden Einfluss auf Erling Viksjø. Ein formales Vorbild war dessen Bildungs- und Gesundheitsministerium in Rio de Janeiro, bei dem sich durch den Einsatz von Rohbeton (beton brut) die Stilrichtung des Brutalismus manifestierte. Viksjø entwickelte zusammen mit dem Bauingenieur Sverre Jystad zahlreiche Variationen von „Naturbeton“, der nach einer speziellen Methode gegossen wurde und sehr feine Detaillierungen ermöglichte. Naturbeton wurde 1955 international patentiert. Vieles von dem, was 1956–59 im großen Maßstab am Regierungsbau in Oslo zum Einsatz kam, wurde zuvor beim Bau von Viksjøs eigenem Sommerhaus ausprobiert.
Der Kunst am Regierungsbau gab der abstrakten Kunst Norwegens wesentliche Impulse. Neue Materialien und Techniken eröffneten vielfältige Möglichkeiten der Gestaltung: wirkungsvolle Reliefs, Konturzeichnungen, Lichtführungen, Megastrukturen und vielschichtige Oberflächenbehandlungen. Ein großer Teil der Aufträge wurde durch vier Künstler ausgeführt, die vorher mit abstrakten Ausdrucksformen auf sich aufmerksam gemacht hatten: Tore Haarland, Carl Nesjar, Inger Sitter und Odd Tandberg. Sie entwarfen eigene Motive und führten Arbeiten schon etablierter Künstler wie Kai Fjell und von Pablo Picasso aus. Die Kunst konzentrierte sich vor allem auf den Haupteingang, das Foyer und die Treppenhäuser. Zusammen mit Carl Nesjar entwickelte Viksjø ein spezielles Sandstrahlverfahren für Naturbeton, das er als ideale Methode erachtete, um künstlerische Ausdrucksformen wirkungsvoll in die Architektur zu integrieren. Viksjø selbst entwarf für die Stirnwände des Hochhauses eine Reihe von Piktogrammen, abstrakte Symbole für die einzelnen Ministerien des Landes. Diese wurden im Sandstrahlverfahren mit Schablonen in Betonplatten gefräst und dann verbaut.
Abreißen oder bewahren?
Es gibt heute ebenso viele Befürworter wie Gegner eines Abrisses des Viksjø-Baus, der seit Ende letzten Jahres asbestsaniert wird. Es steht der Umbau, der Neubau oder der Umzug des ganzen Quartiers zur Debatte. Das Büro Thorenfeldt Arkitekter kritisiert in seinem kürzlich veröffentlichten Gutachten: „Das heutige Regierungsquartier ist zu klein, die verschärften Sicherheitsmaßnahmen würden dazu führen, dass weite Teile des Zentrums abgeriegelt werden müssten.“ Gelänge es, ein geeignetes Gebiet zu finden, groß genug, um den neuen Sicherheitsansprüchen zu genügen, dazu verkehrsgünstig gelegen und nicht zu weit vom Zentrum entfernt, könnte nicht nur der Viksjø-Bau einer neuen Nutzung entsprechend saniert werden, sondern auch die Straßen und Parks der jetzigen Sperrzone wieder Teil der Stadt werden. Den Planern schwebt ein noch genutztes Bahngelände vor, gelegen in Bjørvika, der größten Stadterweiterung nordöstlich des neuen Opernhauses. „Es hat in Oslo schon Geschichte, dass wichtige Regierungsgebäude umziehen.“ Gemeint ist damit der Wiederaufbau nicht nur einzelner Gebäude, sondern der ganzen Stadt „Kristiania“ ein paar hundert Meter westlich von „Gamlebyen“ (dt.: Altstadt), die im großen Brand von 1624 untergegangen war. Ein Ausbau Bjørvikas bringe Oslo zurück an seinen Ursprung, hier hätte ein neues Regierungsquartier wiederum eine große symbolische Bedeutung.
Darüber sollte aber die gesamte Bevölkerung abstimmen, findet Kjersti Nerseth, die Präsidentin des Norske Arkitekters Landsforbund (NAL), die dafür einen offenen Ideenwettbewerb vorschlägt. Dies sei notwendig, um Licht auf die komplexen Problemstellungen eines neuen Regierungsquartiers zu werfen. Ingrid Helsing Almaas, Chefredakteurin von Arkitektur N, der NAL-Verbandszeitschrift, forderte bereits in einem Sonderheft zum Regierungsquartier (8/2012) die Einbeziehung aller Norweger und spricht von falsch verstandener Rücksichtnahme, wenn man sich nach denen richtet, die an einem Ort nicht mehr arbeiten wollen, wo ihre Kollegen gewaltsam ums Leben gekommen sind. Der Entscheidungsprozess müsse von den Gesellschaftsidealen der norwegischen Bürgerinnen und Bürger geleitet sein. Das schließe eine rein pragmatisch oder ökonomisch begründete Entscheidung aus.
Dass genau dies aber eine reale Gefahr ist, legt der Autor Halvor Wieder Ellefsen in einem Beitrag mit dem provokanten Titel „Viksjø på Grini, Picasso på Ebay“ in der Zeitschrift Arkitektur Nytt dar (Anm.: Erling Viksjø war 1944–45 im Gestapo-Lager Grini interniert). Es gäbe per se Gegner des brutalistischen Großbaus, welche die Tragödie des vergangenen Jahres dazu nutzen wollten, endlich loszuwerden, was sie schon immer gestört hat. Nach Meinung der Staatsrätin Rigmor Aasrud, die sich bisher für Abriss und Neubau des Regierungssitzes einsetzte, dürfe man sich in schwierigen, posttraumatischen Zeiten nicht zu sehr mit Kunst- und Architekturfragen beschäftigen. Damit spielt sie herunter, dass es sich, ganz objektiv betrachtet, um eines der wichtigsten Bauwerke der Nachkriegsära in Norwegen handelt, das all jene Werte repräsentiert, die der Fanatiker Breivik durch sein irrationales und mörderisches Handeln bekämpfen wollte. Sollte der Bau also tatsächlich weichen und durch einen neuen ersetzt werden, wäre dies auch ein später Triumph für den Massenmörder.
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