Sobek in der Döcker-Lücke
Text: Marquart, Christian, Stuttgart
Sobek in der Döcker-Lücke
Text: Marquart, Christian, Stuttgart
Das 85 Quadratmeter große Forschungshaus „B 10“ in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung wurde am 8. Juli eingeweiht. Bis Juni 2016 soll es hier stehen. Es ist komplett recycelbar. Das „weltweit erste Aktivhaus“ versorgt nicht nur sich selbst, ein Elektroauto und ein Elektrofahrrad mit Strom, sondern auch das Nachbargebäude, von Le Corbusier.
Geplant wurde es von Werner Sobek, gebaut hat es der Fertighaushersteller Schwörer Haus von der Schwäbischen Alb
In Stuttgarts Weißenhofsiedlung wurde ein neues Haus der Öffentlichkeit vorgestellt. Eine kleine Sensation, denn die wiederbelebte Adresse „Bruckmannweg 10“ war lange eine geheiligte Brache, entstanden durch eine Fliegerbombe des Zweiten Weltkriegs; die räumte ein Haus des Architekten Richard Döcker ab. Jahrzehntelang hatten die „Freunde der Weißenhofsiedlung“, die Denkmalpflege und kommunale Gremien praktisch jedes Neubauvorhaben in der grün überwucherten Baulücke zum Sakrileg erklärt. Jetzt aber wollen die alten und neuen Honoratioren der Stadt bei der Premiere gern dabei sein. Denn in der Döcker-Lücke steht, nun ja, ein Fertighaus namens „B10“, in minimalistischem Design, entworfen auf der Grundlage eines modularen Systems, das das schwäbische Unternehmen Schwörer als „Flying Space“ anbietet. Ein weißer Bungalow, aus präfabrizierten Elementen an einem Tag zusammengefügt, ausgestattet mit einer Menge technischer Features, die jedes für sich keine Revolution markieren. Werner Sobek – weltweit aktiver Ingenieur, Architekt, Hochschullehrer – hält es einerseits mit Mies van der Rohe (der dachte „gar nicht daran, jeden Montag eine neue Architektur zu erfinden“). Andererseits ist er Virtuose darin, pragmatisch die Kluft zwischen möglicherweise bahnbrechenden Erfindungen und ihrer verzögerten gesellschaftlichen Akzeptanz durch ressourcenschonende Experimentalbauten zu verringern: nicht zuletzt durch geschicktes Begriffs-Design: „Weltweit erstes Aktivhaus“, so die Schlagzeile der Pressemitteilung. Bei der „B10“-Eröffnung sprach Sobek von seiner Hoffnung, das Gebäude möge sich wie die Stuttgarter Werkbundsiedlung 1927 als Keimzelle einer neuen Revolution des Bauens erweisen.
Zur Straße hin ein offener, fließender, voll verglaster Raum; entlang der geschlossenen Rückfront reihen sich Funktionsbereiche mit geringer Tiefe auf: Haustechnik, digitale Gebäudesteuerung, Küchenzeile, Sanitärräume. Diese Box aus Holz, Glas, Metall und einer Bespannung aus Glasfasergewebe ist zugleich auch Prototyp und Grundelement einer neuen Generation des verdichteten Wohnungsbaus. Eine Wohnmaschine? Nicht sofort. „B10“ wird zunächst ein Jahr lang von jungen Kreativen als kleine Arbeitswelt getestet.
In Stuttgarts Weißenhofsiedlung wurde ein neues Haus der Öffentlichkeit vorgestellt. Eine kleine Sensation, denn die wiederbelebte Adresse „Bruckmannweg 10“ war lange eine geheiligte Brache, entstanden durch eine Fliegerbombe des Zweiten Weltkriegs; die räumte ein Haus des Architekten Richard Döcker ab. Jahrzehntelang hatten die „Freunde der Weißenhofsiedlung“, die Denkmalpflege und kommunale Gremien praktisch jedes Neubauvorhaben in der grün überwucherten Baulücke zum Sakrileg erklärt. Jetzt aber wollen die alten und neuen Honoratioren der Stadt bei der Premiere gern dabei sein. Denn in der Döcker-Lücke steht, nun ja, ein Fertighaus namens „B10“, in minimalistischem Design, entworfen auf der Grundlage eines modularen Systems, das das schwäbische Unternehmen Schwörer als „Flying Space“ anbietet. Ein weißer Bungalow, aus präfabrizierten Elementen an einem Tag zusammengefügt, ausgestattet mit einer Menge technischer Features, die jedes für sich keine Revolution markieren. Werner Sobek – weltweit aktiver Ingenieur, Architekt, Hochschullehrer – hält es einerseits mit Mies van der Rohe (der dachte „gar nicht daran, jeden Montag eine neue Architektur zu erfinden“). Andererseits ist er Virtuose darin, pragmatisch die Kluft zwischen möglicherweise bahnbrechenden Erfindungen und ihrer verzögerten gesellschaftlichen Akzeptanz durch ressourcenschonende Experimentalbauten zu verringern: nicht zuletzt durch geschicktes Begriffs-Design: „Weltweit erstes Aktivhaus“, so die Schlagzeile der Pressemitteilung. Bei der „B10“-Eröffnung sprach Sobek von seiner Hoffnung, das Gebäude möge sich wie die Stuttgarter Werkbundsiedlung 1927 als Keimzelle einer neuen Revolution des Bauens erweisen.
Zur Straße hin ein offener, fließender, voll verglaster Raum; entlang der geschlossenen Rückfront reihen sich Funktionsbereiche mit geringer Tiefe auf: Haustechnik, digitale Gebäudesteuerung, Küchenzeile, Sanitärräume. Diese Box aus Holz, Glas, Metall und einer Bespannung aus Glasfasergewebe ist zugleich auch Prototyp und Grundelement einer neuen Generation des verdichteten Wohnungsbaus. Eine Wohnmaschine? Nicht sofort. „B10“ wird zunächst ein Jahr lang von jungen Kreativen als kleine Arbeitswelt getestet.
Das Haus ist im Weißenhof-Ensemble nur Gast und „Living Lab“: konzipiert auf Zeit, zur Erforschung und Einübung ressourcenschonender Lebensstile in der Stadt. Das Erscheinungsbild des Bungalows sagt deshalb wenig darüber aus, ob seine künftige „Performance“, die wissenschaftlich begleitet und analysiert wird, wirklich die erhofften Impulse geben kann, um die Energiewende endlich in die Städte und Ballungsräume zu bringen – dorthin, wo sie am dringendsten „greifen“ müsste und wo die Verschränkungen von Stadtwohnen und Mobilität nicht nur energetisch und unter dem Aspekt der (zu vermeidenden) Emissionen von größter Bedeutung sind. Das Haus ist ein Kleinstkraftwerk, das auch anderen Häusern dienstbar sein kann. Aus gemeinnützigen und privaten Mitteln finanziert, erntet das in der Siedlung vergleichsweise niedrige Haus voraussichtlich doppelt soviel Sonnenenergie, wie es selbst benötigt. Es verfügt über einen Eisspeicher im Boden, über ein automatisiertes, vernetztes, „selbstlernendes“ Gebäudemanagement, das auf die Gewohnheiten der Nutzer ebenso reagiert wie auf die Signale eines angeschlossenen virtuellen Kraftwerks und auf Prognosen der Wetterdienste. Die Photovoltaik auf dem Dach ist intelligenter verschaltet als üblich und mit solarthermischen Modulen kombiniert. Der Überschuss an gewonnenem Strom fließt über ein „virtuelles Kraftwerk“ im grünen Tübingen in einen kleinen Fuhrpark aus E-Mobilen und ein energetisch prekäres Baudenkmal in der Nachbarschaft – den „Großen Corbusier“ mit Weißenhofmuseum. Sobek hat für diesen energetischen Altruismus in Stuttgarts bauhistorischem Edel-Kiez den Begriff der Schwesterlichkeit gewählt: Das Hilfsangebot ist mehr als ideell, aber auch nur so „echt“ und abstrakt wie der Strom aus erneuerbaren Energien, den Gutmenschen aus der konventionellen Steckdose beziehen.
Sobeks großes Ziel ist, der trägen europäischen Energie- und Umweltpolitik Beine zu machen – mit einem intelligenten Pilotprojekt, öffentlichkeitswirksam platziert und in einem triftigen, aber reichlich komplexen Problemfeld: Man könne, sagt Sobek, weder Jahrzehnte warten, bis der Gebäudebestand unserer Städte energetisch komplett gedämmt sei, noch könne man zulassen, dass delikate Architekturen und schöne alte Quartiere durch isolierende Verpackungsorgien geschändet werden. Wenn aber Neubauten mit positiver Energiebilanz ihre älteren, energetisch schwächelnden Nachbarn „aktiv“ unterstützten, sei viel gewonnen. Sobeks ingeniöse Ideen sind fast immer systemkonform und subversiv zugleich: Am günstigsten, sagt er, seien erneuerbare Energien dort zu produzieren, wo sie gebraucht werden. Die Energiekonzerne erkennen jedoch schon in der Formulierung einer dezentralisierten Energieversorgung einen Anschlag auf „ihren“ Markt.
Nachhaltigkeit ist ein Wort, das Sobek nicht mehr so gern benutzt, weil es längst eine billige Formel ist, die dem „greenwashing“ fragwürdiger Konsumgewohnheiten und Produktionsweisen dient. Dennoch ist „B10“, sind seine Funktionen und sein schadstofffreier Materialeinsatz nachhaltig konzipiert – das war sich der Mitbegründer der „Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen“ (DGNB) schuldig. Es ist sogar eine Wundertüte an ressourcensparenden Ideen, Materialien und elektronischer Regelungstechnik. Aber all das teilt sich der visuellen „Benutzeroberfläche“ des Gebäudes nicht mit – künftig wohl die Herausforderung für eine um Popularität und Verständlichkeit bemühte Architekturkritik. Zur Erinnerung: Gegen Ende der Weimarer Republik wurde die Weißenhofsiedlung mit ihrer „neusachlichen“ Ästhetik als „Araberdorf“ verhöhnt – unter anderem, weil das industrielle Bauen noch völlig fremd war. Fast 100 Jahre später ist „Form follows Function“, die frühe, mühsam gelernte Doktrin der Moderne, fast obsolet geworden durch das Verschwinden der Dinge mitsamt ihrer Funktionen in einer digitalen Schattenwelt.
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