Bauwelt

Sofia durchbohrt seinen römischen Untergrund

Text: Stier, Frank, Sofia

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Sofia durchbohrt seinen römischen Untergrund

Text: Stier, Frank, Sofia

Die bulgarische Hauptstadt Sofia baut sich eine neue U-Bahn-Linie, die römischen Ausgrabungen des alten Serdica sind da nur Beiwerk. Gegen die offizielle Stadtpolitik, die archäologischen Reste als Häppchen zusammenzutragen und künftig in unterirdischen Vitrinen auszustellen, formt sich jetzt massiver Widerstand, namhafte Architekten der Stadt protestieren.
Der sogenannte Largo, geprägt von einem wuchtigen Architekturensemble des sozialistischen Klassizismus, bildet das Zentrum der bulgarischen Hauptstadt. Sein offizieller Name lautet Ploschad Nesavissimost, Platz der Unabhängigkeit. Er ist umgeben vom einstigen Haus der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP), dem Staatspräsidium und dem Mi­nis­ter­rat. Dazu kommen das 5-Sterne-Hotel Sheraton Balkan und das Zentralkaufhaus (ZUM). Der Largo wird dieser Tage kräftig umgebaut. Bereits im nächsten Jahr soll die neue U-Bahnstation fertig sein, die den Sofiotern den Umstieg von der bestehenden Ost-West-Linie in die neue Nord-Süd-Verbindung ermöglicht. Doch die Pläne der Stadtverwaltung werden inzwischen von Publizisten, Architekten und einer interessierten Öffentlichkeit massiv kritisiert. Die Bauarbeiten für die künftige U-Bahnstation Sveta Nedelja zerstören gut erhaltene archäologische Überreste der einstigen römischen Festung Serdica, so der Vorwurf. Dimitar Dimitrov, Architekt und einer der Wortführer der Kritik: „In zweitausend Jahren ist in Sofia nicht so viel zerstört worden wie in den letzten 200 Tagen.“
Seinem Kollegen Christo Gentscheff geht es um die drohende Zerstörung der ehemaligen Via Principalis von Serdica. „Damals eine prächtige Straße, acht Meter breit, mit fünf Meter hohen Kolonnaden für die Fußgänger. Im vierten Jahrhundert waren hier die römischen Kaiser Galerius und Konstantin der Große unterwegs.“ Doch die Geschichte wird im Schnelldurchgang umgegraben: „In diesem Frühjahr wurde die Via Principalis an mehreren Stellen durchlöchert, um Betonpfeiler aufzustellen für ein Gebäude mit dem Charme einer gymnasialen Sporthalle und unklarer Funktion“, so Gentscheff. Kürzlich gemachte Funde wie der einer antiken Therme und einer Glashütte geben ihm recht.
Die Stadt ruht förmlich auf ihrer römischen Geschichte. Im Jahr 29 vor Christus hatten die Römer die Siedlung der Serden am Fuße des Vitoscha-Gebirges erobert, Ende des zweiten Jahrhunderts bekam der Ort das Stadtrecht. Als Ulpia Serdica entwickelte sich die Stadt in den folgenden Jahrhunderten zu ei­nem Zentrum des Römischen Reichs. Wie wichtig Serdica gewesen sein muss, geht aus den Worten Konstantin des Großen hervor: „Serdica – das ist mein Rom“, soll er gesagt haben, bevor er sich aus geopolitischen Erwägungen für Byzanz als Residenz entschied.
Die Bürgermeisterin Jordanka Fandukova und ihr Stadtarchitekt Petar Dikov verstehen den Protest nicht. Die gefundenen Überreste würden in einem 16.000 Quadratmeter großen unterirdischen archäologischen Museum präsentieren werden. Anfang August stellte Fandukova ihr Projekt eines „Antiken kultur-kommunikativen Komplex Serdica“ der Öffentlichkeit vor. „Wir haben unwahrscheinlich interessante Dinge gefunden, die den U-Bahnhof zum schönsten in Europa machen werden“, so die Bürgermeisterin. Erst im Juli ist ein Wohngebäude aus dem vierten Jahrhundert freigelegt worden, mit einem großen Empfangssaal und einem erstaunlichen Mosaik. Doch das Museumsprojekt ist so hemdsärmelig wie sein Name. Fandukova weiter: „Die Sofioter und ihre Gäste sollen im nächsten Jahr über Römerwege ihre U-Bahn erreichen und in Glasvitrinen präsentierte antike Artefakte betrachten können“. Die freigelegte Römerstadt unter dem Largo soll eine gläserne Hülle bekommen, es wird Cafés und eine Veranstaltungsbühne geben. 16 Millionen Euro EU-Gelder aus dem Operativen Programm Regionalentwicklung stehen zur Verfügung.
Im Herbst 2009 ist Jordanka Fandukova dem zum Ministerpräsidenten gewählten Bürgermeister Sofias, Boiko Borissov, ins Amt gefolgt und betreibt dessen ehrgeizige Infrastrukturprojekte weiter voran. Bei den Kommunalwahlen am 23. Oktober 2011 stellt sie sich als Spitzenkandidatin von Borissovs zentristischer Regierungspartei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) zur Wiederwahl. Das U-Bahn-Projekt spielt bei der Wahl nur eine untergeordnete Rolle. Auch Fandukovas aussichtsreichste Herausforderer, der Sozialist Georgi Kadiev und der Konservative Proschko Proschkov, haben eher soziale Nöte und Probleme wie die mangelhafte Stadtreinigung, streunende Hunde und den ständigen Verkehrskollaps im Visier.
Auf die Kritik, dass die Genehmigung unrechtmäßig erfolgt sei, reagiert der Stadtarchitekt Dikov gelassen: „Was wir tun, ist rechtens und entspricht unserem Gewissen“. Eine Prüfung durch die staatliche Bauaufsicht habe er nicht zu fürchten. Tatsächlich könnte nur noch von staatlicher Seite eine Umkehr bewirkt werden. Die protestierenden Architekten Dimi­tar Dimitrov und Christo Gentscheff verweisen dazu auf ei­-nen Beschluss des Ministerrats von 1976, der den Largo als archäologisches Reservat zu einem Objekt nationaler Bedeutung erklärt hat. Deshalb könne auch nur das staatliche Re­gionalentwicklungsministerium eine Baugenehmigung erteilen – und das auch erst ein Jahr nachdem ein archäologisches Kataster für das Gelände erstellt worden sei. „Nur so wird sichergestellt, dass die Resultate der archäologischen Forschung in den architektonischen Entwurf des Bauprojekts einfließen“, so Gentscheff. Genau dies ist aber nicht geschehen. Die Stadt und die U-Bahngesellschaft als Investoren bauen einfach drauf los, ohne zu wissen, auf welche archäologischen Funde sie stoßen.

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