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Symbol auf Abruf

Text: Henning, Moritz, Berlin

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Foto: Moritz Henning

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Text: Henning, Moritz, Berlin

Der National Sports Complex in Phnom Penh verkörpert wie kaum ein zweites Ensemble die wechselhafte jüngere Geschichte Kambodschas. Dennoch bemächtigt sich die Immobilienspekulation des Areals, und die zunehmende Ver­wahrlosung der Gebäude selbst lässt ihren baldigen Abriss befürchten.
Unser Autor war vor fünf Jahren Gastredakteur eines Bauwelt-Thementeils über Vann Molyvann (Bauwelt 30.2009), den Architekten des Stadions. Ende letzten Jahres erneut in Südostasien unterwegs, ließ er sich die Gelegenheit zu einem Ortsbesuch nicht entgehen.

Tief hängen die Wolken am Himmel über Phnom Penh. Es ist früher Nachmittag, die Temperatur um 40 Grad bei gefühlten 100 Prozent Luftfeuchtigkeit, als ich mich dem sogenannten Olympic Stadium nähere. Olympische Spiele haben in Phnom Penh zwar nie stattgefunden, aber der Name hat sich etabliert, niemand nennt die Anlage „National Sports Complex“, wie sie korrekt heißt. Vorbei an einem Wald aus Kränen und Bauzäunen, die das Stadiongelände von der Straße trennen, bahnen wir uns den Weg durch das Verkehrschaos. Was ich auf den Bannern am Straßenrand sehe, schlägt mir allerdings auf die Stimmung: Olympia City heißt das Bauvorhaben; es zitiert das ganze Vokabular asiatischer Einheitsarchitektur. Alles glitzert und strahlt, Hochhäuser schießen aus dem Boden, deutsche Luxusautos gleiten durch überschaubaren Verkehr, die Menschen sehen aus wie Europäer. Mit der Stadt vor dem Bauzaun hat das wenig zu tun. Immerhin steht das Stadion noch, und die Anwohner lassen sich weder durch Wetter noch Bautätigkeit von ihren Gewohnheiten abhalten. Auf den asphaltierten Freiflächen wird Fußball gespielt und allerlei sportähnliche Tätigkeit praktiziert; Jogger ziehen ihre Runden. Mobile Garküchen versorgen die Sportler ebenso wie all die vielen Menschen, die sich einfach so hier treffen: zum Spazierengehen, Ausruhen oder Händchenhalten. Doch die Idylle trügt. Was sich bei der Anfahrt andeutete, stellt sich beim Blick von der Tribüne als erschütternde Realität dar: Das Areal ist in einem tiefgreifenden Transformationsprozess begriffen. Wo früher Grünflächen die Bauten umgaben, wird heute betoniert. Ich blicke auf Baugruben, planierte Flächen, die ersten Neubauten – und ein heruntergekommenes Stadion. Überall bröckelt der Beton, rostet der Stahl, sind Fensterscheiben zerbrochen. Die Sporthalle ist durch einen Blechzaun abgesperrt, dahinter Kieshaufen, Bambusgerüste, Müll.
Dabei war der National Sports Complex einmal ein Projekt von nationaler Bedeutung. 1953 hatte Kambodscha die Unabhängigkeit von Frankreich erlangt. Mit einem gigantischen Modernisierungsprogramm versuchte Staatsoberhaupt Norodom Sihanouk das Land auf internationales Parkett zu befördern. Universitäten wurden gebaut, Ministerien, Kulturbauten und eben Sportstätten. Unter der Leitung des 1957 zum Chefarchitekten des Landes ernannten, in Paris ausgebildeten Vann Molyvann entstand eine Architektur, die Ideen der europäischen Moderne mit lokalen Traditionen zu einer spezifisch kambodschanischen Moderne verschmolz (Bauwelt 30.2009). Sihanouk nutzte die Einweihung des Stadions am 12. November 1964, um 100.000 Zuhörern das neue Selbstverständnis des Landes zu vermitteln: „We have proved our capacity to transform our ancient kingdom into a modern nation.“ Wären die für 1963 angesetzten Southeast Asian Games, für die das Stadion errichtet wurde, nicht abgesagt worden, hätte das Vorhaben allerdings mit einer Blamage geendet – fertiggestellt wurde der Komplex unter größter Anstrengung und wohl erheblichen Budgetüberschreitungen mit einem Jahr Verspätung. Vann Molyvanns Frau Trudy schilderte 2001 in einem Interview, wie das Projekt begann: „One day, Prince Norodom Sihanouk phoned: We will have the Southeast Asian Games in Phnom Penh in 18 months and you have to complete the stadium by then.“ Vann Molyvann stellte in kürzester Zeit ein internationales Team zusammen. Der Aufwand war gigantisch und stellte für den damaligen Stand der Bautechnik im Land eine echte Herausforderung dar: 40 Hektar Land mussten nahezu vollständig umgewälzt werden – von Hand und mit Ochsenkarren, da das Baugrundstück Sumpfgebiet war. Allein für die Tribüne mussten 500.000 Kubikmeter Erde aufgehäuft werden. Um den Bauprozess zu beschleunigen, wurden möglichst viele Teile vorgefertigt, die Aluminiumverkleidung der Halle kam sogar aus Frankreich. Der Komplex besteht aus mehreren Bauteilen: dem Stadion mit 60.000 Sitzplätzen, ei­ner Tribüne für 8000 Zuschauer, der Sporthalle für ebenso viele Besucher, aus Restaurants, einem Schwimmbecken mit Tribüne für wiederum 8000 Zuschauer und einem Podium für die Medaillengewinner und das Olympische Feuer. In Analogie zu den Tempelanlagen von Angkor sind die einzelnen Bereiche von Westen nach Osten symmetrisch aufgereiht. Umgeben sind die ineinander übergehenden Bauteile von großzügigen Freiflächen, die 24 Tennis-, Volleyball- und Basketballplätze beinhalten wie auch Bereiche für das Wassermanagement – allein ein Sechstel der Außenanlagen besteht aus Wasserrückhaltebecken und Versickerungsflächen.
Nach seiner Eröffnung wurde das Stadion für vielfältige Aktivitäten genutzt. 1966 war es Austragungsort der „Games Of The New Emerging Forces“, Charles de Gaulle hielt im selben Jahr vor Zehntausenden Besuchern eine vielbeachtete Rede, in der er auch die Neutralität Kambodschas im Vietnamkrieg lobte, und es fand eine Vielzahl kultureller Ereignisse statt. Mit der Machtübernahme durch Lon Nol änderte sich das dramatisch: Das Stadion wurde zum Feldlazarett, von hier aus verließen die letzten Hubschrauber der amerikanischen „Operation Eagle Pull“ Phnom Penh im April 1975 kurz vor dem Einmarsch der Roten Khmer. Diese machten das Feld zum Hinrichtungsplatz. Nach dem Sturz der Roten Khmer lag das Stadion lange Zeit verwaist da, bis Kambodscha sich in den 90er Jahren zu erholen begann. Seither wurde es mal geschlossen, mal – nach massiven Protesten der Bevölkerung – wieder geöffnet, dann teilweise renoviert und schließlich auch wieder für Sportveranstaltungen genutzt.
Ringsum ist jetzt ein neues Großprojekt im Bau: Olympia City soll 2016 weitgehend fertiggestellt sein. Insgesamt dreizehn Büro- und Wohnhochhäuser, 150 Geschäftshäuser und ein „moderner Supermarkt“ auf sieben Geschossen sind geplant; Hauptinvestor ist OCIC, die Overseas Cambodian Investment Corporation, mit Sitz in Phnom Penh. Die beiden höchsten Gebäude sollen 45 und 55 Geschosse hoch in den Himmel ragen, der Baubeginn steht aber noch nicht fest – derzeit wird der Baugrund untersucht und die Marktlage sondiert. Wohnungen in Olympia City kosten je Quadratmeter 1500 US-Dollar. Zur Einordnung: Fast 80 Prozent der Bevölkerung haben weniger als zwei Dollar pro Tag zur Verfügung.
Olympia City ist nicht das erste Projekt auf dem Gelände. Bereits 2000 kursierte das Gerücht, das gesamte Areal sei an einen taiwanesischen Investor verkauft. Ein Teil des für die Raumwirkung der Anlage so wichtigen Platzes vor der Sporthalle wurde Anfang 2000 bebaut, auf vielen Freiflächen stehen mittlerweile Gebäude. 2012 wurde auf dem östlichen Teil der ehemaligen Wasserreservoirs der Sitz des Nationalen Olympischen Komitees eröffnet, für 2014 angesetzt ist der Baubeginn des Times Center; auf der letzten verbliebenen Freifläche im Westen des Stadions sollen mehrere, bis zu 40-geschossige Hochhäuser errichtet werden. Und: Bereits 2012 wurden Pläne für den Neubau eines Olympia-Parks unter staatlicher Führung am Stadtrand von Phnom Penh publik. Für das Stadion wird es also im wahrsten Sinne des Wortes eng. Die Baumassen von Olympia City degradieren das Areal schon jetzt zum Hinterhof. Beim Gang über die Tribüne spürt man fast körperlich die Macht der heranrückenden Hochhäuser. Wo sich noch vor wenigen Jahren das Stadion aus der umliegenden, nur niedrig bebauten Stadt majestätisch erhob, wird es bald eingezwängt sein zwischen Wolkenkratzern. Mögen die Bauten des Ensembles auch noch stehen – mit dem Verlust des Umfelds ist der Gesamtkomposition bereits schwerster Schaden zugefügt worden. Darüber hinaus ist die ökologische Wirkung der Freiflächen verloren – eine Katastrophe, wird Phnom Penh doch wegen völlig vernachlässigtem Wassermanagement regelmäßig von Überschwemmungen heimgesucht.
Im Mai letzten Jahres hatte ich die Ehre, den heute 86-jährigen Architekten Vann Molyvann in seinem Haus in Phnom Penh besuchen zu dürfen. Als ich fragte, welches seiner Werke er rückblickend am meisten schätze, kam es wie aus der Pistole geschossen: „The stadium, for sure!“ Doch er zeigte wenig Hoffnung für die Zukunft seines Meisterwerks und prophezeite mir den Abriss schon für die Zeit nach den Wahlen im Sommer 2013. Zu viele seiner „Kinder“, wie er seine Bauten nennt, sind bereits verloren. Zwar haben Helen Grant-Ross und Darryl Collins mit ihrem Buch „Building Cambodia: New Khmer Architecture 1953–1970“ eine erste Darstellung dieser Epoche geleistet; auch beschäftigt sich inzwischen eine wachsende Zahl internationaler Wissenschaftler, Architekten, Fotografen und Initiativen mit der Aufarbeitung dieses Erbes – doch dass diese Aktivitäten auf die Wertschätzung der Khmer-Moderne im Lande irgendeinen Einfluss haben, ist bislang nicht zu erkennen. Mag sein, dass ein solcher Prozess in einem Land wie Kambodscha dauert. Dass das Stadion von Phnom Penh diese Warteschleife übersteht, ist jedoch nicht zu erwarten. Dabei ist es mit seiner architektonischen Qualität, seiner Entstehungs- wie auch seiner Nutzungsgeschichte Zeugnis des wechselhaften Schicksals des Landes wie kaum ein anderes Bauwerk. Der Abriss wäre ein großer Verlust, nicht nur für Kambodscha.
Fakten
Architekten Molyvann, Vann, Phnom Penh
aus Bauwelt 9.2014
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