Bauwelt

Von der Volkshochschule ins Museum

Ein opulentes Ausstellungsprojekt in Berlin, Hannover und Essen ruft die legendäre Kreuzberger „Werkstatt für Photografie“ ins Gedächtnis

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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    Michael Schmidt, Müller-/Ecke Seestraße, 1976–1978, aus: Berlin-Wedding, 1979
    Foto: © Stiftung für Fotografie und Medienkunst mit Archiv Michael Schmidt

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    Michael Schmidt, Müller-/Ecke Seestraße, 1976–1978, aus: Berlin-Wedding, 1979
    Foto: © Stiftung für Fotografie und Medienkunst mit Archiv Michael Schmidt

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    Links: Wendelin Bottländer, Ohne Titel, 1980, aus: Stadtlandschaften.
    Rechts: Philipp Scholz Rittermann, Hainholzer Ziegelei, Schulenburg, Hannover, 1981, aus: Nocturnes, seit 1980
    Fotos: © Wendelin Bottländer; Sprengel Museum Hannover © Philipp Scholz Rittermann

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    Links: Wendelin Bottländer, Ohne Titel, 1980, aus: Stadtlandschaften.
    Rechts: Philipp Scholz Rittermann, Hainholzer Ziegelei, Schulenburg, Hannover, 1981, aus: Nocturnes, seit 1980
    Fotos: © Wendelin Bottländer; Sprengel Museum Hannover © Philipp Scholz Rittermann

Von der Volkshochschule ins Museum

Ein opulentes Ausstellungsprojekt in Berlin, Hannover und Essen ruft die legendäre Kreuzberger „Werkstatt für Photografie“ ins Gedächtnis

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Wer in den letzten Jahren eine Volkshochschule besucht hat, um einen Kurs für was auch immer zu belegen, mag dort gut gelernt haben, mag ebenso freundlichem wie kompetentem Lehrpersonal und sympathischen Kursteilnehmern begegnet sein. Allein, eine Institution zu besuchen, von der ein nationales Beben im jeweiligen Fachgebiet ausgehen könnte, ist ihm dabei vielleicht nicht gerade in den Sinn gekommen.
Vor vierzig Jahren war das anders. Nicht überall, gewiss, wohl aber in Berlin-Kreuzberg, wo der Fotograf Michael Schmidt die „Werkstatt für Photographie“ leitete. Und eine Schule des Sehens begründete, die zusammen mit und in Abgrenzung von der Düsseldorfer Becher-Schule und im Austausch mit den amerikanischen Fotografen aus dem Kreis der „New topographics“ der Wahrnehmung der Fotografie als Kunstform in der Bundesrepublik zum Durchbruch verhelfen sollte. Ein monumentales, über drei Stationen vom Berliner Bahnhof Zoo bis ins Ruhrgebiet gespanntes Ausstellungsprojekt und ein nicht minder kolossaler Katalog rufen die Werkstatt ins Gedächtnis und gehen dem Schaffen der von ihr geprägten Fotografen nach.

Kreuzberg – Amerika

Beginnen wir am Bahnhof Zoo. Auf dessen Westseite zeigt die Galerie C/O Berlin den von Thomas Weski und Felix Hoffmann kuratierten Ausstellungsteil „Kreuzberg­ – Amerika“. Und wie der Titel vermuten lässt, steht der Brückenschlag von West-Berlin über den Atlantik im Fokus. Kaum zu glauben, aber tatsächlich fanden damals Größen wie Robert Adams, Lewis Baltz, Larry Clark, William Egglestone oder Stephen Shore den Weg an die Kreuzberger Volkshochschule, um dort ihren Ansatz einer subjektiven Dokumentarfotografie vorzustellen – sei es mit einer Ausstellung, sei es gar mit einem Workshop.
In vielen Fällen war das der allererste Kontakt der deutschen (Fach-)Öffentlichkeit mit den jüngeren Strömungen der amerikanischen Fotografie. Und der Austausch fand in beide Richtungen statt: John Gossage etwa machte nicht nur das geteilte Berlin zum Gegenstand einer fotografischen Erkundung in schwärzestem Schwarz, sondern auch die Berliner Fotografen in den USA bekannt. Die von ihm ko-kuratierte Ausstellung „Fotografie aus Berlin“ wurde 1984 in New York, Washington DC und Riverside gezeigt.
Den Auftakt der Schau bei C/O Berlin aber bildet eine Serie des Werkstatt-Gründers Michael Schmidt, „Berlin-Wedding“ aus den Jahren 1976–78, in der der Fotograf Stadtansichten und Porträts von Mitarbeitern des Bezirksamt in ihrem beruflichen und privaten Kontext kombinierte. Ein passender, wenngleich nicht überraschender Einstieg – ist der subjektive Blick auf die (Stadt-)Landschaft wie auf den Menschen doch eine wiederkehrende Haltung. Danach aber folgen Bilder und Namen, die wohl auch thematisch einschlägig Interessierte nicht auf Anhieb mit der Werkstatt in Verbindung bringen, wie etwa die in den 80er Jahren auf der anderen Seite der Mauer arbeitenden Fotografen Thomas Florschuetz, Gundula Schulze Eldowy und Ulrich Wüst, die die Schmidt-Schüler Gosbert Adler und Wilmar Koenig Mitte der 80er Jahre für das Ausstellungsprojekt DDRFOTO zusammenbrachten.

Das rebellische Bild

Zu jener Zeit hatte Michael Schmidt die Werkstatt-Leitung bereits in die Hände seiner Schüler gelegt und in Essen an der Universität-Gesamthochschule einen weiteren Einflusskreis gezogen. Folgerichtig ist der zweite Teil des Ausstellungsprojekts, „Das rebellische Bild“ tituliert, im dortigen Museum Folkwang zu sehen. Die von Florian Ebner kuratierte Schau zeigt den Impuls von Schmidt als Dozent, aber auch wie sich die von ihm unterrichteten Fotografen ihren eigenen Weg suchten, zwischen dem distanzierten Blick der „Düsseldorfer“ und der kommerziell verwertbaren High-Skill-Fotografie, gegen die die jungen Bildautoren vor allem rebellierten.
Im schon damals vom Strukturwandel gezeichneten Ruhrgebiet war das ein fast zwangsläufiger Ansatz, denn Glamour und konventionellen Schönheitsidealen nahe kommende Motive waren schwer aufzutreiben zwischen Oberhausen und Dortmund. Und vom Pathos der Schwerindustrie, die von den 20er Jahren bis in die Nachkriegszeit hinein die Region als ergiebigen Bildfundus des technischen Fortschritts, des Maschinenzeitalters und der Massengesellschaft adelte, war auch nicht mehr viel übrig.
Der 1981 im Museum Folkwang gezeigte Zyklus „Aspekte der Großstadt“ verdeutlicht den grauen Alltag in den wiederaufgebauten Städten Deutschlands, von Thomas Deutschmanns Hannoveraner „Genossenschaftswohnungen“ bis hin zu Wilhelm Schürmanns in Dortmund entstandener Serie „Bilder einer Straße“. Andere Ansätze mussten gefunden werden. „Da ging einmal ein Mann ins Büro und traf unterwegs einen anderen, der ein französisches Weißbrot gekauft hatte und sich auf dem Heinweg befand. Das ist eigentlich alles“, verwendete Max Schulz ein Zitat des russischen Schriftstellers Daniil Charms als Katalogkommentar zu seinen Bildern in der Ausstellung über „13 junge Fotografen“, die 1980 in der Essener Volkshochschule gezeigt wurde.

Und plötzlich diese Weite

Das Museum Folkwang war auch damals schon eine Institution mit großer Ausstrahlung, ein Museum allein aber ist noch keine Fachöffentlichkeit – dazu bedarf es weiterer Ausstellungsorte, Vermittlungsmedien, Diskussionsplattformen. In jenen vergangenen, prä-digitalen Zeiten kam Fachzeitschriften eine entsprechende Bedeutung zu, aber auch privaten Galerien. Beiden widmet sich in diesem Zusammenhang das Sprengel Museum Hannover im dritten Teil mit dem Titel „Und plötzlich diese Weite“.
Unmittelbar verständlich wird dieser Titel mit Blick auf die Rolle der von 1922 bis 1981 in Luzern produzierten Zeitschrift Camera. Ihr Chefredakteur wurde 1965 der gerade dreißigjährige Amerikaner Allan Porter, der, in der Heimat bestens vernetzt, die Leser mit aktuellen Positionen der amerikanischen Fotografie bekannt machte, aber auch den Blick zurück auf die frühe Avantgarde richtete. Anlass für die Wahl des Sprengel Museums als dritter Ausstellungsort aber sind die beiden in Hannover selbst ansässigen Fotogalerien Spectrum (ab 1972) und Novum/Oktogon (ab 1980), letztere hervorgegangen aus einem Ausstellungsprojekt junger Fotografen der Fachhochschule Hannover und mit engen Kontakten nach Essen und Berlin.
Wer will, kann den Besuch aller drei Ausstellungen an einem Tag absolvieren: Ausgeschlafen beginnend um 10 Uhr im Museum Folkwang, ist man mit dem 12:23 Uhr-ICE um 14:45 Uhr im Sprengel Museum; von Hannover aus fährt um 16:31 Uhr ein ICE weiter nach Berlin, mit Ankunft am Hbf um 18:09 Uhr. Doch aufgepasst, wer die Reise in umgekehrter Richtung unternehmen möchte: Während die Galerie C/O täglich bis abends um acht geöffnet ist, schließt das Museum Folkwang dienstags, mittwochs, samstags und sonntags schon um sechs!

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