Was ist das, die Krise?
"We-Traders", eine Arbeitsausstellung in fünf Städten
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Was ist das, die Krise?
"We-Traders", eine Arbeitsausstellung in fünf Städten
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Wie gehen südeuropäische Städte mit der Krise um? „We-Traders“, ein Projekt des Goethe-Instituts, erforscht diese Frage mit einer ungewöhnlichen Versuchsanordnung. Die Kuratorinnen Angelika Fitz und Rose Epple bringen 25 städtische Initiativen aus fünf Ländern an einen Tisch und lassen sie gemeinsam eine Ausstellung erarbeiten, ja sogar ein Manifest formulieren.
In Deutschland kennt man die Eckdaten der Krise vor allem aus den Medien: Arbeitslosigkeit, Immobilienblase, Sparpolitik. In Portugal und in Spanien, den beiden ersten Stationen dieses Projekts, ist fast jeder persönlich von „der Krise“ betroffen. Viele jüngere Architekten und Planer gehen nach Nordeuropa, manche finden Arbeit in den ehemaligen Kolonien in Südamerika und in Afrika. Spricht man mit denen, die bleiben, gibt es unterschiedliche Stimmen: „Wir glauben nicht an die Krise. Wir müssen zusammenarbeiten“, sagt ein Architekt aus Madrid. Oder: „Machen wir uns nichts vor: Die Krise war schon lange vor 2008 da. Wir müssen über neue Werte reden, nicht nur über Sparprogramme“, so ein Kommentar aus Lissabon. Das lässt aufhorchen: Sind die krisenerprobten, mit immer knapperen Budgets wirtschaftenden Städte des Südens bald „dem Norden“ einen Schritt voraus? Entwickeln die Stadtbewohner Strategien, auch mit weniger Wohlfahrtsstaat und Planung von oben auszukommen?
Die arbeitende Ausstellung
„We-Traders“ – hinter dem etwas sperrigen Namen verbirgt sich nicht nur ein Ausstellungskonzept, in Wien und Berlin erdacht und von Brüssel aus koordiniert, sondern auch ein einjähriges Vernetzungsprojekt. Das Kuratorenteam reist zu Workshops von Stadt zu Stadt, fünf Initiativen aus jeder Stadt sind eingeladen, sich gegenseitig zu besuchen und gemeinsame Positionen zu erarbeiten. Dass Berlin nun auch zu Südeuropa gehört, muss wohl mit der Dauerkrise an der Spree zu tun haben. Kuratorin Angelika Fitz, die das Prinzip der „Arbeitsausstellung“ von der Kunst entlehnt hat, hat den Prozess ganz weit aufgemacht und sieht ihre Arbeit primär in einer Übersetzungsleistung. Am Ende soll eine Ausstellung stehen, die ab Januar 2014 von Madrid aus durch die beteiligten Städte wandert – und vor allem ein besseres Verständnis dessen, was in diesen Städten vor sich geht. Der Begriff „We-Traders“ bietet die Projektionsfolie: Eigeninitiative und „ein spielerischer Umgang mit wirtschaftlichen Bedingungen“ zeichnet die Projekte aus, so die Kuratorin. Wer das große Wir ist und was verkauft wird, das müssen die Teilnehmer selbst definieren.
Aus der Krise heraus, ohne auf den Staat zu warten
Im Kern geht es dabei um das Verhältnis von Staat und Bürgern, das wird bereits beim ersten Workshop im Oktober in Lissabon deutlich, um die Trennlinie zwischen öffentlichem und privatem Handeln, die immer weniger klar gezogen werden kann. Claus Leggewie, Soziologe und Urgestein der 68er, sitzt in einem temporär genutzten Ladenlokal in der Altstadt und wirft ausgerechnet das Big-Society-Manifest, mit dem die britischen Konservativen 2010 die Wahl gewonnen haben, in die Runde. Anstelle eines großen Staates brauche man nur „communities“ zu stärken, so die Kernaussage, das bürgerschaftliche Engagement würde den Wohlfahrtsstaat am Ende obsolet machen. Die Arbeitsgruppe aus Architekten, Planern und Aktivisten steht wohl kaum in Verdacht, konservativen politischen Ideen anzuhängen. Am Tisch sitzen unter anderen die Gründerinnen einer politischen Wandzeitung, einer Nachbarschaftsküche und eines partizipatorischen Stadtteilprojekts, sowie einige hinzugezogene Diagnostiker aus dem akademischen Bereich. Bis auf letztere sind die Anwesenden Jahrgang 1970 und jünger. Der Tory-Vergleich ist eine Provokation und führt doch mitten ins Thema: Wenn Finanzmärkte und Staaten versagen, bleibt dann nur die Eigeninitiative? Oder brauchen wir einen veränderten politischen Rahmen?
Keine Energie für Bürokratie
Im Bereich der Stadtentwicklung sind zwei Bewegungen zu verzeichnen: Zum einen experimentieren Stadtverwaltungen mit neuen Modellen kommunalen Handelns, etwa mit partizipatorischen Budgets, die ohne bürokratischen Aufwand an lokale Projekte verteilt werden. Das BIP/ZIP-Programm in Lissabon ist ein Vorbild: Die Stadt identifizierte 67 Stadtviertel mit vorrangigen Problemen und stellte ein Budget zur Verfügung, das von Bürgerinitiativen abgefragt werden konnte. 11 Millionen Euro für insgesamt 113 Projekte sind bereits verteilt worden, meist als Mikrobudgets von 50.000 Euros – Geld, auf das auch viele Projektmacher nicht verzichten wollen, der Staat soll weiterhin in die Pflicht genommen werden. Dem steht eine wachsende Zahl von Initiativen gegenüber, die sich als unabhängige „Macher“ verstehen, lieber Crowd-Funding organisieren als öffentliche Gelder zu beantragen und versuchen, ihre eigenen Arbeitsweisen und Wirtschaftskreisläufe zu etablieren. „Proaktiv“ nennt beispielsweise das Madrider Architekturbüro Ellii diese Haltung und damit ist nicht etwa eine neue Joghurtsorte gemeint. Die Stadtverwaltungen beginnen zunehmend, diese Gruppen ernst zu nehmen und auch von ihnen zu lernen.
Wer ist wir?
Kollektive und Selbstverwaltung, das kennen wir doch alles, hört man die Alt-68er raunen. Was ist daran neu? Nichts, aber darum geht es ja auch nicht. Feindbilder wie „der Staat“ haben sich verflüchtigt, zu schwach erscheinen Regierungen gegenüber dem Bankensektor. „Die Krise“ ist weitaus bedrohlicher, und sie lässt sich schwer greifen. „Fühlst du dich verantwortlich für die Krise?“, war eine der Fragen, die auf den Workshops formuliert wurden, oder „Bist du ein Opfer der Krise?“ Von der Beantwortung dieser Fragen hängt es letztendlich ab, ob die Bewohner die Entwicklung ihrer Stadt in die Hand nehmen. Fest steht, dass trotz unterschiedlicher Ausgangslagen und Mentalitäten eine kritische Masse herangewachsen ist, die über monumentale Brandings wie „Kulturhauptstadt“ nur noch müde lächeln kann und von Großveranstaltungen wie Olympia nichts mehr hören will, wie jüngst in München geschehen. Es ist eine große Gruppe, die ganz einfache Fragen stellt.
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