Was übrig bleibt
Fotografien von Sascha Weidner im Sprengelmuseum Hannover
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Was übrig bleibt
Fotografien von Sascha Weidner im Sprengelmuseum Hannover
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Seine Bildanlässe sind alltäglich: nächtliche Situationen einer Stadt, ein junger Mann an einem großen Fenster, immer wieder Natur und noch häufiger Wasser. Und doch ist den Fotografien von Sascha Weidner (1974–2015) eine magische Entrücktheit eigen, häufig melancholisch, manchmal dramatisch. Sie scheinen wie selbstverständlich zwischen der Abbildqualität eines technischen Mediums und der radikalen Freiheit einer künstlerischen Disziplin zu oszillieren, sind noch objektives Bilddokument und bereits höchst subjektives Weltempfinden gleichermaßen.
Wer Sascha Weidner jemals begegnet ist, verspürte seinen rastlosen Schaffensdrang, der sich während und nach seinen mit Auszeichnung absolvierten Studien an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig in vielen Auslandsstipendien und zahllosen Reisen kaum stillen ließ. Er sei ein Getriebener, ein romantisch bewegter Reisender, unruhig wie bei dem ersten Schrei auf dieser Welt, sagte Sascha Weidner in einem kleinen, 2013 erschienenen autobiografischen Film.
Dieser immerwährenden Suche verdankt die Fotografie auch Reflektionen ihrer eigenen, aktuellen Disposition. Dabei operierte Sascha Weidner stets mehr-, zumindest doppeldeutig. Wenn er ausstellte, komponierte er aus seinen Fotografien komplexe erzählerische Tableaus oder große, dreidimensionale Installationen. Er ging an die Schmerzgrenze des Zeigbaren, bezog Porträts seiner sterbenden oder gerade verstorbenen Eltern ein.
Er konnte aber auch, ganz lapidar, Teile seines Bildarchivs, einfach nur nach Farben sortiert, als großen chromatischen Spannungsbogen über die Wände eines Raums ziehen lassen, die Abzüge zudem zur freien Entnahme anbieten. „Was übrig bleibt” war der Titel dieser zweimal inszenierten Ausstellungsaktion, die nicht nur die ästhetischen Vorlieben ihrer Besucher registrierte, sondern auch, was geschieht, wenn ein Fotograf seinen Bildkosmos entäußert. Was blieb, war die erste, dem Betrachter stets verborgen bleibende Wirklichkeit. Sie konnte nur Sascha Weidner selbst erleben: der Moment, wenn sich für ihn ein Stück der Welt zu einem Bild verdichtet. Seine Fotografien, eine zweite Wirklichkeit, sind deshalb in der Regel mit „II” im Titel bezeichnet.
2016 erschien der von Sascha Weidner noch selbst konzipierte Bildband „Intermission II”. In einer ersten Nachlasssichtung würdigt derzeit das Sprengelmuseum Hannover, das einen großen Teil seines fotografischen Werks als Schenkung erhielt, den viel zu jung verstorbenen Ausnahmekünstler.
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