„Wir brauchen keine Zukunftsmodelle. Die Utopie ist hier“
Interview mit Estudio SIC
Text: Kleilein, Doris, Berlin
„Wir brauchen keine Zukunftsmodelle. Die Utopie ist hier“
Interview mit Estudio SIC
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Vom Monument (Bauwelt 15–16.07) zum Mapping: Die Architekten betreiben eine Plattform, die Initiativen lokalisiert und vernetzt www.viveroiniciativasciudadanas.net
Mit dem „Monumento del 11-M“ für die Opfer des Anschlages am Madrider Bahnhof Atocha haben Sie 2009 den Bauwelt-Preis gewonnen. Wie sieht das Monument heute aus?
Mauro Gil-Fournier | Es könnte besser sein. Die Stadtverwaltung kümmert sich nicht einmal um die einfachsten Dinge wie Reinigung oder Schutz vor Ablagerungen aus der Luft.
Sie betreiben seit einigen Jahren die Internetplattform VIC. Arbeiten Sie nicht mehr als Architekten?
Doch, es sind nur neue, andere Projekte und Arbeitsweisen dazugekommen.
Worum geht es bei Internetplattform?
Ein Kurator hatte 2008 fünf junge Architekturbüros dazu eingeladen, Zukunftsmodelle für die Stadt Madrid zu bauen. Wir haben angefangen, zu recherchieren und festgestellt, dass in der Stadt viele Dinge gleichzeitig laufen. Es gibt jede Menge umweltaktive, nachbarschaftliche und kommerzielle Bürgerinitiativen, und wir dachten: Die Utopie ist hier. Anstatt schöne Modelle zu bauen, haben wir im Madrider Stadtteil Legazpi ein Büro eingerichtet, das die Initiativen der Stadt miteinander vernetzt, und wir haben es „Vivero de Iniciativas Ciudadanas“ genannt, die Baumschule für städtische Initiativen.
Und heute arbeiten Sie vor allem virtuell?
Das physische Büro hat auf Dauer wenig Sinn gemacht, deshalb haben wir eine Internetplattform aufgebaut. Nach zwei, drei Jahren hatten wir ein ausgedehntes Netzwerk verschiedener Agenten, nicht von Architekten, sondern von Bürgern der Stadt. Dann wurde uns klar, dass wir in diesem virtuellen Raum vieles gelernt haben, das wir auf den Stadtraum übertragen können. Aber das ist etwas ganz anderes als die herkömmliche Arbeit von Architekten, bei der man eine Bauaufgabe bekommt und diese abarbeitet.
Können Sie mir ein Beispiel geben?
Wenn die Stadtverwaltung an einem Ort ein Projekt vorhat, kann man durch unser Mapping sehen, welche Leute dort bereits arbeiten. Zum Beispiel gibt es eine Nachmittagsbetreuung für Kinder und es gibt den Fahrradverein, der die am wenigsten befahrenen Wege kartiert hat. Diese Leute haben lokales Wissen, egal ob sie für die öffentliche Hand arbeiten oder privat. Mit diesen Initiativen zusammen die Stadt zu bauen, das ist wirklich urbanistisch. Es geht nicht um die Lösung, sondern darum, einen Prozess zu gestalten, an dem die richtigen Leute beteiligt sind. Man muss herausfinden, ob etwa ein Museum überhaupt das beste Objekt für die Stadt und die Bewohner ist, oder ob es etwas anderes sein soll.
Übernehmen Sie da nicht eine Aufgabe der Stadtverwaltung?
In gewisser Hinsicht handeln wir wie eine Institution, und viele Leute sehen uns auch so, aber wir sind keine. Wir bekommen lediglich für einige Projekte Geld von der Stadt.
Hat diese Arbeitsweise mit der Finanzkrise begonnen, die Spanien ja stark getroffen hat?
Nein, das war vor der Krise. Die Lage war schon vorher sehr angespannt. Einige Architekten beklagen sich etwa über die Wohnungspolitik, aber wir gehören zu denen, die versuchen, Dinge anders zu machen. Es gibt mittlerweile eine große Gruppe, die sich von der traditionellen Architekturauffassung entfernt hat; die weiß, dass Architektur mehr ist als Häuser bauen, nämlich Öffentlichkeit herstellen.
Mit welchem Begriff würden Sie Ihre Arbeitsweise beschreiben? Partizipation?
Wir sprechen nie über Partizipation. Das ist ein Wort für Behörden, um damit Beratungen oder Abstimmungen zu bezeichnen. Aber eine Abstimmung ist kein wirklicher Diskussionsprozess, die Dinge sind viel komplexer. Wir sprechen eher von Ermutigung oder Befähigung. Es geht nicht mehr um Top-down-Entscheidungen oder Bottom-up-Prozesse.
Worum geht es dann?
Wir sprechen lieber von Middle-out-Methoden. Es geht um gegenseitige Verantwortlichkeit. Die Bürger sollen während des ganzen Entscheidungsprozesses dabei sein, sie sollen sich dem Projekt verpflichtet fühlen. Und die Stadtverwaltung muss sie ernst nehmen.
Viele arbeitslose Architekten gehen derzeit nach Nordeuropa. Wohin blicken Sie?
Wir arbeiten gerade an einem Projekt in Mannheim mit einer sehr aufgeschlossenen Stadtverwaltung. Aber auch anderswo gibt es innovationsfreudige Städte, die digitale Instrumente nutzen, wie etwa Medellin in Kolumbien. Unser Netzwerk spannt sich bis nach Südamerika. Europa ist zwar näher, aber für uns persönlich manchmal auch sehr weit weg.
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