Wohnen auf TXL
Wenn der Flughafen Berlin-Tegel geschlossen wird, sollen an seinem östlichen Rand 5000 Wohnungen entstehen. Der Siegerentwurf des städtebaulichen Wettbewerbs zum neuen Schumacher-Quartier liefert Standardware
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Wohnen auf TXL
Wenn der Flughafen Berlin-Tegel geschlossen wird, sollen an seinem östlichen Rand 5000 Wohnungen entstehen. Der Siegerentwurf des städtebaulichen Wettbewerbs zum neuen Schumacher-Quartier liefert Standardware
Text: Meyer, Friederike, Berlin
5000 neue Wohnungen. Das klingt viel und wenig zugleich. Wenig ist es für die Stadt Berlin, die bis zum Jahr 2020 mit 140.000 mehr Einwohnern rechnet. Viel ist es für ein einziges innerstädtisches Quartier, das von Grund auf neu entsteht. Möglich macht dies die Schließung des Flughafens Tegel, die, wenn nicht wieder etwas dazwischen kommt, im Jahr 2018 stattfindet. Am östlichen Teil des Flugfeldes, zwischen dem geplanten Industrie- und Forschungspark „Berlin TXL – The Urban Tech Republic“ und dem Kurt-Schumacher-Platz hat das Land Berlin 48 Hektar für das neue Schumacher-Quartier ausgewiesen. So entspannt die Quartiersplanung auf einem ehemaligen Flugfeld auch klingen mag, so herausfordernd wird sie durch zwei stark befahrene Straßen, die das Gebiet von Ost nach West durchziehen bzw. im Süden begrenzen. Während im Westen künftig eine weite Heidelandschaft angrenzt, galt es im Osten den Anschluss an das Nahversorgungszentrum um den Kurt-Schumacher-Platz zu finden.
15 Teams aus Architekten, Stadtplanern und Landschaftsarchitekten waren in der ersten Runde aus 81 Teilnehmern ausgewählt worden, ihre Vorschläge zu überarbeiten. Die Wettbewerbsaufgabe liest sich wie der übliche anspruchsvolle Wunschzettel: Urban, sozial, lebendig und funktional gemischt soll das neue Quartier sein, nachhaltig und zukunftsweisend, ins Stadtgefüge integriert, an Grün- und Landschaftsräume angebunden, modellhaft und innovativ, mit gelungenen baulich-räumlichen sowie sozioökonomischen und ökologischen Strukturen, mit kleinteiliger, funktionaler Mischung, bautypologischer Vielfalt und einem breit gefächerten Wohnungsangebot. Auf den 12 Seiten der Auslobung, in der die Ansprüche formuliert sind, gibt es Absätze zu kriminalpräventiven Aspekten und zur geplanten DGNB-Zertifizierung. Die geplanten 5000 Wohnungen sollen unterschiedlichste Wohnformen ermöglichen – für Familien, generationsübergreifendes Wohnen bis hin zum Studierenden. Im Rahmen der Quartiersentwicklung sind sechs Kindertagesstätten mit jeweils 100 Plätzen geplant, eine Grundschule, eine weiterführende Schule mit Oberstufe und eine Jugendfreizeiteinrichtung.
Wer sich unter diesen Prämissen die Siegerarbeit von scheuvens + wachten, plus planungsgesellschaft und WGF Landschaft anschaut, gerät ins Grübeln, steht sie doch auf den ersten Blick in einem argen Missverhältnis zum formulierten Anspruch. Eine 5-geschossige Blockrandbebauung ist da gemetert, entlang der beiden Straßen und um einen dreieckigen Platz, der die knifflige Geometrie des Gesamtgeländes abfängt. Das wird funktionieren. Doch bietet das Gebiet nicht die Gelegenheit, auch alternative Wege im Wohnungsbau zuzulassen um nicht zu sagen zu fördern? „Seine ‚Normalität‘ und Unaufgeregtheit ist sein Plus“, urteilte die Jury. Der Entwurf sei ein präzises Gerüst, das wie beiläufig gut dimensionierte Baufelder mit unterschiedlichen Charakteren erzeuge, das aber dem Innovationsanspruch nicht genügend Rechnung trage.
Auch die platzierten Arbeiten lassen vermuten, dass die Jury jeglichen Versuch, andere städtebauliche Typologien als den Block zu implementieren, kategorisch aussortiert hat. Das Team um Stadt Land Fluss (2. Preis) arbeitet mit sehr kleinen Blöcken. Ihre Größe ermögliche differenzierte Wohntypologien, zu den Rändern der großen Straßen erscheinen sie jedoch unangemessen, so die Jury. Auch der Entwurf vom Team um das Octagon Architekturkollektiv (3. Preis) orientiert sich am traditionellen Berliner Kiez-Block mit unterschiedlichen Höhen. Eine Grünachse mit sozialer Infrastruktur und Nahversorgung, durch drei unterschiedliche Plätze strukturiert, durchzieht das Areal von Ost nach West. Auch die drei Anerkennungen haben sich am Blockthema abgearbeitet, wobei der Vorschlag von Cityförster noch am meisten experimentiert und die Tegeler Stadtheide als Landschaftspark durch das Gesamtgelände hindurch verlängert.
Ist es den vielen Interessen und Stimmen einer solchen Jury geschuldet, dass hier wie so oft das Bewährte und Pragmatische gewonnen hat? Können städtebauliche Wettbewerbe überhaupt dabei helfen, mutigen Konzepten eine Chance zu geben? Es gab sie, die Entwürfe aus Zeilen und Clustern mit sehr differenzierten Räumen, doch sie schieden spätestens im 2. Rundgang aus.
Die direkt an der Planung Beteiligten, wie Philipp Bouteiller, Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH, geben sich optimistisch. Der Siegerentwurf biete einen robusten Rahmen, in dem noch alles möglich sei. In Workshops gelte es nun, gemeinsam mit den Preisträgern und Experten Aspekte wie zum Beispiel Energiethemen und Verkehrsführung zu erarbeiten. Dabei wolle man auch diskutieren, inwiefern die von Bundesministerin Barbara Hendricks angekündigte neue Kategorie im Planungsrecht, das Urbane Gebiet, Anwendung finden und somit z.B. auch produzierendes Gewerbe im Wohngebiet ermöglichen kann. Die Baufelder sollen je zur Hälfte von privaten Investoren und drei landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften entwickelt werden, sagt Bouteiller.
Nach diesen Aussagen scheint ein Quartier, wie es die Auslobung wünscht und wie es Berlin dringend braucht, möglich. Das aber setzt voraus, dass Genossenschaften, kleine private Initiativen und alle anderen, die Wohnexperimente wagen wollen, beteiligt werden und die Baufelder nicht allein nach Preis und Unternehmensgröße, sondern auch nach Konzept vergeben werden.
0 Kommentare