Ad acta
Text: Harmel, Eleonore, Berlin
Ad acta
Text: Harmel, Eleonore, Berlin
Der Wettbewerb zur Erweiterung der Stadtbibliothek in Stockholm liegt inzwischen drei Jahre zurück. Über tausend Architekten hatten ihre Entwürfe eingereicht – die deutsche Architektin Heike Hanada gewann. So bald wird sie ihren Riegel aber nicht bauen.
Asplunds legendäre Bibliothek in Stockholm soll erweitert werden. Zur Erinnerung: Die Entwürfe für die offene Ausschreibung im Jahr 2006 mussten vor allem das Platzproblem auf dem Grundstück lösen (Hefte 10.07 und 47.07). Ein Raumprogramm von 24.000 mµ sollte neben dem Hauptgebäude aus dem Jahr 1918–27 untergebracht werden. Bewusst ließ die Ausschreibung offen, wie mit den drei Annex-Gebäuden von 1932 zu verfahren sei, denn Raum blieb eigentlich nur unter dem Hügel auf der Nordseite des Grundstücks. Der Entscheidungsprozess für den bis dahin teilnehmerstärksten inter-
nationalen Architekturwettbewerb verlief mustergültig. Die Entwürfe der sechs Finalisten wurden in der Asplund-Bibliothek öffentlich zur Diskussion gestellt, auf der Webseite der Schwedischen Architektenkammer konnten alle angesehen und kommentiert werden. Nach einer viertägigen Preisgerichtssitzung entschied sich eine elfköpfige Jury für den Entwurf der bis dahin unbekannten Architektin Heike Hanada aus Weimar, auch die Vertreter der im Stadtrat sitzenden Parteien stimmten zu. Abgesehen von BIG, Christian Kerez und David Chipperfield waren keine ganz so berühmten Namen unter den 1170 Wettbewerbsteilnehmern, wohl auch wegen des großen Teilnehmerfeldes. Oder ahnten die anderen schon die Brisanz der Aufgabe? Heike Hanada jedenfalls hatte vorgeschlagen, die Annexbauten abzureißen und dafür den Neubau in größtmöglichem Abstand zum Asplund-Gebäude zu platzieren. Das Raumprogramm stapelte sie auf neun Etagen – genauso hoch wie die asplundsche Rotunde. Der Zwischenraum wird von einem eingeschossigen Bau eingenommen, der an die Markthalle erinnert, die Asplund an dieser Stelle seinerzeit geplant hatte. Die Verbindung mit der alten Bibliothek soll unterirdisch erfolgen. Hanada wurde mit der Vorplanung beauftragt. Die Fertigstellung war für März 2013 geplant.
Neue Prioritäten
Im April 2008 wurde der konservative Sten Nordin zum neuen Bürgermeister Stockholms gewählt. Sein Interesse galt weniger der Stadtbibliothek als vielmehr der seit Jahrzehnten geplanten Neugestaltung des Verkehrsknotenpunktes Slussen, an dem über- und unterirdisch mehrere Bahnlinien und Straßen die Schleuse zwischen dem See Mälaren und der Ostsee queren. Im Mai 2009 bekam der Masterplan von Norman Foster und dem schwedischen Büro Berg den Zuschlag für das 800-Millionen-Euro-Projekt. Die Kostenprüfung für die Bibliothek zog sich derweil über mehr als ein Jahr hin. Durch ein neues Berechnungsmodell, in das auch Immobilienwerte und zusätzliche Risikofaktoren für den Überbau der Metro einflossen, stiegen die Kosten um ein Drittel auf 130 Millionen Euro. Einsparungsvorschläge von Heike Hanada, aber auch alternative Finanzierungsmodelle, z.B. über Sponsoren, lehnte die Regierung ab. Im Herbst 2009 wurde das Bibliotheksprojekt mit der Begründung steigender Kosten offiziell auf Eis gelegt.
Prominente Kritiker
Der Beschluss gab jenen Kritikern neuen Auftrieb, die sich kurz nach dem Wettbewerb um die Stockholmer Architektin Elizabeth Hatz formiert hatten. Ihr Protestschreiben „gegen die Zerstörung des herausragendsten Beispiels moderner Architektur in Stockholm“ unterzeichneten u.a. Andrea Deplazes, Kenneth Frampton und Alvaro Siza. Auch ICOMOS, DOCOMOMO und UIA schlossen sich dem Widerstand an, obwohl die Bibliothek nicht auf der Weltkulturerbe-Liste steht. In einem gemeinsamen offenen Brief vom September 2009 kritisieren sie den preisgekrönten Entwurf als viel zu groß und den Abriss der Annex-Gebäude als eine ernsthafte Gefahr „für die Integrität und die kulturellen Werte des gesamten Komplexes und der Umgebung“. Damit stellen sie den gesamten Wettbewerb in Frage, denn ihrer Argumentation nach verträgt der Solitär kein Gebäude in seiner unmittelbaren Nachbarschaft.
Beschuldigungen
Die Stimmen der Gegner sind zwar laut, doch der Bauherr, die Nutzer und auch viele Architekten verteidigen das Projekt. Die schwedische Architektenkammer sieht den pauschalisierten Angriff als ungerechtfertigte Beschuldigung und bezeichnet den Brief als respektlos gegenüber der Architektin, den Bemühungen der Stadt und den Kompetenzen der Jury. Kjetil Thorsen, Jurymitglied und Mitinhaber von Snøhetta, kritisiert besonders das Verhalten der Politiker als „unprofessionell und unethisch“. Der schwedische Denkmalschutz, der das ganze Wettbewerbsverfahren begleitet hat, betont vor allem den Wert der Modernisierung und Erweiterung der alten Bibliothek in Hinblick auf die erwartete Verzehnfachung der Nutzerzahlen. Dies wäre ein erster Schritt zur Wiederbelebung des gesamten Viertels. In Blogs, Foren und Zeitungen wird derzeit weiter über die Angemessenheit des prämierten Wettbewerbsentwurfs und mögliche Standortalternativen für eine neue Bibliothek diskutiert. Anfang März dieses Jahres fand eine Versammlung der Architektenkammer Schwedens statt; daran teilgenommen haben neben Heike Hanada Vertreter der Politik, der Bibliothek, der Stadtplanung und des schwedischen ICOMOS-Komitees. Die Einladung war provokativ formuliert: „Werden wir jemals in der Lage sein, einen offenen Wettbewerb in Stockholm durchzuführen, der nicht unweigerlich in Chaos und Verzögerung endet? Wir erwarten Antworten!“ Die Bibliothek sei zwar baubar, aber es bestünde an ihr kein politisches Interesse, reagierte nüchtern Baufinanzdirektor Roger Mogert. 2012 sind wieder Kommunalwahlen.
nationalen Architekturwettbewerb verlief mustergültig. Die Entwürfe der sechs Finalisten wurden in der Asplund-Bibliothek öffentlich zur Diskussion gestellt, auf der Webseite der Schwedischen Architektenkammer konnten alle angesehen und kommentiert werden. Nach einer viertägigen Preisgerichtssitzung entschied sich eine elfköpfige Jury für den Entwurf der bis dahin unbekannten Architektin Heike Hanada aus Weimar, auch die Vertreter der im Stadtrat sitzenden Parteien stimmten zu. Abgesehen von BIG, Christian Kerez und David Chipperfield waren keine ganz so berühmten Namen unter den 1170 Wettbewerbsteilnehmern, wohl auch wegen des großen Teilnehmerfeldes. Oder ahnten die anderen schon die Brisanz der Aufgabe? Heike Hanada jedenfalls hatte vorgeschlagen, die Annexbauten abzureißen und dafür den Neubau in größtmöglichem Abstand zum Asplund-Gebäude zu platzieren. Das Raumprogramm stapelte sie auf neun Etagen – genauso hoch wie die asplundsche Rotunde. Der Zwischenraum wird von einem eingeschossigen Bau eingenommen, der an die Markthalle erinnert, die Asplund an dieser Stelle seinerzeit geplant hatte. Die Verbindung mit der alten Bibliothek soll unterirdisch erfolgen. Hanada wurde mit der Vorplanung beauftragt. Die Fertigstellung war für März 2013 geplant.
Neue Prioritäten
Im April 2008 wurde der konservative Sten Nordin zum neuen Bürgermeister Stockholms gewählt. Sein Interesse galt weniger der Stadtbibliothek als vielmehr der seit Jahrzehnten geplanten Neugestaltung des Verkehrsknotenpunktes Slussen, an dem über- und unterirdisch mehrere Bahnlinien und Straßen die Schleuse zwischen dem See Mälaren und der Ostsee queren. Im Mai 2009 bekam der Masterplan von Norman Foster und dem schwedischen Büro Berg den Zuschlag für das 800-Millionen-Euro-Projekt. Die Kostenprüfung für die Bibliothek zog sich derweil über mehr als ein Jahr hin. Durch ein neues Berechnungsmodell, in das auch Immobilienwerte und zusätzliche Risikofaktoren für den Überbau der Metro einflossen, stiegen die Kosten um ein Drittel auf 130 Millionen Euro. Einsparungsvorschläge von Heike Hanada, aber auch alternative Finanzierungsmodelle, z.B. über Sponsoren, lehnte die Regierung ab. Im Herbst 2009 wurde das Bibliotheksprojekt mit der Begründung steigender Kosten offiziell auf Eis gelegt.
Prominente Kritiker
Der Beschluss gab jenen Kritikern neuen Auftrieb, die sich kurz nach dem Wettbewerb um die Stockholmer Architektin Elizabeth Hatz formiert hatten. Ihr Protestschreiben „gegen die Zerstörung des herausragendsten Beispiels moderner Architektur in Stockholm“ unterzeichneten u.a. Andrea Deplazes, Kenneth Frampton und Alvaro Siza. Auch ICOMOS, DOCOMOMO und UIA schlossen sich dem Widerstand an, obwohl die Bibliothek nicht auf der Weltkulturerbe-Liste steht. In einem gemeinsamen offenen Brief vom September 2009 kritisieren sie den preisgekrönten Entwurf als viel zu groß und den Abriss der Annex-Gebäude als eine ernsthafte Gefahr „für die Integrität und die kulturellen Werte des gesamten Komplexes und der Umgebung“. Damit stellen sie den gesamten Wettbewerb in Frage, denn ihrer Argumentation nach verträgt der Solitär kein Gebäude in seiner unmittelbaren Nachbarschaft.
Beschuldigungen
Die Stimmen der Gegner sind zwar laut, doch der Bauherr, die Nutzer und auch viele Architekten verteidigen das Projekt. Die schwedische Architektenkammer sieht den pauschalisierten Angriff als ungerechtfertigte Beschuldigung und bezeichnet den Brief als respektlos gegenüber der Architektin, den Bemühungen der Stadt und den Kompetenzen der Jury. Kjetil Thorsen, Jurymitglied und Mitinhaber von Snøhetta, kritisiert besonders das Verhalten der Politiker als „unprofessionell und unethisch“. Der schwedische Denkmalschutz, der das ganze Wettbewerbsverfahren begleitet hat, betont vor allem den Wert der Modernisierung und Erweiterung der alten Bibliothek in Hinblick auf die erwartete Verzehnfachung der Nutzerzahlen. Dies wäre ein erster Schritt zur Wiederbelebung des gesamten Viertels. In Blogs, Foren und Zeitungen wird derzeit weiter über die Angemessenheit des prämierten Wettbewerbsentwurfs und mögliche Standortalternativen für eine neue Bibliothek diskutiert. Anfang März dieses Jahres fand eine Versammlung der Architektenkammer Schwedens statt; daran teilgenommen haben neben Heike Hanada Vertreter der Politik, der Bibliothek, der Stadtplanung und des schwedischen ICOMOS-Komitees. Die Einladung war provokativ formuliert: „Werden wir jemals in der Lage sein, einen offenen Wettbewerb in Stockholm durchzuführen, der nicht unweigerlich in Chaos und Verzögerung endet? Wir erwarten Antworten!“ Die Bibliothek sei zwar baubar, aber es bestünde an ihr kein politisches Interesse, reagierte nüchtern Baufinanzdirektor Roger Mogert. 2012 sind wieder Kommunalwahlen.
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