Bauwelt

Zehnkampf in Madrid

Solar Decathlon Europe

Text: Haberle, Heiko, Berlin

Zehnkampf in Madrid

Solar Decathlon Europe

Text: Haberle, Heiko, Berlin

Der erstmals in Europa ausgetragene Solar Decathlon ist von einer Musterhaussiedlung zu einer Expo für Klimadesign geworden, bei der die vier deutschen Beiträge herausragten. Erfindergeist ließ den Nachhaltigkeitsüberdruss verfliegen und den immer wieder geforderten Spaß am Klimaschutz aufkommen.
Die kleine Solar-Expo von Madrid fand an einem Fluss statt, so wie das Original in Washington DC auch. Wo unterhalb des Palacio Real der Verkehr entlang des Río Manzanares in Tunneln verschwunden ist, fand Ende Juni der erste Solar Decathlon Europe statt. Erst im vergangenen Oktober hatten Studen­ten der TU Darmstadt zum zweiten Mal in Washington den seit 2002 ausgetragenen Wettbewerb des US-Energieministeriums gewonnen (Heft 46.09). In den geraden Jahren wird dieser nun durch einen Ableger in Madrid ergänzt, den die dortige Universidad Politécnica und das spanische Wohnungsbauministerium ausrichten. Nachdem drei Teams ihre Beiträge zurückgezogen hatten, waren 17 Häuser von Hochschulen aus Finnland, Großbritannien, Spanien, Deutschland, Frankreich, China und den USA angetreten.

Eine Disziplin unter zehn: Architektur
 
Was es bei dieser angenehmen Mischung aus Fachmesse, Jahrmarkt und Wettkampf zehn Tage lang zu sehen gab, war das gesamte Arsenal aus dem Klimadesign-Seminar; auf jeweils 75 Quadratmetern aufbereitet zum Betreten, Berühren und Ergebnissemessen. In den nicht empirischen Disziplinen bewerteten dreiköpfige Fachjuries die argumentativ, entwerferisch und technisch sehr unterschiedlichen Konzepte (Architektur: Louisa Hutton, Glenn Murcutt, Francisco Mangado). Hochtechnisierte aktive Systeme standen bewährten passi­ven Strategien gegenüber. Einige Teams gingen die Aufgabe mit architektonischen Mitteln  an, etwa indem sie das Haus mit einer zweiten Hülle umgaben – wie im Fall des Lacaton-Vassal-ähnlichen „Gewächshauses“ der Universitat Politècnica de Catalunya – oder Höfe einschnitten – wie beim Haus der Universidad Cardenal Herrera aus Valencia, das mit seiner geschlossenen Fassade aus weißem Corian und schwarzen Solarmodulen auffiel. Den Studenten der finnischen Aalto Uni­versity, die sich über viel Stahl, Glas und Kunststoff bei den Nachbarn wunderten, gelang ein feingliedriges, fast vollständig aus Holz oder holzbasierten Baustoffen bestehendes Haus. Dieses durfte sich mit dem „Gewächshaus“ und – schwer verständlich – dem späteren Gesamtsieger aus Virginia den Preis für die beste Architektur teilen. Die Amerikaner hatten bereits Unmut ausgelöst, als sie ihr Haus aus dem Vorjahr im praktischen LKW-Format fast fertig heranfuhren, während andere Teams letzte Handgriffe wegen der begrenzten Aufbauzeit nicht mehr erledigen durften. Wiederverwendung ist zwar auch eine Nachhaltigkeitsstrategie, doch der Sieg ergab sich durch vordere Plätze bei Komfort (Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Akustik, Belichtung), Nutzbarkeit (hauptsächlich der Verbrauch der Hausgeräte), Marktfähigkeit und Präsentation. Bei der Nachhaltigkeit belegte Virginia Platz 16. Womöglich war die für Europa erfolgte Schwerpunktverlagerung von der Haushaltspraxis in Richtung Technik, Bauwerk und Ökologie zu zaghaft, denn immer noch hatte das Team größere Sieges­chancen, das die sparsamsten Hausgeräte vorführen konnte. Das Laienpublikum, an das sich der Decathlon als Edutainment-Event ja auch richtet, schien die realitätsnahe Präsentation allerdings zu freuen: Es wandelte wie in einem Möbelhaus.
 
In vielerlei Hinsicht herausragend waren die Häuser der Hochschule Rosenheim (Platz 2), der HFT Stuttgart (Platz 3), der
Bergischen Universität Wuppertal (Platz 6) sowie eines Berliner Teams von HTW, Beuth-Hochschule und UdK (Platz 10); das gestanden auch die spanischen Konkurrenten ein. Hier war der Vorrang des Entwurfs vor der Technik abzulesen, ohne dass bei Photovoltaik und Klimadesign weniger experimentiert worden wäre. Im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern widmeten die Deutschen auch den Innenräumen viel Aufmerksamkeit, wobei der Bezug zur nicht gerade als klimagerecht bekannten Klassischen Moderne auffällt: offene Grundrisse, Installationsblöcke, große Wand- und Glasflächen. Auch die Präsentation der vier Teams wirkte im Hinblick auf Informationsgehalt, Grafikdesign und Selbstvermarktung professioneller als anderswo.

Deutsches Solarwunder
 
Die pragmatischen Rosenheimer entschieden sich gegen Photovoltaik-Experimente. Stattdessen montierten sie die derzeit leistungsstärkste Anlage aufs Dach. Bei der Fassade wurde allerdings kein Aufwand gescheut. Aus 25.000 Einzelteilen entstand ein Relief aus weißen Stahlwinkeln, das an zwei Hausseiten als versenkbarer Sonnenschutz dient. Und das Überraschendste: Es waren keine Architekten beteiligt, denn in Rosenheim werden nur Holzbauer und Innenarchitekten ausgebildet. Bei der Marktfähigkeit belegte das Haus den zweiten Platz, bei Energiebilanz, Nutzbarkeit und Komfort siegte es.
 
Das Stuttgarter Haus fällt durch besonderen Ideenreichtum auf, der Platz zwei für die Solarsysteme, Platz drei für die Nachhaltigkeit und jeweils Siege bei Konstruktion und Innovation einbrachte. An der Fassade gelang die Kombination verschiedener Solarzellentypen, die wegen Leistungseinbußen bisher unüblich ist. Die natürliche Belüftung erfolgte durch eine Koppelung von Verdunstungsturm und Solarkamin, in dem mit Photovoltaik-Lack beschichtete Metallplatten die Zirkulation beschleunigen.
 
Die Wuppertaler stellten mit einer hochwertigen Ausführung und Bauteilen, die allesamt über einen Chip mit Recyclinginformationen verfügen, die Premium-Villa dieses Decathlons vor und belegten damit einen zweiten Platz für die Architektur. Nur bei diesem Beitrag wurde ein Bezug zum Außenbereich geschaffen und die erlaubten fünf Meter Bauhöhe für einen großzügigen Innenraum genutzt.
 
Ansonsten boten nur die Berliner, die diesmal das einzige Satteldach zeigten, einen angenehm hohen Raum an. Die Idee, den First gegenüber dem Grundriss so zu verdrehen, dass sich eine Südausrichtung des Daches ergibt, mag sich erübrigen, wo das Haus frei stehen kann, überzeugt aber architektonisch mit den resultierenden schrägen Dachlinien und den asymmetrischen Giebeln. Mit der Fassade aus abgeflammtem Holz belebten die Studenten eine traditionelle Technik des Witterungsschutzes neu. Die dezent in das Dach eingelassene Photovoltaikanlage und die eigens entwickelten Sonnenschutzpaneele mit integrierten Solarmodulen brachten den Sieg in der Disziplin Solarsysteme.

Was setzt sich durch?
 
Die wenigen architektonischen Ausrutscher waren nicht der solaren Bauweise geschuldet und gingen mit schlechten Resultaten in anderen Disziplinen einher. Die zwei haarsträubenden chinesischen Neubauwohnungen trennten Welten von der Konkurrenz. Schade, dass das Haus aus Tianjin auf der Zielgeraden noch den sympathischen Dreibeiner des Institut d’Arquitectura Avançada de Catalunya überholte, dessen windschlüpfrige Form ein überraschend wohnliches Inneres verbarg. Zumindest erhielt das Haus den Publikumspreis.
 
Oft kamen Phase-Change-Materialien zur Erhöhung der Speichermasse zum Einsatz; zumeist in aktiv angesteuerten Aggregaten, seltener als Zuschlagstoff, so wie in den Lehmbauplatten des Berliner Hauses. Scheinbar Widersprüchliches wurde kombiniert: artifizielle Komponenten mit guten thermischen Eigenschaften wie Polycarbonatplatten oder Vakuumisolationspaneele mit organischen Dämmungen aus Holzfasern oder Hanf. Auch viele Industrieprodukte waren noch eher unbekannt, etwa die Module aus Photovoltaikröhren, die aus jedem Winkel gleich gut bestrahlt werden, oder die Solarthermie-„Bubbles“, in denen das Wasser in einer Schlauchspirale zirkuliert. Weil die Nachhaltigkeitsbranche noch ein sehr beweglicher „Early Market“ ist, seien gerade kleine Unternehmen dankbar für Ideen aus den Unis gewesen. Viele Anwendungen sind also studentische Neu- und Weiterentwicklungen: biegsame Solarzellen, kombinierte Module für Photovoltaik und Solarthermie oder fokussierende Spiegelsysteme. Die Studen­ten demonstrierten, wo derzeit Innovationen stattfinden, und dass Architektur diese befördern kann und muss. Solares Bauen bedeutet keinen Verzicht auf Transparenz, Flexibilität oder Komfort; bedeutet keine Einschränkung der Architektur, sondern eine Befreiung (nicht nur von Heizkörpern). Hinter solch einer beeindruckenden Leistung gerät es fast zur Nebensache, dass die Häuser der Belastungsprobe von geschätzten 190.000 Besuchern standhielten und das Dreifache ihres Energieverbrauchs erzeugten.

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