Bauwelt

Berliner Schloss

Schloss-Einblicke

Text: Boldt, Matthias, Berlin

Berliner Schloss

Schloss-Einblicke

Text: Boldt, Matthias, Berlin

Haben Sie die Diskussionen um die Rekonstruktion der Berliner Schlossfassaden und Schlosskuppel gründlich satt? Wollen Sie vom Humboldt-Forum nichts mehr hören? Dann sind Sie hier richtig. Denn es geht um den aktuellen Planungsstand des drögen Interieurs.
„Einblicke“, eine am 22. Juli im Kronprinzenpalais eröffnete Ausstellung, weckt Neugier. Viel Neues ist aber nicht zu sehen. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass zur Architektur möglichst wenig gezeigt werden soll und über die angeblich schon weit entwickelte inhaltliche Konzeption nicht berichtet werden kann. Eine Ausstellung mag man es jedenfalls kaum nennen. Eher ist es eine Showroomatmosphäre, doch selbst als solche bleibt es hinter dem zurück, was Investoren, die ein paar Luxuswohnungen verkaufen wollen, üblicherweise so bieten. Bauherrenstolz sieht anders aus. Offenkundig ist vielmehr der gewisse Kleinmut einer föderalen, durchbürokratisierten Planung, die sich mit den großen Gesten schwertut. Eventuell könnte man auch den im Juni verkündeten Sparbeschluss der Bundesregierung dafür verantwortlich machen: „Friede den Hütten, Krieg den Schlössern“, so ähnlich rief man vom Kanzleramt herüber. Doch der Ruf war noch nicht verhallt, da wurde ihm durch den zuständigen Minister schon widersprochen. In Anbetracht des Planungsstands kann man sich unschwer ausrechnen, dass es früher sowieso nichts geworden wäre. Da also weder wirklich gespart noch verschoben wird, erweist sich der Regierungsbeschluss als doppelte Unwahrheit. In lebenspraktischer Anwendung der im Grunde rätselhaften Regel, dass minus mal minus plus ergibt, resultiert daraus immerhin der erste, halbwegs realistische Zeitplan für das Projekt.
 
Auch über das Programm der „geistigen Mitte der Nation“ erfährt man im Showroom der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum nichts Neues: Die Humboldt-Universität präsentiert sich mit einer Leuchtwand, die aus einer anderen Ausstellung stammt. Dass öffentliche Bibliotheken heutzutage über Sonic-Chairs verfügen, ahnten wir schon. Einen solchen hat nun die Zentral- und Landesbibliothek extra für die Ausstellung angeschafft, wo er nun in der Ecke steht. Und die Frage nach dem immer wieder mit großen Worten beschworenen, neuartigen Zusammenspiel von Universität, Bibliothek und Museen vermögen auch ein paar exemplarische Exponate aus den Dahlemer Sammlungen nicht zu beantworten.
 
Die Architektur wird durch das 2008 im Wettbewerb erfolgreiche Modell von Franco Stella präsentiert, das nicht dem aktuellen Planungsstand entspricht; wie der Blick auf die Isometrien im Showroom zeigt. Diese wirken zunächst recht anschaulich, verbergen aber auch viel und sind gänzlich unbeschriftet. Nur mit Hilfe des in der Ausstellung ausliegenden Faltblatts lassen sich einige Funktionen zuordnen. So liegen etwa die Sonderausstellungsräume an der großen Veranstaltungs-Agora – man könnte sie auch schnöde als Foyer bezeichnen – zumindest gut zugänglich. Dieses Foyer, laut Text der Stiftung „eine innovative, spektakuläre, multimediale und in dieser Verbindung vollkommen neue (...) Veranstaltungszone“, ist architektonisch einfallsloser kaum vorstellbar. Anders als bei den barocken Außenfassaden weiß Stellas System von Stützpfeilern und Balken überdies mit den wechselnden Geschosshöhen nicht umzugehen. Die Proportionen wirken zufällig, teilweise verunglückt. Da auch die sonstigen Attraktio­nen wie Gastronomie, Shop und Veranstaltungssäle im Erdgeschoss versammelt sind und im 1. Obergeschoss hauptsächlich Bibliothek und Verwaltung liegen, dürfte sichergestellt sein, dass die Mehrzahl der Besucher die Exponate aus ihrer von Dahlem her gewohnten Ruhe im 2. und 3. Obergeschoss nicht aufschrecken wird. Zumal in keiner Weise erkennbar ist, dass die Besucher zum Aufstieg in die oberen Geschosse animiert werden. Nirgends zeigt sich eine „Schlosstreppe“ oder eine grandiose Rampe. Der Entwurf lebt noch immer hauptsächlich von der städtebaulichen Idee des Schlossforums. Nur im städtebaulichen Lageplan scheint er ganz bei sich zu sein, der Schnitt und alles Dreidimensionale sind ihm fremd.
 
Angesichts der nach oben sichtlich abnehmenden Geschosshöhen, die sich aus den Zwängen der Fassadenrekonstruktion ergeben, stellt sich die grundsätzliche Frage nach der Zuordnung der Funktionen. Wäre die Unterbringung der Museen im 1. Obergeschoss, dem traditionellen „piano nobile“, mit seiner größeren Raumhöhe, der Nähe zu den Sonderausstel­lungsräumen und dem vermutlich betriebsamen Erdgeschoss nicht sinnvoller? Und wäre im Tausch dafür die Bibliothek im 3. Obergeschoss mit weitem Ausblick über Lustgarten, Spree und Schlossplatz nicht viel attraktiver? Oder würde nicht gar eine mehrgeschossige Unterbringung der Bibliothek den so eifrig behaupteten, aber kaum erkennbaren Synergien mit den Museen einen geeigneteren räumlichen Rahmen verschaffen und zugleich eine kompaktere Bibliothek mit möglicherweise geschossübergreifenden Bezügen erlauben?
 
Attraktive Räume sucht man im gesamten, sorgsam geschichteten Gebäude vergebens. Kaum ein mehrgeschossiger Bereich verspricht überraschende Bezüge, die kleinteilige Raumgliederung lässt Blickachsen vermissen. Allein der Kuppelraum birgt ein allerdings noch gänzlich unausgeschöpftes Potential. Ansonsten: überall Trennwände, Treppen, Nebenräume und Stützenreihen. Ach ja, die Stützen. Ob die Ausstellungsmacher über die recht ungewöhnliche Reihe von Mittelstützen im Sonderausstellungsraum und vielen weiteren Ausstellungsräumen glücklich sein werden, wird sich noch erweisen. Mittelstützen scheinen allerdings Stellas vorherrschendes architektonisches Mittel zur Raumgestaltung zu sein. Sie tauchen in verschiedensten Räumen auf und tragen maßgeblich dazu bei, der dreidimensionalen Darstellung im Faltblatt die Anmutung einer römisch-antiken Ruine zu verleihen.
 
Dieses Faltblatt lohnt eine nähere Betrachtung: Auch hier wieder die bloße Addition der beteiligten Institutionen, die mit eigenem Logo antreten und Fragen nach Synergien oder Kooperationen unbeantwortet lassen. Vor allem aber lässt die ungelenke, kleinteilige, ja kleinliche Grafik den großen Atem, den ein solches Projekt unbedingt braucht, vermissen. Das ist eher ein asthmatisches Röcheln, ein (Preußisch-)Blauhusten. 
Fakten
Architekten Franco Stella, Vicenza
aus Bauwelt 32.2010
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