Access for All
Aber bitte nicht den Leser unterschätzen
Text: Haberle, Heiko, Berlin
Access for All
Aber bitte nicht den Leser unterschätzen
Text: Haberle, Heiko, Berlin
„Access for all“ stehe für eine neue Kultur der Gleichstellung der Benutzung und des Erlebens der gebauten Umwelt, schreibt Thomas Sieverts in seinem Vorwort. Die interdisziplinär geführte Debatte um „Access for all“ beinhaltet dementsprechend verschiedene Einzelforderungen, etwa nach Barrierefreiheit, nach Partizipation an Planungsprozessen, nach der Integration von Migranten, nach Bürgerrechten, nach dem Zugang zu Informationen und zum öffentlichen Raum.
Bei einem so weiten Themenfeld muss man als Herausgeber Schwerpunkte setzen. Das gelingt Wolfgang Christ jedoch kaum: Die Themenwahl wirkt zufällig, Hierarchie und Bezüge zwischen den Texten oder zum Gesamtkontext fehlen. Entstanden ist stattdessen ein Potpourri aus den Themen barrierefreies Web-Design, Philosophie, Car-Sharing, kooperative Stadtentwicklung, Mobilitätsmanagement und vielem mehr.
Die Autoren stellen im Wesentlichen ihr jeweiliges Spezialgebiet vor und beschränken sich auf das Sammeln von Gedanken und hypothetisches Fragen. Die Texte bleiben entweder sehr vage oder verlieren sich in Details. Die Abbildungen sind entweder nichtssagend oder ungewollt, zumindest aber unkommentiert vielsagend. Es gilt leider fast generell: Unwichtiges wird hervorgehoben, Wichtiges erkennt nur der Leser. Viele Autoren ignorieren ihre eigenen Erkenntnisse, übersehen Widersprüche oder führen Gedanken nicht zu Ende.
Wenn, ohne Zweifel sinnvolle, sensorische Leitsysteme erklärt werden, bemerkt der Leser nicht nur, dass ein Aufzughersteller die vorliegende Publikation finanziell und personell unterstützt hat, sondern auch, dass einige vorgestellte Zugangssysteme dem Thema „Access for all“ widersprechen. Beim Lesen eines Berichts zur Bürgerbeteiligung an Planungsprozessen in Irland wundert man sich über die Illustration mit fragwürdigen Siedlungsprojekten und erhält den Rat, dass gelbe Haftnotizzettel sinnvoll für gemeinsames Planen seien. Es wird auch nicht überraschen, dass sich die durch Baugruppen- und Genossenschaftsmodelle bebaute Tübinger Südstadt von US-amerikanischen Suburbs unterscheidet. Obwohl diese direkte Gegenüberstellung absurd ist, ergeben sich wichtige Fragen, mit denen der Leser leider alleine gelassen wird: Welche Stadtstruktur ist robuster im Krisenfall? Welche Struktur wirkt sich wie auf das Familienbild und die Kindererziehung aus? Wo knüpft man Kontakte, wenn die Mall der einzige Gemeinschaftsraum ist? Auch Wolfgang Christ bricht in seinem Text über „Das Imaginäre als Instrument der Stadt- und Regionalplanung“ spannende Gedankengänge abrupt ab. Auch hier wird alleine dem Leser die Gewichtung von „authentischer Atmosphäre und inszeniertem Image, Bürgergesellschaft und Community ... Genius Loci und Ortsbranding“ aufgebürdet.
Ein Lichtblick ist Tobias Reinhards Beitrag „Normierung ist Ausgrenzung“, da er eine These aufstellt, obwohl diese etwas didaktisch daherkommt. Der Autor zeichnet das Szenario einer Gesellschaft von jungen Sport- oder Sucht-„Invaliden“. Weil eine Behinderung bald zum Normalfall werde, sei es fahrlässig, dass „durchschnittliche Fähigkeiten“ die Normen bestimmten und „Access“ bisher nur mit Mitteln der Mechanik hergestellt werde, obwohl die Sensorik inzwischen ausgereift sei und der Mensch mehrere Sinne zur Wahrnehmung und zur Kommunikation besitze. Gleichgültigkeit, Verklemmtheit, Egozentrik und fehlende Empathie verhinderten den Fortschritt.
Ein solch klares Statement ist eine Seltenheit in „Access for all“. Weil es den Leser unterschätzt, ist dieses Buch eine Enttäuschung.
Die Autoren stellen im Wesentlichen ihr jeweiliges Spezialgebiet vor und beschränken sich auf das Sammeln von Gedanken und hypothetisches Fragen. Die Texte bleiben entweder sehr vage oder verlieren sich in Details. Die Abbildungen sind entweder nichtssagend oder ungewollt, zumindest aber unkommentiert vielsagend. Es gilt leider fast generell: Unwichtiges wird hervorgehoben, Wichtiges erkennt nur der Leser. Viele Autoren ignorieren ihre eigenen Erkenntnisse, übersehen Widersprüche oder führen Gedanken nicht zu Ende.
Wenn, ohne Zweifel sinnvolle, sensorische Leitsysteme erklärt werden, bemerkt der Leser nicht nur, dass ein Aufzughersteller die vorliegende Publikation finanziell und personell unterstützt hat, sondern auch, dass einige vorgestellte Zugangssysteme dem Thema „Access for all“ widersprechen. Beim Lesen eines Berichts zur Bürgerbeteiligung an Planungsprozessen in Irland wundert man sich über die Illustration mit fragwürdigen Siedlungsprojekten und erhält den Rat, dass gelbe Haftnotizzettel sinnvoll für gemeinsames Planen seien. Es wird auch nicht überraschen, dass sich die durch Baugruppen- und Genossenschaftsmodelle bebaute Tübinger Südstadt von US-amerikanischen Suburbs unterscheidet. Obwohl diese direkte Gegenüberstellung absurd ist, ergeben sich wichtige Fragen, mit denen der Leser leider alleine gelassen wird: Welche Stadtstruktur ist robuster im Krisenfall? Welche Struktur wirkt sich wie auf das Familienbild und die Kindererziehung aus? Wo knüpft man Kontakte, wenn die Mall der einzige Gemeinschaftsraum ist? Auch Wolfgang Christ bricht in seinem Text über „Das Imaginäre als Instrument der Stadt- und Regionalplanung“ spannende Gedankengänge abrupt ab. Auch hier wird alleine dem Leser die Gewichtung von „authentischer Atmosphäre und inszeniertem Image, Bürgergesellschaft und Community ... Genius Loci und Ortsbranding“ aufgebürdet.
Ein Lichtblick ist Tobias Reinhards Beitrag „Normierung ist Ausgrenzung“, da er eine These aufstellt, obwohl diese etwas didaktisch daherkommt. Der Autor zeichnet das Szenario einer Gesellschaft von jungen Sport- oder Sucht-„Invaliden“. Weil eine Behinderung bald zum Normalfall werde, sei es fahrlässig, dass „durchschnittliche Fähigkeiten“ die Normen bestimmten und „Access“ bisher nur mit Mitteln der Mechanik hergestellt werde, obwohl die Sensorik inzwischen ausgereift sei und der Mensch mehrere Sinne zur Wahrnehmung und zur Kommunikation besitze. Gleichgültigkeit, Verklemmtheit, Egozentrik und fehlende Empathie verhinderten den Fortschritt.
Ein solch klares Statement ist eine Seltenheit in „Access for all“. Weil es den Leser unterschätzt, ist dieses Buch eine Enttäuschung.
0 Kommentare