Albert Speer – Eine Deutsche Karriere
Der minutiösen Aufdeckung der Fälschungen Speers und der „Neukonstruktion“ seines Lebens widmet Brechtken die zweite Hälfte des Textteils seiner beeindruckenden Publikation.
Text: Nerdinger, Winfried. München
Albert Speer – Eine Deutsche Karriere
Der minutiösen Aufdeckung der Fälschungen Speers und der „Neukonstruktion“ seines Lebens widmet Brechtken die zweite Hälfte des Textteils seiner beeindruckenden Publikation.
Text: Nerdinger, Winfried. München
Die 1969 erschienenen Erinnerungen Albert Speers wurden zum Bestseller und machten ihren Autor zum Millionär und gefeierten Star der Medien. Der ehemalige Auschwitzhäftling Jean Améry schrieb treffend, Speer bereue „aufs Lukrativste“. Die Memoiren waren eine raffinierte Mischung aus angeblich authentischem Bericht und einer Stilisierung als Opfer, Unwissender und Verführter, der Holocaust kam dort nicht vor. Speer präsentierte sich als gebildeter Architekt und versierter, weitgehend ideologiefreier Techniker, dem einfach große Karrierechancen geboten worden waren. Die bundesdeutschen Leser nahmen die Darstellung als Entlastung ihres Gewissens begeistert auf, Speer wurde zum „Liebling der Mitläufer“, denn wenn der Vertraute Hitlers nichts von Auschwitz gewusst hatte, um wie viel ahnungsloser musste dann das deutsche Volk gewesen sein.
Es dauerte lange, bis die geschichtswissenschaftliche Forschung nicht nur aufdeckte, mit welchen mörderischen Mitteln Speer als Rüstungsminister die Kriegsmaschinerie am Laufen gehalten hatte, sondern auch dessen aktive Mitwirkung am Holocaust nachwies. Als Generalbauinspektor organisierte Speer in Absprache mit Himmler seit 1938 die „zwangsweise Ausmietung von Juden“ und die Schaffung „judenfreier Gebiete“, um diesen Wohnraum für Umsiedlungen aus seinem Planungsgebiet entlang der Nord-Süd-Achse verwenden zu können; ab 1941 erfolgte auf die Entmietung die Deportation, die Speer-Behörde lieferte der Gestapo dazu die entsprechenden Listen. 1942 wurden von Speer 13 Millionen Reichsmark an die SS überwiesen, damit nach dem in seiner Behörde entwickelten „Sonderprogramm Prof. Speer“ in Auschwitz neue Baracken „zur Durchführung der Sonderbehandlung“ errichtet werden konnten. In Interviews erklärte er jedoch später, er hätte den Namen Auschwitz nur „mal gehört“.
Im Zuge der Forschungen zur NS-Geschichte wurde immer deutlicher, dass den gemeinsam mit dem Verleger Wolf Jobst Siedler und dem späteren FAZ-Herausgeber Joachim Fest produzierten Memoiren an keinem Punkt zu trauen war. Mit den Arbeiten von Matthias Schmidt, Klaus Kürvers, Susanne Willems, Heinrich Breloer, Sebastian Tesch und jüngst von Isabell Trommer wurde das Lügengebäude durchlöchert, aber mit der nun vorgelegten 900seitigen Publikation des stellvertretenden Direktors des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Magnus Brechtken, wird als Ergebnis einer langjährigen intensiven Archivrecherche nicht nur fast Satz für Satz der Erinnerungen als Manipulation oder Fälschung widerlegt, sondern es werden auch erstmals die gezielten Versuche nachgewiesen, wie Speer zur Verschleierung seiner Aktivitäten ehemalige Mitarbeiter instrumentalisierte, wie er Alibis nachträglich fabrizieren ließ und wie er zusammen mit Fest sein Lügengebäude zimmerte.
Der minutiösen Aufdeckung der Fälschungen Speers und der „Neukonstruktion“ seines Lebens, von der Verteidigung in Nürnberg 1945/46 bis zu den Publikationen und medialen Aktionen nach der Haftentlassung, widmet Brechtken die zweite Hälfte des Textteils seiner beeindruckenden Publikation. Dies ist durchaus gerechtfertigt, denn insbesondere das Machwerk der „Erinnerungen“ wird noch heute vielfach für authentische Information gehalten, und etliche Architekten glauben, hier einen Zugang zur NS-Architektur finden zu können. Die Erinnerun-gen sind jedoch nur als Dokument der Verschleierung im Kontext bundesrepublikanischer Verdrängungen zu sehen.
Die erste Hälfte der Publikation bilden zwei etwa gleich lange Teile; auf die Beschreibung der Entwicklung zum Architekten und Generalbauinspektor folgt eine genaue Darstellung der Aktivitäten als Rüstungsminister, als „Architekt des totalen Krieges“ und „Zerstörungsfachmann“. Brechtken zeigt auf, wie Speer zielbewusst immer mehr Macht und Positionen an sich zog und diese skrupellos einsetzte. Er organisierte tausende von Rüstungsbauten mit eigenen „Speer-Regimentern“, zuletzt unterstanden ihm etwa 14 Millionen Arbeitskräfte, darunter mehrere Millionen Zwangsarbeiter und etwa 450.000 KZ-Häftlinge – dies war etwa die Hälfte aller deutschen und ausländischen Zivilarbeiter. Von den ausländischen Arbeitern kam insgesamt etwa eine halbe Million im gnadenlosen Prozess der „Vernichtung durch Arbeit“ ums Leben. Wie viele davon Speers Wirken zuzurechnen sind, ist noch nicht erforscht, aber seine Visitation von Konzentrationslagern und die Forderung nach einsatzfähigen Häftlingen sind bekannt. Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass sich das Morden in den Vernichtungslagern und das millionenfache Sterben an der Front deshalb so lange hinzog, weil Speer so effizient die militärische Maschinerie am Laufen hielt.
Dem Architekten Speer ist somit etwa ein Viertel des Textteils gewidmet und hier zeigt sich, dass Brechtken als Zeithistoriker zwar eine glänzend geschriebene und hervorragend recherchierte Biografie, aber keine Darstellung Speers als Architekt verfasst hat. Dies ist bei einer Analyse des gesamten Lebens und Wirkens von Speer auch nicht notwendig, aber es soll im Rahmen einer Rezension in einer Architekturzeitschrift doch angemerkt werden, dass dieser Bereich in der Publikation etwas zu kurz kommt und auch nicht immer dem Stand der Forschung entspricht. So fehlen nahezu die gesamte Ausbildung zum Architekten, das Verhältnis zum verehrten Lehrer Heinrich Tessenow, die Beziehung zur Architektur von Paul Ludwig Troost, der entscheidende Vorgaben für die Konzeption von NS-Architektur geliefert hatte, oder die Arbeits- und Planungsprozesse in den Büros des Generalbauinspektors. Die Frage nach dem Spezifischen innerhalb des „internationalen Klassizismus“ wird ebenso wenig behandelt wie die kontinuierliche, auch zeichnerische Einwirkung Hitlers in viele Planungen, und mit der Charakterisierung der Bauten als „Rassenideologie in Stein“ oder „Wort aus Stein“ wird nur NS-Propaganda übernommen.
Da Speer nicht als Architekt in Blick genommen wird, fehlen auch Hinweise darauf, wie erst im Zuge der Fabrikation der Erinnerungen gemeinsam mit Siedler und Fest die Speersche Architektur „auf die Schinkelsche Linie“ festgelegt und ein NS-Klassizismus konstruiert wurde. Brechtken fällt auch wieder auf das Märchen von der Bedeutung des „Wiederaufbaustabs“ herein. Diesen hatte Speer im Oktober 1943 eingesetzt, die Architektengruppe traf sich ein paar Mal und entwickelte einige Planungen für zerstörte Städte, nach dem Krieg traf man sich wieder, und da eine Handvoll der Teilnehmer später in leitende Positionen kam, wurde daraus dann in den achtiger Jahren die Legende gestrickt, die Aufbauplanungen der Bundesrepublik gingen auf Speers Planungsstab zurück. In Unkenntnis dieser Geschichtsklitterung schreibt Brechtken von einer „wahren Erfolgsgeschichte“ des Wiederaufbaustabs.
Der Blick auf den Architekten Speer könnte auch Aufklärung liefern, wieso hochintelligente, in bürgerlichen Idealen erzogene junge Männer, sich nicht nur einem Verbrechersystem andienten, sondern dort auch Karriere machten. Der Historiker Michael Wildt charakterisierte diese Funktionselite als „Generation der Unbedingten“: junge Männer, deren unbedingter Gestaltungswille keine normativen Grenzen kannte, deren Pläne genauso „entgrenzt“ waren wie die Institutionen, in denen sie arbeiteten. Auch Speer wollte ohne Normen und ohne Grenzen gestalten, damit wurde er zum politisch überzeugten Täter, der den ideologisch überzeugten Nationalsozialisten nicht nachstand. Diese verhängnisvolle moralische Entgrenzung eines Gestaltungswillens könnte und sollte auch heutige Architekten, die ihre Dienste Diktaturen anbieten, zum Nachdenken anregen.
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