Analoge Altneue Architektur
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Analoge Altneue Architektur
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
60 Semester Lehre – was Miroslav Šik seit 1983 an der ETH Zürich geleistet hat, von 1982–91 mit dem von ihm geleiteten „Analogen Atelier“ am Lehrstuhl von Fabio Reinhardt, von 1999 bis ins vergangene Jahr am Lehrstuhl für „Altneue Architektur“, ist schon als bloßer Zeitraum aller Ehren wert. Hinzu kommt der Legenden umwobene Charakter gerade der Anfangsjahre, der sich längst nicht mehr nur an das einprägsame Auftreten seines Personals mit großformatigen, düster dräuenden Kreideperspektiven knüpft, sondern mindestens ebenso an dessen Karriere in den letzten dreißig Jahren. Šiks Meisterklasse, wie das Atelier wohl genannt werden muss, war nicht weniger als der Inkubator einer neuen Strömung innerhalb der jüngeren deutschschweizer Architektur: indem es die Abwendung von Moderne und Postmoderne zugleich beförderte, zugunsten einer Auseinandersetzung mit und Verfremdung von Motiven der Reformmoderne, von Nutzbauten in der Peripherie, von Stimmungsbildern des italienischen Neorealismo wie des skandinavischen Klassizismus, aber auch des zeitgenössischen Underground-Kinos. Liest man die Namen der Studenten, die diese Schule durchlaufen haben, fällt der Blick jedenfalls auf ein Kabinett, das die eidgenössische Architekturszene prägt. Einige davon, Conradin Clavuot, Christian Kerez, Paola Maranta, Quintus Miller, Christoph Mathys und Joseph Smolenicky etwa, kommen in einem Buch zu Wort, das die Lehre Šiks zu deren Abschluss in Form eines opulent aufbereiteten Überblicks würdigt. „Analoge Altneue Architektur“ heißt der – natürlich im Luzerner Quart Verlag verlegte – Prachtband, der nicht nur eine Vielzahl von Entwürfen dokumentiert, die in all den Jahren entstanden sind, sondern, und das macht die Lektüre vor allem interessant, auch Einblicke gibt in Lehrinhalte jüngeren Datums und damit Entwerfer vorstellt, die möglicherweise in zehn, zwanzig Jahren eine ähnliche Bedeutung haben wie ihre heute schon prominenten Vorgänger. Wobei das Buch nicht nur ein Fest fürs Auge ist, sondern auch eine äußerst kurzweilige Lektüre. Dies verdankt sich nicht zuletzt den inzwischen historischen Texten des Meisters selbst, die hier für die Nachwelt aufbewahrt sind: „Das Projekt ist thematisch sinnvoll aufgebaut, mit handwerklichem Können präzisiert, vor allem jedoch mit feinstem Fingerspitzengefühl poetisiert. Nach vielen Semestern von Enttäuschung, Kampf und Freude, nach einem oft unendlich scheinenden Weg, dessen Sinn nur mühsam zu entziffern war, gelangte der Autor zu einem Know-how, mit dem er hinaus in die ,grosse, weite Welt‘ gehen kann, zum eigenen Profit und sicherlich zum grossen Gewinn für seine zukünftigen Auftraggeber.“ Die Beurteilungstexte seiner Eleven lohnen allein schon den Erwerb – ein tiefer Einblick in ein fortdauerndes Kapitel der deutschschweizer Architektur „um 2000“.
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