Architectural Guide Wrocław
Text: Oliver G. Hamm
Architectural Guide Wrocław
Text: Oliver G. Hamm
Endlich – leider zu spät für das Kulturhauptstadtjahr 2016 und (vorerst?) nur auf Englisch – ist der Architekturführer Wrocław erschienen. Marcin Szczelina, Architekturkritiker und Kurator, hat 150 Bauwerke aus acht Jahrhunderten zusammengetragen, die das reiche Bauerbe im früheren Breslau widerspiegeln. Gleich sieben weitere, überwiegend polnische Autoren beleuchten besondere Aspekte der bedeutendsten westpolnischen Stadt mit deutscher Vergangenheit. Kuba Snopek skizziert die Stadtentwicklung und widmet sich ausführlich der Rekonstruktion der Stadt nach den tiefgreifenden Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. Łukasz Kos gibt eine kurze Einführung in die Nachkriegsmoderne, und ein Autorenkollektiv erzählt die spannende Geschichte der „Architektur des siebenten Tages“, des erstaunlichen Sakralbaubooms in der Zeit der kommunistischen Herrschaft (1945–89), der insbesondere in den neu-en Außenbezirken seine Spuren hinterlassen hat.
Sehr erfreulich ist, dass der sozialistischen Architektur ein angemessener Teil der Projektseiten eingeräumt wurde – zu Lasten so manches nicht ganz so überzeugenden, ab 1990 entstandenen Bauwerks hätte es sogar noch ein bisschen mehr sein dürfen. Zahlreiche Wohnbauten der 1950er bis 80er Jahre mit ihren plastischen Fassaden, aber auch die oft von der Postmoderne beeinflussten Sakralbauten, von denen einige erst in den 1990er Jahren vollendet wurden, zeugen vom Gestaltungswillen ihrer Architekten und Bauherren – von wegen sozialistische Einheitsmoderne! Einige Spitzenwerke aus den ersten Nachkriegsjahrzehnten können sich durchaus mit mancher Ikone der klassischen Moderne messen lassen, mit denen Wrocław reich gesegnet ist – darunter mehrere Siedlungen und Kaufhäuser sowie die berühmte Jahrhunderthalle.
Trotz der verheerenden Kriegsverluste insbesondere im Stadtzentrum verfügt Wrocław aber auch über einen bedeutenden Bestand an Bauwerken aus der großen Zeitspanne vom Mittelalter bis zur Industrialisierung – und über das einzige polnische Architekturmuseum in einem 1517 vollendeten früheren Kloster. Doch eigentlich ist die ganze Stadt ein Open-Air-Museum, das zum Flanieren einlädt. Schade, dass der Architekturführer Rundgänge durch einzelne Quartiere nur unzureichend unterstützt, denn die Projekte sind nicht nach Stadtbereichen, sondern nach vier Bauepochen sortiert worden (bis 1850, bis 1945, bis 1989, ab 1990) – und selbst das nicht ganz konsequent. So ist häufiges Vor- und Zurückblättern vor Ort leider unvermeidlich. Einmal mehr muss allerdings die hohe Qualität der Abbildungen hervorgehoben werden, mit denen der Verlag DOM publishers einen neuen Standard bei Architekturführern gesetzt hat.
Eine deutschsprachige Ausgabe wäre wünschenswert. Bei dieser Gelegenheit sollte so mancher Lektoratsfehler – selbst mehrere Architektennamen sind davon betroffen – korrigiert werden, und es könnten die Adressen der Bauwerke um die vormaligen deutschen Bezeichnungen ergänzt werden, was so manchem „Heimatkundler“ (oder seinen Nachfahren) die Orientierung erleichterte.
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