Architektur der Moderne
Weit entfernt vom Zeitgeist
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Architektur der Moderne
Weit entfernt vom Zeitgeist
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Das „Lexikon der modernen Architektur“ von Gerd Hatje (1963), die „Vorlesungen zur Geschichte der neuen Architektur“ von Julius Posener (1979–1983) und „Die Architektur der Moderne“ von Kenneth Frampton (1983) waren die drei Übersichten, die schon vor 25 Jahren im Studium empfohlen wurden. Der Frampton liegt nun als Neuauflage vor.
Darin blieben Teil I, „Kulturelle Entwicklung und technische Voraussetzungen 1750–1939“, und Teil II, „Eine kritische Architekturgeschichte 1836–1967“, unverändert, aktualisiert wurde Teil III „Kritische Betrachtung und Fortsetzung bis zur Gegenwart 1925–2010“.
So auch das Kapitel „Ort, Produktion und Architektur“, das Frampton von „Auf dem Weg zu einer kritischen Bautheorie“ in „Internationale Theorie und Praxis ab 1962“ umwidmete. Die bei der Erstauflage noch in der Diskussion stehenden Ansätze sind nämlich inzwischen historisch abgeschlossen und werden unter Begriffen wie Populismus, Rationalismus, Strukturalismus, Produktivismus und Postmoderne subsumiert und bewertet; Frampton empfindet etwa „viele theoretische Erläuterungen“ der hier Neo-Avantgarde genannten Dekonstruktivisten „als elitär“ und als Zeugnis „der Selbstentfremdung eine Avantgarde, die kein Anliegen mehr hat.“
Den Charakter eines Ausblicks hatte einst das Kapitel „Kritischer Regionalismus: moderne Architektur und kulturelle Identität“. Die darin aufgeführten Projekte schienen Beispiele zu sein, denen noch das theoretische Fundament fehlt. Für sie filtert Frampton jetzt konkrete Merkmale heraus: Kritische Haltung gegenüber dem technologischen Fortschritt, Ortsbezug, Bauen als tektonisches Faktum, regionale Bindung, Gleichwertigkeit taktiler und visueller Momente, formale Internationalität und Verzicht auf ein dominierendes kulturelles Zentrum.
Im neuen Kapiteln „Weltarchitektur und reflektive Praxis“ kann Frampton fast nur Gebäude mit institutionellem Hintergrund zeigen, „denn Bauen ist eine öffentliche Kunst, die großes soziales Engagement und zugleich beträchtliche Investitionen verlangt.“ Die Entwicklungen in Finnland, Frankreich, Spanien und Japan werden kommentiert. In Deutschland habe sich „trotz Wohlstand und hohem technischen Niveau keine Baukultur entwickelt, die mit jener der Weimarer Republik zu vergleichen wäre – trotz brillanter Nachkriegsarchitekten.“ In einem unvermittelt angefügten Postskriptum geißelt Frampton mit klugen Argumenten die Zersiedlung der Städte.
Etwas uninspiriert ist das zweite neue Kapitel mit „Architektur im Zeitalter der Globalisierung“ überschrieben. Darin werden Bauten aus den Jahren 1975 bis 2010 nach sechs Aspekten klassifiziert: Topographie, worunter er den gestalterischen Zusammenhang von Gebäude und Landschaftsraum fasst; Morphologie nennt er die Entwicklung einer auch inhaltlich bestimmten Form, wie etwa das Yokohama International Port Terminal, in Abgrenzung zu sinnfreier Gestaltung; unter Nachhaltigkeit zeigt er ökologisch ambitionierte Projekte, alle von angloamerikanischen Büros entworfen; bei Materialität hingegen betrachtet Frampton ausschließlich europäische Beispiele, vor allem aus der Schweiz; Habitat ist sein Plädoyer für hoch verdichteten Wohnungsbau, vorzugsweise auf Konversionsflächen; öffentliche Bauten verklärt er zur anspruchsvollsten Aufgabe des Architekten, die allerdings noch ihrer Wahrnehmung harre, denn „öffentlicher Raum,“ schreibt er bereits im Vorwort, könnte „als bislang unrealisiertes Projekt noch heraufbeschworen werden.“
Die Architektur kann nichts an der weltweit immer stärker auseinanderklaffenden Schere von Reichtum und Armut ändern, dessen ist sich Frampton bewusst. Umso mehr sind seine gesellschaftskritischen Anmerkungen zu würdigen. In dem Drang, übergreifend zu betrachten, einzuordnen und zu bewerten, wie auch primär die physische Wirkung von Architektur intellektuell und konstruktiv zu beurteilen, ist das Buch konservativ. Dennoch gilt, was der Architekturhistoriker Frank R. Werner im Vorwort Neuauflage schreibt, dass Framptons „kritische Analyse über immerhin fast drei Jahrzehnte und über alles Zeitgeistige hinaus absolut nichts an Gültigkeit eingebüßt hat.“ So bleibt also Frampton der Platz neben Hatje und Posener.
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