Architekturform und Gesellschaftsform
Architektur und Städtebau unter dem Einfluss von Industrialisierung, Großvergesellschaftung und Globalisierung 1890–1945
Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin
Architekturform und Gesellschaftsform
Architektur und Städtebau unter dem Einfluss von Industrialisierung, Großvergesellschaftung und Globalisierung 1890–1945
Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin
Was da vorliegt, ist eine groß angelegte, von Umsicht und Gründlichkeit geprägte Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts bzw., im vorliegenden Band, seiner ersten Hälfte. Nicht mehr und nicht weniger.
Dass auf die wirtschaftlichen, politischen, sozialen Voraussetzungen eingegangen wird, ist heute selbstverständlich und verlässt in keiner Weise den Rahmen der Gattung. Die Lebensverhältnisse dagegen, also das, was man als Geschichte von unten bezeichnen könnte, was ja auch ein Projekt der 68er war, verschwinden ab Seite 14 aus dem Gesichtskreis. Es geht im Weiteren um Pläne und Bauten als solche. Wenn man das Ziel einer umfassenden Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts akzeptiert, dann ist das kein Nachteil. Vielmehr schärft es den Blick auf das Besondere.
In der kapitelweisen Organisation des Materials stellt sich die Blockspaltung her, Architektur im Kapitalismus und in der UdSSR. Dem ist ein umfangreicher Einleitungsteil vorangestellt, der die gesellschaftlichen Voraussetzungen beschreibt, die das 19. Jahrhundert geschaffen hat. Hier findet sich, in den zwei Blöcken, erstens Stadt, zweitens Architektur; alles, was zwischen 1970 und 1989 die sozial- Architekturgeschichtler beschäftigt hat. Unter der Rubrik Stadt: die desolaten Wohnverhältnisse der Frühindustrialisierung, die sozialutopischen Gegenentwürfe, die Stadterweiterungspläne und neuen Großstadtkonzeptionen – Letzteres leider rein planbezogen und ohne erkennbare Kenntnis der jeweiligen realen Stadtsituation. Architektur: die neuen industriellen Möglichkeiten und Gebäudetypen, sodann die Frühgeschichte der Moderne anhand nicht nur der üblichen Verdächtigen, sondern gerade auch der kleinen Länder, Finnland, Tschechien, Österreich, der belgische und der katalanische Aufbruch, verknüpft mit einer wunderbar präzisen Auswahl der Abbildungen.
Die Gretchenfrage ist, wie es Damus mit der Moderne hält. Ist die Moderne in ihrer Gesamtheit fähig, einen eigenen, mit historischen Stilen vergleichbaren Stil hervorzubringen? Dies scheint mir seine Leitfrage. Innerhalb derer ist des Autors Sympathie für all jene Architekten unverkennbar, die gleichsam zwischen den Lagern stehen, also einerseits modern sind, aber andererseits, ob Pölzig, Höger, Dudok, Asplund oder Muzio, eine eigene Architektursprache erfanden. Außerdem kommt ihm der zeitliche Fortgang in den 30er Jahren entgegen, die europaweite Konjunktur eines monumentalen Neoklassizismus. Hinzu kommt die Erwartung, öffentliche Gebäude sollten sich von vornherein von privaten dadurch unterscheiden,
dass sie als solche auch durch ihre architektonische Formulierung kenntlich sind.
dass sie als solche auch durch ihre architektonische Formulierung kenntlich sind.
Bei allen Hinweisen auf dieses oder jenes gesellschaftliche Umfeld bleiben die besprochenen Werke jedoch auf merkwürdige Weise im reinen Luftraum ästhetischer Entwürfe. So informativ das Gesagte sein mag, verdampft das einzelne Bauwerk viel zu schnell in der Gewinnung von stilistischen Zuordnungen. Man möchte dann aber doch wissen: Bricht diese NS-Architektur die Reichweite der Moderne, oder, wenn nicht, muss dann das Monströse dieser Architektur und dieses Städtebaus nicht der Moderne als ganzer zugerechnet werden, und wie verhalten wir uns dann dazu? Mich jedenfalls mag das bloße historisch-stilistische Integrieren und Berichten nicht befriedigen.
Bleibt nur, noch einmal den Gewinn des Werkes zu betonen: dass die Moderne – Damus sagt zwar unverdrossen stilkritisch Modernismus – hier, gleichsam am Endpunkt der Arbeit einer derzeit abtretenden Generation, in ihrer Breite und Vielgestaltigkeit sichtbar gemacht wird; also gerade abzüglich des ideologischen Modernismus, dem ein Großteil der bisherigen Architekturgeschichtsschreibung der Moderne der ersten Jahrhunderthälfte unterliegt. Das Begreifen muss nun nachkommen.
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