Architekturschulen
Programm, Programmatik, Propaganda
Text: Weckherlin, Gernot, Berlin
Architekturschulen
Programm, Programmatik, Propaganda
Text: Weckherlin, Gernot, Berlin
Architekturschulen als „Marke“ verstanden, scheinen aktuell in der Architekturausbildung, trotz der wachsenden Konkurrenz zwischen den Ausbildungsstätten, keine besondere Rolle mehr als Distinktionsmerkmal zu spielen. Mit dieser nüchternen Erkenntnis endete zunächst eine Gesprächsrunde unter Entwurfslehrern, die das Institut für Architekturgeschichte an der TU Stuttgart im Juli 2011 anlässlich seines hundertjährigen Bestehens veranstaltet hatte.
Die Antwort auf die Frage nach dem „Wo“ und „Bei-Wem“ man studiert habe, ist zumindest retrospektiv eine jener folgenreichen Aussagen, die zu Positionierungen ganzer Schülergenerationen Anlass gaben und manchen Karriereweg ebnete. Die Architekturgeschichte ist überreich an Beispielen. Ob Berliner, Braunschweiger, Grazer, Stuttgarter, „Schinkel-, Wagner-, Behrens-, Poelzig- oder Ungers-Schule“ – fast die ganze neuere Architektur seit 1800 ließe sich bis heute bequem an jenem seltsam diffusen Schulbegriff, verstanden als Konstruktion „komplexer Begründungsmuster“ (Herausgeber) – abhandeln. Diese Muster führten zu spezifischen, propagierten oder wiedererkennbaren Architekturauffassungen, von denen die „Stuttgarter Schule“ unter Paul Bonatz und Paul Schmitthenner zum festgefügten Feindbild moderner Tendenzen avancierte. Selbst das angeblich „schulfeindliche“ Bauhaus war nicht minder schulbildend. Insofern ist es ein großes Verdienst des vorliegenden Tagungsbandes, zur Klärung dieses unscharfen und subjektiven Begriffs anhand von überwiegend deutschen Fallstudien beizutragen.
Nicht weniger als zwanzig Wissenschaftler lieferten hierfür Beiträge – keinesfalls methodisch homogen, was dem Band nicht zum Nachteil gereicht. Während etwa Katja Bernhardt ein klares historiografisches Analysemodell entlang der zentralen Begriffe „Institution“, „Auffassung“ und „Vermittlung“ mehr zum Nutzen der eigenen historischen Disziplin entwirft, handeln die einzelnen Fälle, abgesehen von einer etwas flüchtigen Tour d’Horizon von Frank R. Werner, stets von einzelnen an „Orte“ oder Persönlichkeiten gebundene Schulen. So skizziert Klaus Jan Phillipp die Rezeptionsgeschichte der „Stuttgarter Schulen“ von Paul Bonatz bis Jürgen Joedicke, Kerstin Renz ergänzt dies durch eine Studie der Neustrukturierung der Curricula zu zweifelhafter Prominenz gelangten „Stuttgarter Schule“ im Rahmen der „re-education“ nach US-amerikanischen Vorbildern. Studien von Mark Escherich und Kerstin Zaschke spüren den Wirkungen der Stuttgarter Schule in der DDR, etwa an der TH Dresden nach. Nicht minder gelungen sind auch die Beiträge zu jenen schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in mehreren „Generationen“ als „Schulen“ bezeichneten Institutionen seit der Zeit der Schinkelschen Bauakademie, etwa in Berlin in dem Beitrag von Elke Katharina Wittich. Interessanterweise taucht gerade hier der „Schulbegriff“ jedoch kaum auf. Es fällt vor allem der Blick auf die enge Verknüpfung von Publikationstätigkeit und staatlichen Lehrinstituten sowie Bauverwaltungen, zwischen Entwurfs- und Baupraxis, Bauforschung und Architekturgeschichtsschreibung auf, der zu einem relativ homogenen Bild preußischer Baukunst im 19. Jahrhundert geführt hat.
Bemerkenswert sind auch jene Beiträge über die weniger prominenten Beispiele wie die Braunschweiger Schule im 19. Jahrhundert und die Perpetuierung dieses Begriffs im 20. Jahrhundert (Simon Paulus, Ulrich Knufinke, Olaf Gisbertz). Der Blick auf den polarisierenden Streit zwischen den über lange Jahrzehnte einzigen spanischen Architekturschulen von Madrid und Barcelona (Iñaci Bergera), auf das Wirken des Poelzig-Schülers Max Cetto an der autonomen Universität von Mexiko Stadt (Bernita Le Gerrette) oder den fast zum Schimpfwort gewordenen Begriff „De Delfse School“ (Jennifer Meyer), einer traditionalistischen Strömung in der niederländischen Architektur der 1920er Jahre, weist auf den Umstand, dass Schulen ihre programmatisch behauptete „Überlegenheit“ oft erst aus „gegnerischen Kritik“ gewinnen. Dies jedenfalls gab Werner Hegemann schon 1928 über die von ihm überaus geschätzte Stuttgarter Schule zu Protokoll und trug so publizistisch zur „Schulbildung“ gleich selbst mit einem ganzen Zeitschriftenheft bei.
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