Bunter Hund
Schon seinen Möbeln aus den 60er Jahren wohnt die Freude an verspielter Geometrie inne, die er zwanzig Jahre später in der Designergruppe „Memphis“ ins Groteske treibt.
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Bunter Hund
Schon seinen Möbeln aus den 60er Jahren wohnt die Freude an verspielter Geometrie inne, die er zwanzig Jahre später in der Designergruppe „Memphis“ ins Groteske treibt.
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Das türkis-farbene Buch fällt neben den schwarzen oder weißen über Dieter Rams oder dem Leinenumschlag von Jasper Morrisons Monografie sofort ins Auge. Im Vergleich zu den beiden Puristen ist Ettore Sottsass (1917–2007) ein bunter Hund. Dass der italienische Designer und Architekt seine Wendungen bewusst vollzog, lässt sich in der opulenten Werkschau anschauen und nachlesen. Die Aussage „Wenn Charles Eames einen Stuhl entwirft, dann entwirft er nicht nur einen Stuhl. Er entwirft eine Art, sich zu setzen. So entwirft er nicht für die Funktion, sondern eine Funktion“, belegt die Vorbehalte Sottsass’ gegenüber einem wie auch immer ausgeprägten Funktionalismus. Schon seinen Möbeln aus den 160er Jahren wohnt die Freude an verspielter Geometrie inne, die er zwanzig Jahre später in der von ihm mitgegründeten Designergruppe „Memphis“ ins Groteske treibt; die Regalskulptur „Carlton“ wird ein Sinnbild der Postmoderne.
Im starken Kontrast dazu steht die Schreibmaschine Valentine die er zuvor, 1969, einschließlich poppiger Werbegrafik, für Olivetti entworfen hatte. Seit 1958 war Sottsass für das seinerzeit im Computerbereich führende Unternehmen tätig und hat das Design des ersten in Italien hergestellten Rechners mitgestaltet. Von ihm entworfene Büromaschinen wurden zu Vorbildern für andere Hersteller. In den 70er Jahren hatte er seine parallel zur Pop-Art entwickelte Methodik bereits kultiviert: Auf das Wesentliche reduzierte Grundformen und geometrische Archetypen werden mit dekorativen Elementen versehen, die Alltagsgegenständen entlehnt sind. Mit dem Vermeiden „kalter“ Formen strebte er sinnliches und assoziationsreiches Wahrnehmen an, das Emotionen erzeugen sollte.
Gleichzeitig gab es auch den Künstler Sottsass, im Buch in der Fotoserie „Metafore“ sichtbar. Mit der jungen, ihm zugetanen Künstlerin Eulàlia Grau installierte er in spanischen und italienischen Landschaften räumliche Situationen, wie etwa ein aus Palmwedeln konstruiertes Tor.
Um einem derart vielseitigen Schaffen gerecht zu werden, gliedert der Autor Philippe Thomé das Leben Sottsass’ in zwölf Abschnitte. In jedem dieser Kapitel werden neben dem obligatorischen biografischen Abriss wahlweise die Themen Skulptur und Malerei (als freie Künste), Architektur, Möbel, Interieur- und Ausstellungsgestaltung, Produktdesign, Grafik und Buchkunst, Keramik und Glas, Schmuck und Fotografie aufgerufen. Die Vielfalt findet sich kongenial in der Gestaltung des Buchs mit haptisch unterschiedlichen Papieren und verschieden großer Typografie wieder. Dadurch stellt sich zugleich eine klare Ordnung ein, die Sottsass auch für sich selbst pflegte. Inhaltlich gelingt Thomé eine austarierte Balance zwischen Dokumentation, unterhaltsamen Berichten und kurzen Kommentaren.
In seine beiden letzten Lebensjahrzehnte war Sottsass ausschließlich als Architekt tätig. Er realisierte vor allem Wohnbauten in Belgien, Japan und den USA, allesamt Gebäude wie aus formalen Einzelteilen montierte, wie im Spiel entstanden – letztlich gebaute Zeichnungen. Doch auch in diesen für Wohlhabende errichteten Bauten manifstiert sich Sottsass’ Verständnis von Gestaltung: „Für mich ist Design eine Art und Weise, das Leben zu diskutieren, soziale Beziehungen, die Politik, das Essen und sogar das Design selbst.“ So sollte das Buch gelesen und in seiner Vielfalt auch genossen werden.
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