Bauwelt

Das Wissen der Architektur

Text: Weckherlin, Gernot, Berlin

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Das Wissen der Architektur

Text: Weckherlin, Gernot, Berlin

Ein wissenschaftliches Buch als gelehrte Sonntagsrede, so möchte man hier ununterbrochen seufzen. Dieses Buch geistreichelt nicht selten im geschichtlich Ungefähren und auf vielen Seiten unter möglichster Vermeidung konkreter Fallbeispiele in einem feuilletonistisch-kulturkritischen Stil um allerlei wissenschaftstheoretische und architekturästhetische Großthemen.
Im Zentrum steht dabei der nun auch in der Architekturtheorie angekommene, bald überstrapazierte Begriff des Wissens. Ausgangspunkt der Erörterungen ist der verständliche Wunsch der Autoren, die Architektur als eine legitime Wissenschaft vom Rang und Ansehen etwa der Lebenswissenschaften in der universitären Landschaft fester zu verankern, oder überhaupt am Leben zu erhalten (Stichwort: Drittmittel).
Damit wird schon im Vorwort das dramatische Untergangsszenario an die Wand gemalt, dass der Architektur als Universitätsdisziplin höchste Not drohe, sollte es dieser nicht alsbald gelingen, sich endlich wieder als „eigenständige Wissenschaft zu profi­lieren“, um nicht demnächst „von sparwütigen Politikern aus der Universität verjagt [zu] werden“. Sieht man einmal von nicht ganz nebensächlichen Feinheiten ab, wie der, dass die in einem Global­begriff meist „die Architektur“ genannte Disziplin in den historisch je verschiedenen Auffassungen über Jahrhunderte selten ein besonders anerkanntes Familienmitglied der gelehrten „Universitas“ gewesen ist, so ist auch der von den Autoren vorgeschlagene Weg der Neubewertung des Wissenschaftscharakters der Disziplin verschlungen und vielfach problematisch.
Die Hauptthese des Buches ist, dass die Architektur bis ungefähr irgendwann vor der Aufklärung den Anspruch gehabt habe, „Wissenschaft und Kunst enzyklopädisch zu einen“. Das klingt großartig und unter Verweis – wer sonst käme hier in Frage – auf Vitruv irgendwie auch plausibel, repräsentierte doch die Architektur von der Antike bis circa 1711, „das Paradigma einer Allwissenheit, in der sich der Kosmos als einheitliche, harmonische und sinnvolle Ordnung spiegelte“.
Wie und mit welchen Mitteln „die Architektur“ den vor allem auf das 13. Jahrhundert zurückgehenden enzyklopädisch gedachten Kosmos metaphorisch widerspiegelte, führte zwar schon im Mittelalter zu gewissen Diskussionen, die in der Kunstwissenschaft längst dargestellt wurden, doch die Autoren schreiten in die Gegenwart eilend fort, denn eigentlich geht es ja zentral um „die Moderne“, also die Zeit der letzten dreihundert Jahre, und somit in den nächsten unscharf umrissenen Großzeitraum. Die Ursache für das Ende einer Architektur, die den Anspruch hatte, das Wissen der Welt enzyklopädisch zu verkörpern, diagnostizieren die Autoren in dem Auseinanderdriften von Wissenschaft und Kunst im Zeitalter der Aufklärung, eine ebenfalls nicht ganz neue Erkenntnis, doch entwickeln sie daraus die interessante These, dass auch die gegenwärtige „Architektur sich nicht aus ihrer enzyklopädischen Verfassung zu lösen vermag, ohne dabei Gefahr zu laufen, ihre genuine Identität zu verlieren“. Das muss freilich ein Kapitel lang erklärt werden. Die Autoren meinen, dass der Architektur als eine strukturanalytische Urkonstante jenseits der Zäsur des „Modernen“ stets das „Enzyklopädische“ innewohne, wenn auch heute die Kreismetapher des Wissens durch eine Netzmetapher abgelöst werden müsse, was später im Buch noch erweitert und plausibel dargestellt wird.
Die „avantgardistische Reformulierung des Enzyklopädismus“, gemeint ist die Verbindung aus Neuheit des nie zuvor Dagewesenen in paradoxer Verbindung etwa mit regressiven, auf den enzyklopädischen Anspruch der Architektur verweisenden, vormodernen Gesellschaftsmodellen, stellen für die Verfasser eine Art Autoimmunkrankheit der Moderne dar: „Die Avantgarden […] haben stets gegen die Moderne opponiert, indem sie die faktisch sich vollziehenden Modernisierungsprozesse für rückschrittlich erklärten, um an ihrer Stelle die Idee des Neuen zu rücken, das noch viel neuer sein sollte, als all die wissenschaftlichen, technischen und sozialen Innovationen, welche die Moderne zu verantworten hat.“ Sätze wie dieser sind typisch für den durch die Jahrhunderte schwimmenden ersten Teil des Buchs und es ist fast tragisch zu nennen, dass die lesenswerten Abschnitte über das heutige pragmatische „Handlungswissen der Architektur“ in den Kapiteln „Interventionen im Kontext“ und „Architektur und Macht“ hinter solchen Großtheorien versteckt sind.
Die große Frage bleibt, ob durch die Art und Weise dieses Architekturdenkens der von den Autoren befürchtete Bedeutungsverlust der Architektur als Wissenschaft aufzuhalten sein wird.
Fakten
Autor / Herausgeber Gerd de Bruyn, Wolf Reuter
Verlag Transcript Verlag, Bielefeld
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aus Bauwelt 22.2011
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