Die Polytechnische Welt – Wissensordnung und Bauideal
Planmaterialien zum Züricher Polytechnikum
Text: Habermann, Karl J., München
Die Polytechnische Welt – Wissensordnung und Bauideal
Planmaterialien zum Züricher Polytechnikum
Text: Habermann, Karl J., München
6284 Gramm Gewicht bringen die zwei Prachtbände mit dem oben genannten Titel auf die Waage. Legt man beide Rücken an Rücken aneinander, so hat man die Fassa-de des Stammgebäudes der ETH Zürich im Großformat vor sich – und ist gespannt auf den Inhalt. „Uta Hassler und Korbinian Kainz erläutern die Geschichte des Hauptgebäudes der ETH Zürich nicht nur im Sinne einer komplexen Baugeschichte des Gründungsbaus. Sie zeigen auf, wie und warum die Züricher Gründung zum Vorbild einer Schultradition wurde, die bis heute europäische Wirkung hat“, so der Präsident der ETH in seinem Vorwort. Dies gilt es nun zu hinterfragen. Die Autoren stellen den aufwändig reproduzierten Planunterlagen eine kompakte Entwicklungsgeschichte des Zentralbaus der Institution voran. Der Feststellung, dass es bislang noch keine analytische Darstellung der Bauentwicklung gab, folgt der Nachweis der Vorbildfunktion von Gottfried Sempers Entwurfsidee und ihrer Nachwirkung auf nahezu alle folgenden Projekte mit ähnlicher Aufgabenstellung. Sempers prototypischer Ansatz für Zürich fand alsbald Aufnahme in das Handbuch der Architektur. Nach einer kurzen Skizzierung der Quellenlage werden die drei wesentlichen Entwicklungsschritte, verbunden mit den Namen Semper, Gull, Geisendorf und Roth, dokumentiert. Der rüde Umgang mit der Bausubstanz des jeweiligen Vorgängers zieht sich als roter Faden durch die Geschichte. Am Ende steht die Frage, ob man hier nicht dabei wäre, eine Geschichte des Scheiterns zu schreiben. Da das „Schicksal großer Häuser“ frappante Ähnlichkeiten aufweist, hätte eine ausführliche Darstellung des Beispiels Hauptgebäude ETH Zürich exemplarischen Charakter.
Die Durchsicht der Pläne des Gründungsbaus von 1860–64 klärt über Vieles auf und lässt den Leser mit einigen Fragen zurück. Ein Großteil davon wird am Ende des 2. Bandes beantwortet. Hier klären ausgewählte Dokumente auf über die politische Lage, das Raumprogramm, über Wettbewerb und Entscheidung bis zur Auftragserteilung an Gottfried Semper. Der grafische Charme der Zeichnungen täuscht nicht darüber hinweg, dass sich Semper neben seiner an antiken Vorbildern orientierten Architektursprache der technischen Mittel seiner Zeit bedient. Genietete Stahlträger ermöglichen große Stützweiten, und filigrane Stützen aus Gusseisen prägen die Raumwirkung seiner Übungssäle. Zwischen 1914 und 1925 wird Gustav Gull eine neue Hochschule bauen und seine massiven baulichen Interventionen mit der mangelhaften Bausubstanz des Vorgängerbaus begründen. Immerhin findet man in der Fotodokumentation des Bestandes von Gull schöne Belege für die konstruktiven Experimente Sempers. Gull kommtdurch einen Wettbewerb zum Auftrag und wird den Bestand erweitern und überformen, ohne den Gesamteindruck zur Stadt zu zerstören. Seine traditionalistisch geprägte Architektur mildert die Übergänge von Alt zu Neu. Dennoch gibt es auch hier bautechnische Experimente, dieder Bauaufgabe einer Polytechnischen Schule angemessen erscheinen. Die Möglichkeiten der noch jungen Stahlbetonbauweise werden voll ausgereizt. Eine Betonkuppel mit Sichtoberflächen wird wegen Undichtigkeiten unter einem althergebrachten Ziegeldach verschwinden.
Die Architekten der dritten großen Bauphase Hofmann, Geisendorf und Roth lehrten ebenfalls an der ETH. Das Schlagwort von „der Erweiterung nach Innen“ weist darauf hin, dass hier immense Sachzwänge durch Raumprogramm und technischen Ausbau immer wieder zu Kompromisslösungen führten. Wichtig erscheint dabei, dass der Baukomplex in Funktion bleibt. Dass die ETH, mittlerweile längst Campusuniversität, noch ein Standbein im Zentrum hat, stärkt die Wahrnehmung der Institution und bewahrt das Stadtbild Zürichs nachhaltig.
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