Die Waage
Ein Bautyp des „Goldenen Jahrhunderts“ in Holland
Text: Voigt, Wolfgang, Frankfurt am Main
Die Waage
Ein Bautyp des „Goldenen Jahrhunderts“ in Holland
Text: Voigt, Wolfgang, Frankfurt am Main
Dem Holland-Touristen sind sie vertraut: die historischen Waaggebäude, die auf den traditionellen Käsemärkten den malerischen Hintergrund abgeben. Dass diese Bauten weit mehr bieten als eine Bühne für putzige Spektakel, lehrt uns die Publikation von Karl Kiem.
Was der Reisende aus Alkmaar, Gouda und anderswo kennt, war, wie die ersten Börsen und Messehallen, ein republikanischer Bautyp, der mit dem Aufblühen von Handel, Kapitalismus und Steuerverwaltung zu tun hatte. Die Waagen können als einzigartiger Ausdruck der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse in der holländischen Republik in deren „Goldenem Zeitalter“ gelesen werden. Damit bilden diese Bauten auf dem Gebiet der Architektur ein Äquivalent zur Malerei dieser Epoche, wie z.B. von Rembrandt oder Vermeer.
Kiems Buch belegt die individuelle Einzigartigkeit der Bauwerke in der jeweiligen Stadt und unterzieht diese einer vertieften Analyse, die auch die um sie herum stattfindenden Prozesse einbezieht. Gleichzeitig behält er aber auch den großen Zusammenhang im Blick. Damit gelingen bei der Untersuchung der Einzelobjekte immer wieder wesentliche neue Einsichten und die überzeugende Klärung alter Streitfragen, am eindrucksvollsten die Klärung der Urheberschaft von Lieven de Key als Architekt der Waage von Haarlem.
Die Betrachtung der in den Waaggebäuden stattfindenden Prozesse führt zur Unterscheidung von zwei Gruppen von Bauten. Die einen sind mehr oder weniger zufällig als Waagen bezeichnete und bau-lich wenig spezifische Gebäude mit einer Vielzahl von Funktionen. Daneben gibt es monofunktionale Waaggebäude, die in erster Linie der Funktion des Wiegens dienen und davon im Entwurf grundlegend geprägt sind. Letztere sind eine holländische Spezialität und nur dort im 17. und 18. Jahrhundert gebaut worden. Diese können in vier Subtypen mit Prototypen und Varianten eingeteilt werden: in den Durchfahrtstyp, speziell für das sonnengeschützte Wiegen von Butter und in Friesland verbreitet; den Turmtyp, wenn die eindrucksvolle Höhe wichtiger war als der Wiegeprozess; den funktionalen Loggiatyp mit der Reihung verschiebbarer Balkenwaagen, und schließlich den Synthesetyp, der die Vorteile der Turmform und der verschiebbarer Balkenwaagen in sich vereinigt. Die für die Typologie der Waage entscheidende Unterbringung der Wiegeeinrichtung wird mit exakten Bauaufnahmen dokumentiert und technikgeschichtlich analysiert.
Kiems Buch hat nicht nur das Zeug zum baugeschichtlichen Standardwerk von hohem Niveau, es
ist durch die Vielzahl eigens angefertigter Zeichnungen aufgelockert, die komplexe Sachverhalte deutlich machen. Mit ihrer Klarheit und dem Reichtum an Details sind sie eine wahre Augenweide. Darstellungen zu der beweglichen Ausstattung der Waaggebäude, zur Rolle der Wiegemeister, der Pächter sowie zur rechtlichen Stellung der öffentlichen Waage runden die Betrachtung ab. Deren vielleicht erstaunlichstes Ergebnis liegt in der Feststellung, dass die Waagen vor allem der Steuererhebung und eher mittelbar der Gewichtsfestellung von Handelswaren dienten.
ist durch die Vielzahl eigens angefertigter Zeichnungen aufgelockert, die komplexe Sachverhalte deutlich machen. Mit ihrer Klarheit und dem Reichtum an Details sind sie eine wahre Augenweide. Darstellungen zu der beweglichen Ausstattung der Waaggebäude, zur Rolle der Wiegemeister, der Pächter sowie zur rechtlichen Stellung der öffentlichen Waage runden die Betrachtung ab. Deren vielleicht erstaunlichstes Ergebnis liegt in der Feststellung, dass die Waagen vor allem der Steuererhebung und eher mittelbar der Gewichtsfestellung von Handelswaren dienten.
Für die holländische Reise des Architekten sollte neben Koolhaas, Oud und Berlage auch der Besuch einer Waage wie in Gouda oder Hoorn ins Programm aufgenommen werden. Dort kann am historischen Beispiel studiert werden, wie kleine städtebauliche Eingriffe große Wirkung erzielten und wie Monumentalität und Funktionalität optimal in Einklang gebracht wurden.
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