Bauwelt

Neufert. Bauentwurfslehre

Text: Weckherlin, Gernot, Berlin

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Neufert. Bauentwurfslehre

Text: Weckherlin, Gernot, Berlin

Es gibt nicht viele Architekturbücher, die fast drei Generationen nach ihrem ersten Erscheinen noch immer zu den getreuen Begleitern entwerfender Architekten zählen. Eines davon ist Ernst Neuferts Bauentwurfslehre, die, weitergeführt von Johannes Kister, nun zum 40. Mal erschienen ist.
Der Siegeszug des langlebigsten und meistverkauften deutschen Architekturbuchs des vergangenen Jahrhunderts wird sich vermutlich unbeirrt fortsetzen. Nicht wenige „Bauschaffende“, wie Neufert diese Akteure der Kreativwirtschaft einst nannte, dürften dies mit jenem berufsmäßigen Unbehagen an normativer Regulierung zur Kenntnis nehmen, das schon der ersten Auflage 1936 entgegengebracht wurde. Dem Verkaufserfolg des Nachschlagewerks hat es nie geschadet. Selbst heute, wo allerorten mit ausgefeilten Datenbanksystemen und digitalen Werkzeugen an mehr oder weniger verwegenen Entwürfen gefeilt wird, hat dieses Buch in Lexikonstärke nicht an Attraktivität verloren – dies zeigen die regelmäßigen Neuauflagen. Der Grund dafür liegt wohl in Vollständigkeit, Handhabbarkeit, Aktualität und Relevanz der im Buch dargebotenen Informationen. Sie stehen in lebhafter, ebenso nüchterner wie ernüchternder Beziehung zu jenen juridischen, bürokratischen und in Konventionen gründenden Regularien und ökonomischen Zwängen, denen sich Entwerfende alltäglich gegenübersehen.

Natürlich treten – wie bei allen Konventionen – Veränderungen über die lange Lebensdauer des Buches von Auflage zu Auflage auf, die eine reizvolle kulturhistorische Archäologie des Alltagslebens darstellen. Bemerkenswert ist in der neuesten Auflage etwa, dass das menschliche Normsubjekt nun auch mit Rollator oder im Rollstuhl ein entwurfsrelevantes „Maß der Dinge“ darstellt, während die heute selten gewordene Fortbewegung im Gleich- und Marschschritt still entschwand. Deren Darstellung hatte sich noch lange aus der Zeit der ersten Auflage erhalten, in der die Nürnberger „Reichsparteitage“ geplant werden wollten. Die „älter werdende Gesellschaft“ oder die „Photovoltaik“ schlagen sich heute unverkennbar in der Baupraxis und folglich auch in der Bauentwurfslehre nieder, wie an anderer Stelle jene noch abstrakteren Randbedingungen des „nachhaltigen Bauens“ oder der „Zertifizierung von Bauleistungen“ und deren nicht minder norm- und regellastigen Bedingungen. Diese finden in wohltuend präzisen, knappen Darstellungen in die neueste Bauentwurfslehre Eingang.

Gegenüber der letzten Auflage ist die Anordnung der Kapitel durchaus nutzerfreundlich verbessert. Sie folgt nun zunächst auf 284 Seiten dem Oberbegriff der „Allgemeinen Grundlagen“, vom Planungsprozess bis zum Bauen im Außenraum (Friedhöfe). Daran schließen sich die Abschnitte „Wohnen“, „Versammeln“, „Arbeiten“, vom Verwaltungsbau bis zu Krankenhäusern, in gewohnter typologischer Übersicht an. Daran wäre nichts auszusetzen, gäbe es nicht eine gewisse Tendenz zu gut gemeinten, historisierenden Erklärungen. So ist etwa das Kapitel „Theaterbau“ eine umständliche Kurzübersicht über den Theaterbau vom Athener Dionysos-Theater (452 v. Chr.) bis zu Wagners Bayreuther Festspielhaus vorangestellt. Hier, wie in einigen anderen textlastigen Passagen, sind die Bearbeiter der Bauentwurfslehre vom Dogma der überwiegend bildlichen, radikal verkürzten Vermittlung des elementaren Entwurfsnotwendigen deutlich abgewichen. Andere Abschnitte hingegen leiden an einer im Vergleich dazu fast schematischen Darstellung, so etwa der Abschnitt über Museen, der auf jegliches gebaute Beispiel verzichtet.

Und auch in der 40. Auflage sind nicht alle Angaben aktuell. So fehlen zum Beispiel verbindliche Angaben über die Einstiegshöhe und die Dimensionen des Airbus A 380. Doch die Klagen über irgendein fehlendes Detail sind so alt wie die Geschichte des Neuferts. In der nächsten Auflage wird solches längst unter Berücksichtigung aller Normen und Standards eingearbeitet sein.  
Fakten
Autor / Herausgeber Ernst Neufert
Verlag Springer Verlag, Wien 2012
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aus Bauwelt 4.2013
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