Bauwelt

Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen

FAZ-Redakteur Niklas Maak nimmt sich das Einfamilienhaus zur Brust. Publikumsmedien haben beifällig über das Buch berichtet. Hält der 320-Seiter auch aus Architektensicht, was er verspricht? Ja, sagt Benedikt Hotze. Nein, findet Wolfgang Bachmann

Text: Bachmann, Wolfgang, München; Hotze, Benedikt, Berlin

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Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen

FAZ-Redakteur Niklas Maak nimmt sich das Einfamilienhaus zur Brust. Publikumsmedien haben beifällig über das Buch berichtet. Hält der 320-Seiter auch aus Architektensicht, was er verspricht? Ja, sagt Benedikt Hotze. Nein, findet Wolfgang Bachmann

Text: Bachmann, Wolfgang, München; Hotze, Benedikt, Berlin

Niklas Maak ahnt irgendwie, dass Häuslebauen falsch ist

Von Wolfgang Bachmann
Man muss die Leser abholen, lautet eine Grundregel für Journalisten, man muss sie mit etwas konfrontieren, was sie kennen oder was gerade durch die Medien geistert, um die Lektüreschwelle niedrig zu halten. Das beherrscht Niklas Maak und zeigt deshalb zum Auftakt Christian Wulf beim Rasensprengen vor seinem Haus in Großburgwedel. Die Geschichte mit der freundschaftlichen Kredithilfe ist bekannt. Maak nutzt sie für die knappe Folgerung: „Hätte sich Wulf 2008 gegen ein Krüppelwalmdachhaus auf dem Land bei Hannover entschieden, würde er vermutlich noch heute als Präsident im deutlich größeren Berliner Schloss Bellevue wohnen.“
Damit sind wir mit einem Satz in der Spur: Es geht um spießige Einfamilienhäuser, mit denen die Stadtränder zersiedelt werden.
Und der Autor hält das Tempo, erwarten wir als Leser doch eine deutliche Stellungnahme und kein unentschiedenes Abwägen. Also kippt man uns ein semantisches Kraftfutter vor die Füße, „dämmverputzte Billigstkisten“ für den „burnoutgeplagten, weil überarbeiteten Immobilienbesitzer“, der seine Wochenenden im „Gestank von Grillfleisch und Holzschutzmittel“ fristet. Dies vorweg: Man hätte sich einen Lektor gewünscht, der dieses postmoderne Geschwurbel mit „airbagbewehrten, sportlich befelgten airconditionierten Turbodieselgroßraumlimousinen“ weggeschaufelt hätte. Denn Maak verfolgt ja ein seriöses Anliegen. Er möchte „eine Analyse der
Interessen und Kräfte leisten, die dazu führen, dass die Wohnungen, Häuser und Städte so
aussehen, wie sie aussehen“, außerdem Alternativen dafür anbieten, das Öffentliche und Private neu zu verhandeln, „damit wir anders wohnen und leben können“.
Eine Aufgabe, die eines Bauministers würdig wäre. (Oscar Schneider hat es 1986 redlich versucht.) Maak verwertet dazu seine jahrelangen Recherchen und Reiseerfahrungen, die sich schon in vielen Zeitungsartikeln niedergeschlagen haben. Jetzt sollen sie in Buchform zusammenpassen, Wiederholungen werden in Kauf genommen. Die aus vielen Disziplinen zusammengestellten Zutaten bieten eine globale Sicht, zeitlich und örtlich unbegrenzt. Wir erfahren, wie sich Städte und Vorstädte zu Lasten der Gemeinschaft verändert haben, weil sich eine schwache Politik dem „zynischen Immobilienkapitalismus“ nicht mutig entgegengestellt hat. Dieser linksliberale Generalbass begleitet Maaks Ausführungen durch das gesamte Buch. Die „Interessen der Bauindustrie“ an „billigst gebauten Einfamilienhauswürfeln“ zur „Profitmaximierung“ – das liest sich wie feuilletonistische Textbausteine aus den Flugblättern der 68er. Damals war der Autor noch gar nicht auf der Welt, er kokettiert nur mit dem Jargon des Politischen und zieht keine Konsequenzen.
Von den verödeten Städten und kakophonischen Vororten werden wir auf die inszenierten Gegenbewegungen verwiesen, auf die guten Dinge, die es noch gibt und die in Disney-USA die Größe von Retortenstädten annehmen können. Auch das ist keine Lösung, nur ein Geschäft, solange die Bewohner eine „arglos-schläfrige Ruhe“ genießen wollen. Deshalb erst mal zum Mitschreiben: Was ist eigentlich ein Haus? Die Antworten bewältigt der Autor mit einem Exkurs aus sozio-ästhetischen und technischen Beobachtungen. Seine Erkenntnisse reichen allerdings nicht über Wikipedia-Wissen hinaus, so dankbar sich das (nicht zu Unrecht) gescholtene Wärmedämmverbundsystem dafür auch anbietet. Wenn es um Konstruktives oder Praktisches geht, liegt Maak, sagen wir: halbfalsch. Er macht es mit Einseitigkeit und Übertreibungen wett.
Doch es gibt ja Lichtblicke. Zum Beispiel in Japan. Häuser, in denen Räume „durch eine flexible Denkbewegung in erfolgreiche Außenräume umgewandelt werden können“. Um diese Erfahrung beneidet man den Autor, möchte allerdings fragen, wie und bis wann diese avantgardistischen Einzelstücke aus einem anderen Kulturkreis unsere Wohnungswirtschaft beflügeln sollen. Nicht auszuschließen, dass unser Elend daran liegt, dass wir alle einzeln hausen wollen und die Alternativen zu „nuklearen Kernfamilien“ (??) und „hippiesken Wohnkommunen“ nicht genügend kennen.
Gretchenfrage: Werden wir von anthropologisch Gegebenem oder kulturell Gewordenem beeinflusst? Dazu verweist Maak auf die Geschichte, weit zurück bis zur Steinzeit und zu den Neandertalern, auf klischeehafte Rollenbilder und politisch gewollte Lebensentwürfe. Und nennt Beispiele jenseits der Kleinfamilie, etwa Künstler, die zwischen ihrem Atelier und ihrer Wohnung lustwandeln. Gut so. Dies sind die wertvollsten Reisemitbringsel seiner Analyse, die leider von allerlei unnötigem Geranke überwuchert und im Gegensatz zum großen Konterfei des rasensprengenden Bundespräsidenten von pixeligen Fotos in Briefmarkengröße begleitet wird. Wir sollten, lautet die Botschaft, unser Verhältnis zum Privaten und Öffentlichen überdenken und utopische Unbestimmtheiten zulassen. Nähe wird in einer Zeit „bedrohlicher unsichtbarer Phänomene“, die uns mit den iPhonePotPads umgeben, zu einem lebenserhaltenden Produkt. Das leuchtet ein. Also liegt die Lösung
in der solidarischen Gemeinschaft, mit der wir unser Habitat teilen sollen? So ernst ist es dem FAZ-Redakteur Maak nicht mit dem Kollektiv. Weiß er doch: „In einer Mietwohnung kann man sich den Nachbarn besser von Leibe halten.“
Schließlich nimmt er uns mit in die zeitgenössische Architekturgeschichte und überlässt es unserer Assoziationsgabe, ob wir herausfinden, warum wir andere Häuser brauchen. Es geht nur noch peripher ums Wohnen, vielmehr um Stadt und Raum und Kunst. Hat das Buch also eine Botschaft? Ein harsches Fazit wäre: Was uns mit den Wohnproblemen plagt, gibt Maak als Frage an die Leser weiter, weil er selbst keine Antwort weiß. Und was er weiß, hat nichts mit dem Thema zu tun. Seine Vision, „eine hochverdichtete, kluge Stadtarchitektur, die das Pendeln in die Vororte unnötig macht“, gehört seit langem zum Repertoire der städtebaulichen Seminare. Für eine Umsetzung vor unserer Haustür bedarf es mehr als einer flotten Schreibe.

Das Buch kann mehr erreichen als jedes Fachbuch

Kritik: Benedikt Hotze
Dies ist kein Architektur-Fachbuch. Es ist Feuilleton, nicht Gebäudelehre II. Gleichwohl wird es sicher auch von Architekten gelesen – die es dann vielleicht dem einen oder anderen aktuellen Häuslebauer zu Weihnachten schenken. Und in ein solches Milieu hinein will es wirken und seine Grundthese verbreiten: von der sozialen, ökonomischen und ökologischen Falschheit dessen, was in dieser Gesellschaft im Wohnungsbau als scheinbar alternativlos gilt. Und das gelingt Niklas Maak auf der ganzen Linie.
Mit dem Furor des gerechten Zorns schildert er den Ist-Zustand. Er seziert bescheuerte Werbefilme für Luxus-Apartmentanlagen in der Innenstadt, die den Lebenswandel der umbuhlten Hochpreis-Käufer als leer und debil abbilden und das beworbene Projekt in jeder Hinsicht als Bedrohung entlarven – gerade auch für die urbane Atmosphäre, die hier gesucht wird. Er arbeitet sich am „ästhetischen Massaker“ des freistehenden Einfamilienhauses in der Vorstadt ab, das aus Kostengründen auf einem viel zu kleinen Grundstück steht und daher neben zwei Carports und dem Grillunterstand nur noch einen handtuchbreiten Rasen zulässt. Beklebt ist dieses Haus mit Verpackungsmüll, der einen erstaunlich geringen Effekt für das Klima hat und dafür in einem alternierenden Prozess immer wieder neu die Taschen von Dämmstoffherstellern füllt. Überhaupt ist dieses Haus, gemessen an der miesen Qualität, systematisch zu teuer. Dieser Sehnsuchtsort im Grünen bedient ein gesellschaftliches Auslaufmodell – die Kleinfamilie. Um den Ort im Alltag zu erreichen, verdieseln die Familienmitglieder im Jahr ein Vielfaches der Energie, die der schrundige Wärmedämmvollschutz einspart.
In die Beschreibung des Problems wird immer wieder die Lösung eingewoben – oft so beiläufig, dass der Leser (zunächst) gar nicht merkt, dass Niklas Maak ihm gerade zeitgenössische Avantgardebauten als Alternative vorschlägt. Kollektiv, flexibel und reduziert sind diese Architekturen, sie stammen von Lacaton Vassal, Sou Fujimoto, Diller Scofidio oder SANAA – Namen, die ein Architekt natürlich kennt. Nicht ohne Grund finden sich viele Beispiele aus Japan. Warum geht dort, was bei uns angeblich nicht geht? Andersherum: Warum geht es denn bei uns nicht?
Das erläutert Maak am Beispiel der Münchener Werkbundsiedlung, die er als Fall von „ideologischem Dogmatismus in der Baupolitik“ beschreibt. Dort sollte der ambitionierte Wettbewerbsentwurf von Kazumari Sakamoto, ein „asiatisches Verdichtungskunstwerk“, beweisen, dass die Impulse der japanischen Gegenwartsarchitektur auch im Maßstab einer Siedlung mit 1000 Wohneinheiten funktionieren. Sakamotos experimentelle Turmstadt wäre eine ästhetische, soziale und ökologische Sensation geworden – und scheiterte 2008 an der Borniertheit klar benennbarer politischer Entscheidungsträger.
Nun ist in München Wohnraum so gefragt, dass die Leute resigniert in jedes Loch ziehen. Aber das ist ja nicht überall so. Wenn dieses Buch dazu beträgt, dass Diejenigen, die wohnen wollen – also wir alle – bei der Wahl der Wohnung auch soziale, gestalterische und ökologische Kriterien berücksichtigen, hat es mehr erreicht als jedes Fachbuch.
Fakten
Autor / Herausgeber Niklas Maak
Verlag Hanser Verlag, München 2014
Zum Verlag
aus Bauwelt 48.2014
Artikel als pdf

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