Beyond Fukushima
Will Nuclear Catastrophe bring Humanity to Its Senses?
Text: Geipel, Jan D., Kopenhagen
Beyond Fukushima
Will Nuclear Catastrophe bring Humanity to Its Senses?
Text: Geipel, Jan D., Kopenhagen
Drei Tage nach der zerstörerischen Trias aus Erdbeben, Tsunami und Nuklearunfall im März 2011 bereiste der junge japanische Fotojournalist Kazuma Obara die Region Tohoku. Er dokumentierte die Menschen, die Ohnmacht und aufkeimende Zuversicht inmitten der physisch wie psychisch kaum fassbaren Verwüstung ganzer Ort- und Landschaften.
Obara war auch der erste Fotograf, der das havarierte Kernkraftwerk Fukushima Daiichi besuchte und dort unautorisierte Gespräche mit den kurzfristig eingesetzten Hilfsarbeitern führte: frontale Close Ups gepaart mit kurzen Interviews, die in ihren oft fatalistischen Antworten eine selten intensive Konfrontation mit dem individuellen Schicksal evozieren. Nähe, Dichte und Komplexität der über drei Kapitel ausgebreiteten Fotos und Texte drängen den Betrachter aus der gedanklichen Komfortzone der unversehrten Distanz. Die wenigen dazwischengestreuten, sorgsam gewählten Äußerungen, beschwichtigend von Seiten der japanischen Regierung, hinterfragend von Seiten ausländischer Medien wie japanischer Künstler, fordern die dritte Perspektive, den eigenen Standpunkt des Lesers.
Im Unterschied zur visuell flüchtigen Qualität aller zeitnah nach der Katastrophe ausgestrahlten Filmreportagen bietet sich hier, in gedruckter Form, Raum und Anregung für eine vertiefende wie weitreichende Reflektion. Welche Gesellschaft wünschen wir uns für die Zukunft? Wie wollen wir mit unseren sensiblen Lebensgrundlagen umgehen? Welche Gemeinsamkeiten verbinden uns in einer globalen Gemeinschaft?
Die öffentliche Meinung im technologisch hochentwickelten Japan jedenfalls hat sich nach Fukushima, genau wie Deutschland, endgültig vom Mythos sicherer Nuklearenergie verabschiedet. Die Mehrheit ist inzwischen gegen einen Ausstieg. Der japanische Komponist Jun Miyake geht bereits einen Schritt weiter. Die Gesellschaftsform des japanischen Konformismus und Obrigkeitsvertrauens sieht er an ihrem Ende angelangt. „The days of conformity are now over“. Er appelliert an den im Buchtitel angeführten kollektiven Reset und eine Neuausrichtung von Gesellschaft und Politik durch aufgeklärte, emanzipiert agierende Individuen. Die Mehrzahl von Obaras Bilder und Interviews allerdings wurde nie in den großen japanischen Medien gezeigt. Aktivisten wie der Litertaurnobelpreisträger Kenzaburo Oe und der Musiker Ryuichi Sakamoto, die sich öffentlichkeitswirksam für eine Abkehr von der Atomkraft und Hinwendung zu nachhaltigen Energiequellen einsetzen, sehen sich immer wieder der Kritik atomnaher Politiker oder Lobbyisten ausgesetzt.
Kein japanischer Verlag war bereit, die Bilder in Buchform zu publizieren. Unangenehme Nachrichten zum Thema werden so lange wie möglich heruntergespielt, auf Zeit gespielt, oder bis zur Unkenntlichkeit fragmentiert. So auch die wiederholten Großdemonstrationen im Sommer dieses Jahres vor dem Parlament in Tokio. Stattdessen verzehren Politiker als Beweis angeblicher Unbedenklichkeit weiterhin vor laufenden Kameras Lebensmittel aus der verstrahlten Umgebung von Fukushima. Selbst der staatliche Sender NHK, für die meisten Japaner die seriöseste Nachrichtenquelle, zeigt bis heute nicht alle relevanten Bilder des Geschehenen. Die kritische Öffentlichkeit bleibt, vorerst jedenfalls, angewiesen auf Informationen aus sozialen Medien, und auf Veröffentlichungen mutiger Journalisten und Verleger auch internationaler Herkunft.
Stellvertretend für das letzte Kapitel, einer sachten Annäherung an ein normalisiertes Leben in und um Fukushima atmet auch das abschließende Foto diskret Zuversicht. Ein bedrohliches Wolkenfirmament über einem weiten, staubigen Nichts. Darauf Kinder, so ausgelassen wie zielsicher einen Ort außerhalb des sichtbaren Bildausschnitts ansteuernd. Und irgendwo scheint die Sonne kurz vor dem Durchbruch, um die Reste jeglicher Tristesse zu verdrängen. Kompetenzen, Talente und Möglichkeiten für einen erfolgreichen Neustart sind in Japan in beneidenswerter Fülle vorhanden. Mut dazu formiert sich in allen Gesellschaftsschichten. Kazuma Obara, der ursprünglich Soziologie an der Universität Utsunomiya studierte, kündigte nach seinen Erfahrungen mit Fukushima den gut dotierten Job in der Finanzabteilung einer bekannten Bank, um sich gänzlich der engagierten Reportagefotografie zu verschreiben. Seine über den Zeitraum mehrerer Monate in und um Fukushima entstandenen und hier erstmals in Buchform publizierten Fotografien und Interviews verdienen uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Lesenswert, sehenswert, nachdenkenswert.
Im Unterschied zur visuell flüchtigen Qualität aller zeitnah nach der Katastrophe ausgestrahlten Filmreportagen bietet sich hier, in gedruckter Form, Raum und Anregung für eine vertiefende wie weitreichende Reflektion. Welche Gesellschaft wünschen wir uns für die Zukunft? Wie wollen wir mit unseren sensiblen Lebensgrundlagen umgehen? Welche Gemeinsamkeiten verbinden uns in einer globalen Gemeinschaft?
Die öffentliche Meinung im technologisch hochentwickelten Japan jedenfalls hat sich nach Fukushima, genau wie Deutschland, endgültig vom Mythos sicherer Nuklearenergie verabschiedet. Die Mehrheit ist inzwischen gegen einen Ausstieg. Der japanische Komponist Jun Miyake geht bereits einen Schritt weiter. Die Gesellschaftsform des japanischen Konformismus und Obrigkeitsvertrauens sieht er an ihrem Ende angelangt. „The days of conformity are now over“. Er appelliert an den im Buchtitel angeführten kollektiven Reset und eine Neuausrichtung von Gesellschaft und Politik durch aufgeklärte, emanzipiert agierende Individuen. Die Mehrzahl von Obaras Bilder und Interviews allerdings wurde nie in den großen japanischen Medien gezeigt. Aktivisten wie der Litertaurnobelpreisträger Kenzaburo Oe und der Musiker Ryuichi Sakamoto, die sich öffentlichkeitswirksam für eine Abkehr von der Atomkraft und Hinwendung zu nachhaltigen Energiequellen einsetzen, sehen sich immer wieder der Kritik atomnaher Politiker oder Lobbyisten ausgesetzt.
Kein japanischer Verlag war bereit, die Bilder in Buchform zu publizieren. Unangenehme Nachrichten zum Thema werden so lange wie möglich heruntergespielt, auf Zeit gespielt, oder bis zur Unkenntlichkeit fragmentiert. So auch die wiederholten Großdemonstrationen im Sommer dieses Jahres vor dem Parlament in Tokio. Stattdessen verzehren Politiker als Beweis angeblicher Unbedenklichkeit weiterhin vor laufenden Kameras Lebensmittel aus der verstrahlten Umgebung von Fukushima. Selbst der staatliche Sender NHK, für die meisten Japaner die seriöseste Nachrichtenquelle, zeigt bis heute nicht alle relevanten Bilder des Geschehenen. Die kritische Öffentlichkeit bleibt, vorerst jedenfalls, angewiesen auf Informationen aus sozialen Medien, und auf Veröffentlichungen mutiger Journalisten und Verleger auch internationaler Herkunft.
Stellvertretend für das letzte Kapitel, einer sachten Annäherung an ein normalisiertes Leben in und um Fukushima atmet auch das abschließende Foto diskret Zuversicht. Ein bedrohliches Wolkenfirmament über einem weiten, staubigen Nichts. Darauf Kinder, so ausgelassen wie zielsicher einen Ort außerhalb des sichtbaren Bildausschnitts ansteuernd. Und irgendwo scheint die Sonne kurz vor dem Durchbruch, um die Reste jeglicher Tristesse zu verdrängen. Kompetenzen, Talente und Möglichkeiten für einen erfolgreichen Neustart sind in Japan in beneidenswerter Fülle vorhanden. Mut dazu formiert sich in allen Gesellschaftsschichten. Kazuma Obara, der ursprünglich Soziologie an der Universität Utsunomiya studierte, kündigte nach seinen Erfahrungen mit Fukushima den gut dotierten Job in der Finanzabteilung einer bekannten Bank, um sich gänzlich der engagierten Reportagefotografie zu verschreiben. Seine über den Zeitraum mehrerer Monate in und um Fukushima entstandenen und hier erstmals in Buchform publizierten Fotografien und Interviews verdienen uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Lesenswert, sehenswert, nachdenkenswert.
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