Schnörkellos
Die Umgestaltung von Bauten des Historismus im Berlin des 20. Jahrhunderts
Text: Rumpf, Peter, Berlin
Schnörkellos
Die Umgestaltung von Bauten des Historismus im Berlin des 20. Jahrhunderts
Text: Rumpf, Peter, Berlin
„Ihrem Wunsch nach Herstellung der Fassade kann ich nicht entsprechen. Bei der noch zu erwartenden relativ geringen Lebensdauer des Gebäudes scheint es mir nicht vertretbar, öffentliche Mittel zur Wiederherstellung zu investieren.“ So abschlägig beschied Rolf Schwedler 1957 die Bitte eines Hauseigentümers um finanzielle Unterstützung.
Dem Berliner Bausenator waren Gründerzeitfassaden generell suspekt. Damit befand er sich im Einvernehmen seiner Zeitgenossen im Allgemeinen und der Bauindustrie bzw. Architektenschaft im Besonderen. Bei besagtem Objekt handelte es sich um das Wohnhaus Joseph-Haydn-Straße 1, gleich neben dem S-Bahnhof Tiergarten. Der Hauswirt hat die Fassade dann aus eigener Tasche bezahlt. Heute steht das Schmuckstück als letzter Zeuge für das ganze Viertel, wie es vor seiner Bombardierung im Krieg und dem totalen Abräumen zur Interbau 1957 ausgesehen hatte.
Berlin, vor allem seine westliche Hälfte, war besonders betroffen von der sogenannten Entdekorierung – auch Bereinigung, Purifizierung oder Entstuckung –, wie sie in den 50er und 60er Jahren „in Mode“ kam. Ausschlaggebend waren weniger finanzielle als ästhetische Gründe und die ideologische Abrechnung mit der wilhelminischen Gesellschaftsordnung. Jonas Geist beschreibt die Folgen in „Das Berliner Mietshaus“: „Wie sehr der äußere Eindruck der Stadt durch das Abschlagen der Fassaden verloren hat, lehrt ein Blick auf den heutigen Zustand dieser Häuser.“ So bewahrten zum Beispiel in Kreuzberg von 2306 erhalten gebliebenen Wohnbauten nur 948 ihren Stuck – wenn sie nicht gleich ganz abgerissen wurden, was sich dann Kahlschlagsanierung nannte. Für besagten Rolf Schwedler waren nicht weniger als 250.000 Berliner Wohnungen abbruchreif. Seine Amtszeit endete erst 1972.
In seiner groß angelegten Studie geht Hans Georg Hiller von Gaertringen diesem heute nur schwer nachzuvollziehenden Phänomen auf den Grund. Und wie es sich bei einer Dissertation gehört, werden reichlich Quellen aufgetan und ausgewertet und Fußnoten gesetzt. Bevor der quantitative Höhepunkt der Entdekorierung während der 50er Jahre beschrieben wird, beschäftigt sich der Autor mit einer ersten Welle schon in den 20er Jahren, wobei Adolf Loos mit seinem „Ornament und Verbrechen“ 1908 Anstoß und Vorwand lieferte. Mendelsohn, Muthesius, Taut und andere halfen dabei mit. Kurz wird der Umgang mit dem Historismus in der NS-Zeit beleuchtet, in der auch der Begriff „Entschandelung“ geprägt wurde.
Wiederum war es ein Essay, der den Umschwung brachte: Wolf Jobst Siedlers „Die gemordete Stadt“, erschienen 1964. Die Kunstgeschichte entdeckte den bis dahin geschmähten Historismus neu. Sanierungsgebiete wie Klausener Platz und Chamissoplatz wurden ausgewiesen, Abbruchpläne gestoppt und die „behutsame Stadterneuerung“ wurde erfunden – wobei die „Achtundsechziger“ keine geringe Rolle spielten. Nicht zuletzt halfen Stuck und Dekor auch der Maklerbranche als Verkaufsargument. Bis heute.
Hans Georg Hiller von Gaertringen beschließt seine Studie mit einem 150-seitigen Bildteil, einer Sammlung von Entdekorierungen und Fassadenneugestaltungen historischer Wohn- und Geschäftshausfassaden bis zum Zweiten Weltkrieg, in Deutschland, Österreich und Polen. Ferner liegt dem Buch eine Karte bei, auf der für die Berliner Teile Kreuzberg und Prenzlauer Berg Block für Block und Haus für Haus erhaltenes, verlorenes und erneuertes Fassadendekor aufgelistet ist, also für die Stadtteile, in denen die Mietskasernen den Krieg nahezu unbeschadet überstanden haben, Stand 1979 bzw. 2008. Die Arbeit ist sorgfältig ediert und erscheint in der Reihe „Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin“.
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