Bauwelt

Stadtbaukunst und Wohnungsversorgung

50 Jahre Halle-Neustadt

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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Stadtbaukunst und Wohnungsversorgung

50 Jahre Halle-Neustadt

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Zahlreich sind die Buchproduktionen zum runden Geburtstag von Halle-Neustadt – eine ragt heraus: Peer Pasternacks „50 Jahre Streitfall Halle-Neustadt“, gut 600 Seiten umfassend, war sofort vergriffen, und musste nachgedruckt werden. Kein Wunder, die niederschwellige Kombination leicht lesbarer Kurztexte mit stimmungsvollen Fotos traf vor Ort den Nerv der Zeit. Pasternack forscht als Politikwissenschaftler im Bereich der Soziologie. Dies merkt man dem Band an: Er thematisiert vor allem das Alltagsleben und die frühere politische Indoktrination.
Pasternack konnte 46 Co-Autoren gewinnen: neben den beteiligten Architekten Joachim Bach (Leiter des Planungsbüros) und Karlheinz Schlesier (ab 1969 Chef-Architekt) auch Journalisten, Historiker, Stadtplaner und Soziologen. Auch langjährige Bewohner kommen zu Wort. Einige dieser leider nur maximal fünf Seiten umfassenden Gastbeiträge sind wahre Highlights: vor allem Bachs subtile Texte zur Planungsgeschichte, aber auch Elisabeth Merks Ausführungen zur Bedeutung der Stadt, Albrecht Wieseners Darstellung der real-sozialistischen Entwicklung von der Stadtbaukunst zur Wohnungsversorgung („Wir Kommunisten jagen keinen Utopien nach!“) sowie Wolfgang Kils Blick auf die Abwärtsspirale des „Stadtumbau Ost“. Einige Erinnerungen tragen unfreiwillig komische Züge: So waren die auf einer Dauerbaustelle lebenden Neustädter in der Altstadt bei Kulturveranstaltungen lange Zeit „daran zu erkennen, dass sie Gummistiefel im Netz mit sich führten“.
Peer Pasternack betrachtet vor allem die gesellschaftlichen Rahmenbedingun-gen und den Niedergang der Neustadt. Die Stasi ist dabei omnipräsent: Deren hartes, um Vertuschung bemühtes Eingreifen bei der Trauerfeier für das erste Selbstmordopfer (das an der Aufschlagstelle ausgelegte schwarze Stoffstück stammte aus einer zerrissenen DDR-Fahne) führte zu den völlig ungerechtfertigten Gerüchten, in Plattenbauten würden sich „suizidale Tendenzen“ häufen. Man muss schon sehr genau hinschauen, um den Band nicht als postsozialistische Abrechnung zu verstehen: Wenn z.B. unter „Fremdimage“ nach einer langen Aufzählung negativer journalistischer Klischees und dem Fazit „Da hilft nur noch Dynamit“ (Der Spiegel, 2000) lediglich im Nachsatz erwähnt wird, dass die Stadt von ihren alteingesessenen Bewohnern „positiv bewertet“ wird und diese negativen Darstellungen vor Ort „als erfahrungsfreie und daher vom ‚wahren‘ Leben der Stadt kenntnislose Meinungen wahrgenommen“ werden.
Experimente sind ein wesentlicher Bestandteil des Fortschritts. Nur wenn man visionäre Ideen in die Realität umsetzt, kann man herausfinden, ob sie sich in der Praxis bewähren. Halle-Neustadt war stark auf den sozialistischen Alltag (mit Werkbahn, Schichtarbeit und Rund-um-Versorgung) zugeschnitten. Mit dem Untergang des Gesellschaftssystems veränderte sich neben dem Alltag der Menschen jedoch auch ihr Lebensumfeld: die Stadt begann zu schrumpfen und verwandelte sich in einen sozialen Brennpunkt. Diese Entwicklung wird facettenreich dargestellt. Viele für die Identität der Stadt wichtige planerische und konstruktive Aspekte (Chemiebaustoffe) werden jedoch nur touchiert. Die neueren Fotos enttäuschen, einige inhaltliche Widersprüche irritieren. Doch der Unterhaltungswert des Buches ist groß, und seine historischen Fotos beeindrucken. Mit der 24 Seiten umfassende Literaturliste lässt sich weiter zum Thema studieren.
Fakten
Autor / Herausgeber Peer Pasternack u.a.
Verlag Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2014
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aus Bauwelt 40-41.2014
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