The Dialogic City
Berlin wird Berlin
Text: Kuhlmann, Elmar, Berlin
The Dialogic City
Berlin wird Berlin
Text: Kuhlmann, Elmar, Berlin
Ob sich Gegensätze wirklich anziehen, bleibt dahingestellt. Dass sie anziehende Wirkung haben, legt der Band „The Dialogic City – Berlin wird Berlin“ des Herausgeber-Trios Brandlhuber, Hertweck & Mayfried nahe. Darin wird eine Folge antonymer Wortpaare (Zentren/Mitte, Stadt/Natur, Fiktion/Realität, Fremdbild/Eigenlogik, Gemeinschaft/Individualität, Teilhabe/Governance, Boden/Eigentum) zum Gegenstand eines stadtsoziologischen Betrachtungs-Marathons. Mit Beiträgen oder Interviews sind als Tempomacher auf den sieben Streckenabschnitten über 50 Sach- und Fachautoren dabei. Ein editorischer Parforceritt, des fixen Erscheinungstermins wegen erst recht ein zeitlicher: Das Druckwerk musste punktgenau zur Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung im September 2015 in der Berlinischen Galerie als deren ‚zentrales Exponat‘ vorliegen (Bauwelt 10.2016). Es ist ihm anzumerken.
Nicht der Erscheinung wegen, die mit Bedacht auf grafische Anleihen der autonom-alternativen Flugblatt-, Fanzine- oder Plakatkultur zurückliegender Jahrzehnte zurückgreift. Kaum Blattränder, durchscheinendes Papier, mäßige s/w-Reproduktionsqualität. Vermeintlich cheap & dirty werden Text und Bild zu einem Konvolut aus 670 Seiten montiert, dessen spröde Gestaltung ihren Charme augenscheinlicher Akademieferne verdankt. Ironie? Das Projekt ist jedenfalls ein Gemeinschaftswerk der drei Herausgeber mit Studierenden des Masterstudienganges Architektur und Stadtforschung an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg.
Allen sieben Kapiteln sind einführende Statements von Arno Brandlhuber und Florian Hertweck vorangestellt, denen ein solides Lektorat nicht geschadet hätte („Die Chance für einen Dialog zwischen dem Palast der Republik und einer Rekonstruktion des Stadtschlosses ist vertan.“). Auch fehlt dem Kapitel „Gemeinschaft & Individualität“ das obligate Interview, das wohl nicht mehr geführt oder eingearbeitet werden konnte.
Indes weckt die implizite Titelthese, dass Berlin erst (wieder) Berlin werden müsse, die Wissbegier darauf, wo heraus die Stadt denn – und durch was – zu sich selbst finden soll. Die Herausgeber knüpfen hier an den Beginn der neunziger Jahre an. Ausweislich des Soziologen Ulrich Beck ein Jahrzehnt, als Berlin „die Stadt schlechthin einer reflexiven Moderne“ gewesen sei, indem „soziale Widersprüche, politische Konflikte und historische Brüche“ aus der Haltung eines vermittelnden ‚Sowohl-als-Auch‘ geduldet wurden, statt sie der Auslese eines ‚Entweder-Oder‘ preiszugeben. Unter Verweis auf den französischen Philosophen Edgar Morin wird dieses Handlungsprinzip als „dialogisch“ identifiziert, um nun auf Heilsamkeit seiner (Wieder-)Einführung geprüft zu werden. Denn Berlin leide darunter, dass dessen heterogene Qualitäten zusehends „dem Modell einer konventionellen, quasi pyramidalen europäischen Großstadt“ weichen, diagnostiziert das Vorwort.
Was folgt, ist ein unterhaltsames Kompendium jüngerer und jüngster Gegenentwürfe zum gebrandmarkten Ausschlussprinzip aktueller Stadtentwicklungspolitik. Leider sind sich die meisten Akteure allzu einig über den Forderungskatalog etwa nach Partizipation, Polyzentralität, Durchmischung, Quartierssicherung etc. in städtebaulichen Zielvorgaben. Aufhorchen lässt, dass über flexible Bauleitplanung und progressive Auslegung von Baugesetz und Bauordnung der dialogische Deal einer verhandlungsaktiven Bauverwaltung zum Schlüssel werden soll. Exemplarisch: Die außerplanmäßige Genehmigung einer Penthouse-Aufstockung wird künftig an die Überlassung eines darunterliegenden Bestandsgeschosses für mietpreisgebundenes Wohnen geknüpft. Das klingt politisch korrekt. Vielleicht aber hätte das angehängte Faksimile des juristischen Aufsatzes „Bodenrecht und Stadtentwicklung“ von Dr. Hans-Jochen Vogel aus dem Jahr 1972 doch ganz an den Anfang des Buchs gehört.
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