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Thomas Struth – Stadt- und Straßenbilder | Architektur und öffentlicher Raum in der Fotografie der Gegenwartskunst

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Thomas Struth – Stadt- und Straßenbilder | Architektur und öffentlicher Raum in der Fotografie der Gegenwartskunst

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Über Thomas Struths Stadt- und Straßenbilder wollte ich schon lange mehr wissen. Wie viel Ironie mag wohl in diesen, in letzter Zeit auch zunehmend farbigen Aufnahmen von meist ganz alltäglichen städtischen Situationen stecken? Oder ist es Melancholie, die den Künstler an diese „unbewussten Orte“ treibt? Wie viel dokumentarischen Anspruch erhebt ihr Schöpfer? Und wie viel Kritik an den aufgenommenen Zuständen lässt sich aus seinen Bildern lesen?
Um es gleich vorwegzunehmen: Antworten auf meine Fragen habe ich durch die Lektüre dieser Publikation von Annette Emde, welche diesen und noch anderen Fragen nachgeht, nicht gewonnen – Frau Emde kommt zu dem Fazit, dass die Fotos in ihrer Bedeutung offen sind. Hab’ ich’s mir doch gedacht. Warum die Lektüre aber trotzdem zu empfehlen ist, liegt an dem breiten Rahmen, den die Autorin für ihre Analyse aufzieht: Sie beginnt bei Adam und Eva; bezogen auf die Fotografie also bei der allerersten überlieferten Fotografie, mit Rückblick von dort bis in die Renaissance, als die Zentralperspektive entwickelt wurde. „Fotografie ist von Beginn an Architekturfotografie“, lautet das in dieser Eindeutigkeit für mich überraschende Resultat ihres geschichtlichen Rückblicks. Und auch ihre Darlegung, warum erst Funktionsverluste der Sprache im Zuge der Aufklärung das neue Medium Fotografie ermöglicht und erfordert haben, habe ich mit großem Gewinn gelesen. In dieser, der Analyse der Struth-Bilder vorangestellten „Ersten Hauptunter­suchung“, sind auch die der wissenschaftlichen Arbeit typischen Verweise und Fußnoten für den Leser interessant – störend wirkt sich aber aus, dass sie ganz am Ende des Buches zusammengefasst worden sind, so dass immer wieder Aussteigen aus dem Text, Blättern und Suchen notwendig ist.
Bei der Lektüre der „Zweiten Hauptuntersuchung“, mit der sich Emde dann dem eigentlichen Gegenstand ihres Interesses zuwendet, hat meine Begeisterung aber schnell nachgelassen. Das lag nicht vornehmlich an den mitunter doch etwas wortreichen Beschreibungen der einzelnen Fotos, bei deren Lektüre ich mir ein zupackendes Schlusslek­torat gewünscht hätte, sondern mehr noch an dem zunehmenden Eindruck, dass der Autorin wichtige Kenntnisse fehlen, um wirklich treffende Schlüsse ziehen zu können: einerseits Kenntnis der von Struth fotografierten Orte, andererseits Kenntnis der jün­geren Architektur- und Stadtgeschichte. Das Spektrum der dadurch in den Text gelangten Schwächen reicht von nicht unerheblichen Unschärfen der Interpretation bis hin zu peinlichen Fehlschlüssen, bei denen der Leser sich wahlweise aufregen oder fremdschämen darf.
Drei Beispiele aus meiner zwei DIN A4-Blätter füllenden Liste: Gewiss mögen Struths frühe Düsseldorf-Bilder eine Kritik am Wiederaufbau der Stadt enthalten, und gewiss darf dies als eine Kritik an der Architektur der Nachkriegsmoderne verstanden werden. In diesem Zusammenhang immerhin erwähnenswert aber ist die Tatsache, dass gerade das Düsseldorf der Nachkriegszeit ein Reservat für hochrangige Nazi-Architekten und -Künstler war: von Tamms über Schulte-Frohlinde, Hentrich und Heuser, Wolters und Gutschow bis hin zu Arno Breker. Der Neuaufbau der Stadt wurde von ihnen maßgeblich geprägt, während sie andere architektonische und städtebauliche Haltungen zu unterbinden versuch­ten – erinnert sei nur an den „Düsseldorfer Architektenring“ um Bernhard Pfau und den von ihm ausgelösten Architekturstreit.
Ein anderes Beispiel: Die Aufnahme von der Swinemünder Brücke in Berlin, 1992 entstanden, mag vielleicht das an jenem Ort drohende Verschwinden von Geschichte kritisieren, aber nicht, weil dort die Neubebauung eines gesichtslosen Wohnquartiers bevorsteht, wie die Autorin mutmaßt, sondern allenfalls, weil die durch die Teilung der Stadt stillgefallenen Gleisanlagen im Mauerstreifen zwischen Wedding und Prenzlauer Berg nach der Wiederver­einigung von der Deutschen Bahn reaktiviert wurden.
Und schließlich: Nein, Frau Emde, die weißen Fensterkreuze in den Wohnhäusern an der Bernauer Straße sind kein Mahnmal für die Toten der Mauer; weiße Fensterkreuze sind aufgrund der recht spendablen Raum- und mithin Fensterhöhe gründerzeitlicher Altbauten in Berlin durchaus noch an anderer Stelle in der Stadt finden.
Fakten
Autor / Herausgeber Annette Emde
Verlag Jonas Verlag
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aus Bauwelt 36.2010

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