Urban Renewal in Flanders 2002–2011
Architektur und Stadtplanung aus Flandern
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Urban Renewal in Flanders 2002–2011
Architektur und Stadtplanung aus Flandern
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Jahrbücher sind ja in der Regel eine vorhersehbare Angelegenheit mit Grußwort, Vorwort und einer Aneinanderreihung von Projekten. „Radical Commonplaces – European Architecture in Flanders“, der gewichtige Band des Flämischen Architekturinstituts (vai) in Antwerpen, will mehr sein als das: ein „Album der Ambitionen“, wie der seit 2011 amtierende vai-Direktor Christoph Grafe schreibt.
Wie geht das? Natürlich gibt es auch hier 16 ausgewählte Projekte, vom Wohnhaus bis zum Shoppingcenter. Dabei wird das Interpretationsfeld zuerst den Fotografen überlassen: Eine Fotostrecke mit hundert Seiten auf Hochglanzpapier zeigt den persönlichen Blick von zehn Fotografen, die eine „carte blanche“ bekommen haben: den Freibrief, sich ausgewählten Projekte auf ihre Art zu nähern. Der Fotoessay durchstreift den Alltag der Häuser und Städte, von den spröden Schwarz-Weiß-Fotos von Marc De Blieck bis hin zu den impressionistischen Farbstimmungen von Dieter Telemans vom Brüsseler Kollek-
tiv Nadaar. Natürlich ist auch Belgiens bekanntester Architekturfotograf Filip Dujardin mit von der Partie.
tiv Nadaar. Natürlich ist auch Belgiens bekanntester Architekturfotograf Filip Dujardin mit von der Partie.
Die Kritiker dagegen kommen erst im zweiten Teil zu Wort: Neun Essays widmen sich übergreifenden Themen, von der Stadterneuerung bis zum spezifischen Beitrag flämischer Büros zum Wohnen in der Suburbia. Neben bekannten belgischen Autoren wie Stefan Devoldere und André Loeckx schreibt Axel Sowa zum Material Holz, das in Flandern immer wieder stilprägend eingesetzt wird, und die Niederländerin Aglaée Degros verhandelt den vernachlässigten öffentlichen Raum. Diese zweite Buchhälfte ist keineswegs eine Bleiwüste, vielmehr sind die eingangs porträtierten Projekte mit Plänen und Fotos
zu den Essays gruppiert – das ist zum Teil etwas verwirrend, da die Projekte hier und dort auftauchen. Der „Architectural Review Flanders N°10“ gelingt es, Seh- und Lesegewohnheiten aufzubrechen – und ganz en passant den wohl zur Zeit besten Überblick über flämische Architektur zu liefern.
zu den Essays gruppiert – das ist zum Teil etwas verwirrend, da die Projekte hier und dort auftauchen. Der „Architectural Review Flanders N°10“ gelingt es, Seh- und Lesegewohnheiten aufzubrechen – und ganz en passant den wohl zur Zeit besten Überblick über flämische Architektur zu liefern.
Wer sich weiter in das Thema Stadterneuerung in Flandern vertiefen möchte, dem sei ein zweites, ebenfalls englischsprachiges Buch empfohlen: „Urban Renewal in Flanders (2002–2011)“ von Els Vervloesem, Bruno de Meulder und André Loeckx. Der Band versammelt in klassischer Manier 31 Stadterneuerungsprojekte von Brügge bis Turnhout, die seit der Einrichtung des „Vlaamse Bouwmeester“ (Flämischer Baudirektor) 1998 angeschoben wurden.
31 Projekte, das ist eine beachtliche Anzahl für die kleine Region, die insgesamt nur knapp über 6 Millionen Einwohner zählt. Die Autoren stellen die flämischen Konversionen, Nachverdichtungen und Sanierungsprojekte in den europäischen Kontext und vergleichen sie mit ähnlich skalierten Projekten in Bordeaux, Enschede, Hamburg, Liverpool, Lyon und Neuchâtel. Dabei reflektieren sie durchaus selbstkritisch, dass die Stadterneuerungsprojekte in Flandern meistens viel länger dauern als geplant oder erhofft, wie etwa die Konversion von Antwerpens Hafen, die bereits seit Anfang der 90er in Arbeit ist. Mit dem retroaktiven Manifest „Slow Urbanism“ versuchen die Autoren das Phänomen zu fassen und aus der Not eine Tugend zu machen: In neun Punkten wird ausgeführt, warum es besser ist, Planungen immer wieder über den Haufen zu werfen, als jahrzehntelang mit einem schlechten Ergebnis leben zu müssen. Der unprätentiöse Blick auf ein Problem, das auch andernorts große Stadtplanungsprojekte begleitet, ist frisch formuliert und unterscheidet durchaus zwischen qualitativer Langsamkeit und problematischer Verzögerung aufgrund von Bürokratie und Planungsfehlern.
Ob bei dieser „besonderen Praxis in Europa“ am Ende wirklich andere Stadträume herauskommen, wird man erst in den kommenden Jahrzehnten überprüfen können. Der vorliegende Band ist auf jeden Fall ein ausgezeichneter Wegweiser.
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