Bauwelt

Wang Shu

Imagining the House

Text: Geipel, Jan D., Stuttgart/Kopenhagen

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Wang Shu

Imagining the House

Text: Geipel, Jan D., Stuttgart/Kopenhagen

Griffiger, sandfarbener Karton, elegante japanische Fadenheftung, suggestiver Titel – die Lust auf den Inhalt ist geweckt. Ein erstes schnelles Durchblättern zur Orientierung – nichts. Dicke, leere, weiße Seiten. Lediglich rhythmisiert durch einige im Kolorit des Einbands gehaltene beidseitig beschriebene Blätter.
Eine haptisch wie dramaturgisch wahrlich gelungene Ouvertüre für das, was da kommt. Beim zweiten Durchblättern und genauerem Hinsehen fallen erste hauchfeine Skizzenstriche auf, dann die vielen großformatigen Klappseiten. Was hierunter wartet, entdeckt zu werden, ist nicht das fertige Haus, der fotogene Winkel, das schöne Detail, die komplette Werkschau, sondern vielleicht etwas viel Essentielleres. Analog zu in den im selben Verlag bereits erschienenen Skizzenbüchern von Steven Holl, Eduardo Souto de Moura und zuletzt Sou Fujimoto, entfaltet sich hier die Arbeitsweise des chinesischen Architekten und Pritzker Preisträger des Jahres 2012 Wang Shu.
Eigentlich wollte er Kunst studieren. Das scheiterte am Unwillen der Eltern. Mit der Entscheidung für Architektur hatte er etwas gefunden, dass in den Augen der Familie handfest genug war, ihm zugleich aber Raum zur zeichnerischen Auseinandersetzung bot. Wie sich im vorliegenden Band zeigt, ist die Komposition der Striche bei Shu nicht eines unter vielen Entwurfsmitteln, sondern zentraler Punkt, Mediator und Kommunikator zwischen innerer und äußerer Realität. Durch das körperliche wie kontemplative Ereignis des Zeichnens – Shu kalligrafiert darüber hinaus seit zehn Jahren täglich – verdichtet sich die Essenz der Empfindungen, Gedanken und Ideen auf Papier.
Die den sechs ausgewählten Entwürfen vorangestellten Prologe und die Fußnoten liefern dazu eine kompakte und gehaltvolle Einsicht in die konzeptionelle und philosophische Gedankenwelt des Architekten. Die Zeichnungen spannen den Bogen von ersten spontanen Skizzen, oft mit Angaben zu Stimmung, Ort oder Tageszeit, bis zu späteren Werk- und Detailzeichnungen. Immer wieder zeigt sich eine Vorliebe für die Annäherung durch die isome­tri­sche Darstellung. Die Skizzenfolge zum Xiangshan Campus in Hangzhou, an dem Shu inzwischen auch lehrt, macht die sechsjährige Planung erlebbar und nachvollziehbar, von der zaghaften Annäherung an die Großform, über die Brechung in ihre funktionalen Elemente, bis hin zu anschließenden Veränderungen, Anpassungen, Ergänzungen und Verschiebungen. Jedes Gebäude ist unterschiedlich modelliert, die Gesamtheit der Volumina begleitet und umspielt räumlich den nahen Fluss und zeichnet die Form des alten, einst hier gelegenen Dorfes nach.
Shu beginnt jedes Projekt in einer intensiven Auseinandersetzung mit den örtlichen Traditionen, Geschichten, Atmosphären, durch wiederholte Besuche und lange Aufenthalte. Bereits während der Entwurfsphase nimmt er Kontakt zu den Handwerkern auf, die den Bau ausführen werden. Shu verschließt sich keineswegs neuen Baumethoden oder technologischen Arbeitswerkzeugen. Wie er selbst anmerkt, ist er im 1997 gemeinsam mit seiner Frau Lu Wenyu gegründeten Büro Amateur Architecture Studio al­lerdings der einzige, der ausschließlich mit dem Bleistift arbeitet. Fern vom ausufernden chinesischen Turbo-Urbanismus, weist seine Herangehensweise eine wohltuend entschleunigte, subtile und humanistische Arbeitsmethodik, die auf gleichermaßen behutsame, sublime wie nachhaltige Weise das Gedächtnis der Orte in die Zukunft trägt. Beim Projekt für den Xiangshan Campus Wang ließ Shu Millionen alter Ziegel wiederverwenden. Material begreift er nicht allein physisch, als Materie, sondern gleichermaßen als dauerhaftes Behältnis für Erinnerungen. In der Auseinandersetzung mit Architektur und Entwurfsfindung geht es ihm daher weniger um ein prä­zises Bild als vielmehr um ein Gefühl, welches Vergangenheit und Zukunft sinnfällig miteinander verknüpft. Bei den buddhistischen Mönchen in Hangzhou, für die er ein hier ebenfalls vorgestelltes Teehaus bauen sollte, konnte es ihm mit der Zukunft nicht schnell genug gehen. Als der Bau nicht gleich nach der Genehmigung gestartet wurde, begann er seinen Entwurf von neuem. Sein Gefühl für den Ort hatte sich ändert.
Fakten

Verlag Lars Müller Publishers, Zürich 2012
Zum Verlag
aus Bauwelt 44.2013
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