Was heißt hier Stadt?
50 Jahre Stadtdiskurs am Beispiel der Stadtbauwelt seit 1964
Text: Jessen, Johann, Stuttgart
Was heißt hier Stadt?
50 Jahre Stadtdiskurs am Beispiel der Stadtbauwelt seit 1964
Text: Jessen, Johann, Stuttgart
Das grafisch ansprechend gestaltete Buch breitet die „Entwicklungs- und Ideengeschichte der wichtigsten unabhängigen Städtebauzeitschrift Deutschlands“ (Klappentext) aus. Es handelt sich um die für die Publikation überarbeitete Dissertation einer jetzigen Redakteurin der Stadtbauwelt.
Die Autorin wertet die Heftinhalte unter der Titelfrage aus: Was heißt hier Stadt? Welches übergreifende Verständnis von idealer Stadt und von idealer Stadtplanung lässt sich aus den unzähligen Bei-trägen destillieren? Ihre Befunde verortet sie im zeitgeschichtlichen Kontext. Das Buch ist elegant und flüssig geschrieben. Der umfassende wissenschaftliche Apparat, immerhin 50 engbedruckte Seiten mit Endnoten und Literaturhinweisen, der bei einer Zeitschriftenauswertung unvermeidlich ist, wurde an den Schluss des Buches verbannt, was manchmal lästiges Nachblättern verlangt, aber in diesem Fall wohl ohne Alternative war.
Die Autorin unterscheidet drei Phasen in der Geschichte der Stadtbauwelt, denen sie jeweils ein Kapitel widmet. Die Titel benennen in Schlagworten das Stadtverständniss, dass die Beiträge in der Stadtbauwelt bei allen individuellen Unterschieden in der jeweiligen Phase prägte: die berechenbare Stadt – Suche nach der definierbaren und berechenbaren Stadt (1964–1974), die erneuerbare Stadt – Suche nach dem Umgang mit der gegenwärtigen Stadt (1975–1994) und die unberechenbare Stadt – die Entdeckung der unplanbaren, aber erlebbaren Stadt (1995–2004). Nur kursorisch wird die Zeit ab 2005 abgehandelt, die die Autorin als Beginn einer neuen Phase deutet, die der theoretischen Diskussion über Stadt größeren Raum gibt. Sie verbindet dies mit einem hypothetischen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung der Zeitschrift.
Rezeption und Leseertrag dürften entscheidend davon abhängen, ob und wie lange man schon Leser der Stadtbauwelt ist. Für jemanden wie den Rezensenten, der die Zeitschrift schon als Student vor vierzig Jahren abonniert hat, ist es eine Reise in die eigene Vergangenheit als Stadtplaner und Stadtforscher – eine Wiederbegegnung mit fast vergessenen Themen, mit Ansichten und Absichten. Das Buch breitet für die ersten beiden Phasen unaufdringlich aus, welche Themen, Werte und Vorbilder in der Stadtplanerzunft von den 60er bis in die frühen 90er Jahre wichtig waren, welche fachlichen Kontroversen vor allem in der alten Bundesrepublik geführt wurden und welche Projekte als Vorbilder dienten. Deutlich werden Brüche und Kontinuitäten, die sich in der Zeitschrift im Wechsel der Themen, im Auf und Ab von Rubriken und in der Öffnung für neue Disziplinen spiegeln. Für mich besteht der Reiz des Buches in der Lektüre der Abschnitte über diese ersten beiden Epochen der Zeitschrift. Das Buch er-
fährt im letzten Abschnitt einen Bruch, der dem Richtungswechsel der Stadtbauwelt Anfang der 90er Jahre geschuldet ist. Damals verlor die Stadtbauwelt mit der Preisgabe des Herausgebersystems das Interesse an ihren alten Themen und früheren Lesern. Sie entschied sich, ihre Position als wichtigste deutsche Fachzeitschrift zu räumen und zum „gehobenen MERIAN“ des Städtebaus“ zu werden, so sehr treffend der Mitbegründer der Zeitschrift Gerd Albers. Andere Zeitschriften sprangen ein.
fährt im letzten Abschnitt einen Bruch, der dem Richtungswechsel der Stadtbauwelt Anfang der 90er Jahre geschuldet ist. Damals verlor die Stadtbauwelt mit der Preisgabe des Herausgebersystems das Interesse an ihren alten Themen und früheren Lesern. Sie entschied sich, ihre Position als wichtigste deutsche Fachzeitschrift zu räumen und zum „gehobenen MERIAN“ des Städtebaus“ zu werden, so sehr treffend der Mitbegründer der Zeitschrift Gerd Albers. Andere Zeitschriften sprangen ein.
Aber wie schon oben angedeutet, es ist dies die Lesart eines alten Abonnenten. Jüngere Kollegen oder neue Leserkreise, die die erste Begegnung mit der Stadtbauwelt hatten, als diese sich für Städte in aller Welt zu interessieren begann und im Zeichen der Globalisierung Themenhefte über Tiflis, Kuala Lumpur, Vancouver etc. herausgab, mögen dies ganz anders sehen. Für sie sind vermutlich die beiden ersten Abschnitte nur von historischem Interesse. Sie sind vielleicht nun ihrerseits irritiert, dass die Stadtbauwelt seit einiger Zeit das vertraute Format der vielfach facettierten Stadtbeschreibungen zurückdrängt und sich wieder planerischen Themen im Hier und Jetzt, z.B. der Münchner Dichtedebatte, annimmt. Sie mögen daher auch ganz andere Gründe anführen, das Buch als kurzweilige, weil sehr gut lesbare und zugleich lehrreiche Lektüre zu empfehlen.
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