Bauwelt

Leitner im Hamburger Bhf

Ton-Raum-Untersuchungen

Text: Kleilein, Doris, Berlin

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Foto: Archiv Bernhard Leitner

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Leitner im Hamburger Bhf

Ton-Raum-Untersuchungen

Text: Kleilein, Doris, Berlin

Es ist eine eigenartige Prozession, die sich durch den White Cube in der großen Halle des Hamburger Bahnhofs bewegt: Menschen laufen an Dachlatten mit aufgeschraubten schwarzen Lautsprechern entlang; nach vorne und wieder zurück, mit der In-Sich-Gekehrtheit Hörender. Mittendrin steht Bernhard Leitner, inzwischen ergraut, und weist auf das eigentliche, das unsichtbare Werk, die "Tonraumskulptur" hin: "Jetzt kommt der Bogen, der Bogen oben, der Bogen unten; der im Raum verstreute Klang ...".
Seit 30 Jahren arbeitet der Architekt Bernhard Leitner auf der Klangbaustelle an der Modellation des Tones im Raum. Er bringt Metalltafeln zum Schwingen, Steine zum Klingen und integriert Lautsprecher in Neubauten, als würde es sich um Sprinkleranlagen handeln. Sein „Ton-Raum“ im Lichthof der TU Berlin (seit 1984) ist zu einer festen Größe der internationalen Klangkunstszene geworden. Leitner gilt, soweit ein Einzelner dies für sich in Anspruch nehmen kann, als Erfinder der ersten Ton-Raum-Skulptur in der Geschichte der Bildenden Kunst. Ein großer Titel, den ihm der Kurator der Ausstellung (und Direktor des Hamburger Bahnhofs) Eugen Blume verliehen hat – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der Vorgang des Überschreitens ein „Abenteuer des Geistes“ ist und immer in einer bestimmten Atmosphäre stattfindet, in diesem Fall im New York der späten 60er Jahre.
Die Ausstellung im Hamburger Bahnhof ist keine Werkschau. Es ist eine Zeitreise zu den Anfängen, der Versuch, am Moment des Entstehens teilzunehmen. Sie geht ohne Umwege zurück in das Jahr 1968, als der junge österreichische Architekt nach einem Studium in Wien nach New York zieht und – ohne die technische Möglichkeit der Realisierung, nur mit Tusche auf gelbstichigem Papier – den „Soundcube“ imaginiert, eine würfelförmige Ideal-Architektur mit 384 einzeln ansteuerbaren Tonquellen, die als Ras­ter­punkte Wand, Decke und Boden überziehen. Leitner notiert, im ungeduldigen Duktus seiner Zeit: „Nach so vielen Allegorien Musik-Architektur müssen nun endlich Töne gebaut werden.“ Der Klang selbst ist sein Baumaterial, ein „architektonisches, skulpturales, formschaffendes Material – wie Gips, Stein, Holz“. Erst drei Jahre später, ab Februar 1971, findet Leitner eine Möglichkeit, seine Vorstellungen zu überprüfen. Zum Einsatz kommt eines der ersten mehrkanaligen Steuergeräte, eine Kreisrelaisschaltung mit Handkurbel für 20 im Raum verteilte Lautsprecher. Mit wissenschaftlicher Genauigkeit macht sich Leitner an die Arbeit. Er baut, mit eben jenen Lautsprechern auf Dachlatten, immer neue Versuchsanordnungen, zieht so „akustische Linien“ quer durch den Raum, er hört, misst, überprüft und notiert. Betrachtet man die spröden Skizzen, Modelle und Fotos, die in Vitrinen den White Cube rahmen, entdeckt man einen besessenen Architekten, der unzählige Variationen auf geometrische Grundthemen (Linie, Bo­gen, Spirale, Feld) und deren Erzeugung durch Klang erarbeitet.
Die „Tonraumskulptur“, wie sie jetzt im Hamburger Bahnhof steht, führt ins Herz dieser Experimente. Konsequenterweise ist sie keine historische Rekonstruktion, sondern eine Wiederaufnahme: Es steuert der Computer.
Wer eine ruhige Stunde findet, kann hier die Erfahrung nachvollziehen, die Leitner zu seinem zweiten großen Thema geführt hat: Der Mensch als Ganzes ist Hörapparat und Resonanzkörper, das Hören ist nicht auf das Ohr beschränkt. „Die Waden sind akustisch schwerhöriger als die Brust. Man hört auch mit dem Knie, man hört auch mit den Fußsohlen“, so Leitner. Die frühen Arbeiten, etwa die „Ton-Liege“, ein Holzmöbel mit eingebauten Lautsprechern, oder der „Ton-Anzug“, ein karierter Overall mit tönenden Plastikbeulen (beide 1974), zeigen Leitner als Pionier und zugleich als Autodidakten, der sich verloren gegangenes Wissen aus der Architekturgeschichte aneignet. Auch wenn es für Architekten, die eher mit der Vermeidung von Lärm und Schall beschäftigt sind, ein wenig abseitig klingen mag: Die Frage bleibt bestehen, wie Akustisches in die Gestaltung von Räumen mit einbezogen werden kann, welchen Einfluss der Klang eines Raumes auf den menschlichen Körper hat, und wie dieser nicht nur durch Elektronik, sondern auch durch Raumhöhen, Materialwahl und andere architektonische Mittel gesteuert werden kann; und das im Alltag, nicht nur im Konzertsaal.
Fakten
Architekten Leitner, Bernhard, Wien
aus Bauwelt 8.2008
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