Kontroverse Ideen zur Entwicklung des Münchener Kunstareals
Der falsche Schwerpunkt
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Kontroverse Ideen zur Entwicklung des Münchener Kunstareals
Der falsche Schwerpunkt
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Die Planung für Münchens Kunstareal gerät aus den Fugen. Während der Neubau des Brandhorst-Museums die Frage nach den Rändern stellt, verbeißt sich der Vorschlag für eine städtebauliche Neuordnung in die Idee einer neuen Mitte.
Ein neuer Club. Die Kugel dreht sich, und im Sturzflug schnurrt man hinunter in die Münchener Maxvorstadt, hinein ins Herz des Museumsareals und der benachbarten Technischen Universität: Ein Zeichen blinkt auf, und schon ist man auf dem Hauptgebäude gelandet. Die Suche nach der Architekturfakultät der TU München in der Arcisstraße lässt sich mit Google Earth einfach an. Angaben in das kleine weiße Feld klicken und einzoomen. Die Realität vor Ort sieht geringfügig anders aus. Keine elektronische Orientierungshilfe entwirrt dem Besucher das real existierende räumliche Labyrinth, das die einzelnen Architektur-Institute in einem imaginären Geflecht verbindet. Deren 23 sind über das ganze Quartier verteilt, und so gut wie niemand findet auf Anhieb, was er sucht.
Jetzt soll es eine kleine, aber konkrete Abhilfe geben. Auf dem Dach des TU-Gebäudes entlang der Arcisstraße werden die Architekten als gemeinsamen Anlaufpunkt einen sogenannten Club bekommen: einen 300 Quadratmeter großen Umbau des obersten, zurückgesetzten Dachgeschosses, unsäumt von einer wunderbaren, bisher wenig benutzten Terrasse. Zu Beginn des Wintersemesters ist der Umbau bezugsfertig, der „Club“ – der richtige Name steht noch nicht fest – soll auch anderen Fakultäten als Treff dienen und Veranstaltungen, Kritiken, ein Café und ein „International Office“ umfassen. Das Schönste hier oben ist der Blick über halb München, ein Corbusier’scher Stadteroberungspunkt. Die Nachbarschaft ist mehr als prominent, man hat das Münchener Museumsareal bzw. Kunstareal, wie es heute einschlägig genannt wird, direkt vor Augen.
Labyrinthisches Kunstareal? An Orientierung mangelt es bisher nicht nur der Hochschule, an Orientierung mangelt es dem gesamten Münchener Kunstbezirk, jener Sammlung von Museums- und Kulturbauten in der Maxvorstadt mit Leo von Klenzes und Hans Döllgasts Alter Pinakothek in der Mitte. Touristen, so heißt es, verirren sich in den Hof der Technischen Universität, fragen nach der Pinakothek der Moderne und werden von ahnungslosen Studenten in die Glyptothek geschickt. Mitleid mit den Ortsunkundigen ist die eine Seite, der politische Anspruch nach Repräsentation die andere. Die Stadt, vor allem aber den Freistaat quält der Makel der Bescheidenheit: Man verfügt über ein einzigartiges Museumsareal mit Bausteinen von Weltgeltung, und doch findet sich nirgendwo jenes alles umfassende „Große Haus“, jener schreiende Mittelpunkt, der zeigt: Hier dreht sich München.
Lässt sich dieses einzigartige subtile Arrangement der Museen, mit seinen Freiflächen und Gartenanlagen davor, im Raster der Maxvorstadt über ein knappes Dutzend Blocks verteilt, einfach zentrieren und zu einem zusammenhängenden Gewebe umdeuten? Von fern winkt jedenfalls ein großes Vorbild: das Louvre-Entree von Ieoh Ming Pei, jene glasharte Pyramide, bei der Planung 1985–89 brutal kritisiert und heute unisono gelobt.
„No architecture“. Auf dieses Modell bezieht sich der Vorschlag des Münchner Architekten Gunter Henn, der seit Juli vergangenen Jahres auf dem Tisch liegt. Die Stiftung der Pinakothek der Moderne hatte ihn mit einer Studie beauftragt, Ausgangsproblematik waren die teilweise überaus drängenden Flächenbedürfnisse der einzelnen Museen. Gunter Henn, der es in Wolfsburg als einer der Ersten verstanden hat, ein banales Autohaus zu einem glitzernden Museum zu veredeln, fackelte nicht lang und machte aus einer Bedarfsplanung für die Münchner Museen einen Mittelpunktvorschlag. Seinen Entwurf, der lautstark für eine „Schwerpunktfindung“ vor der Pinakothek der Moderne Position bezieht, sieht Henn trotzdem eher bescheiden. Die drei Würfel seien „nicht als Architektur gemeint, sondern eher wie Möbel“. Es seien Zeichen dafür, dass an dieser Stelle über und unter der Erde – dort sitzt das Gros der Flächen – gebaut werden müsse. Fast scheint es, als seien in München viele zu sehr erschrocken über den irgendwie gewünschten und dann unwillkommenen Plan, als dass man Stellung bezöge. Jetzt aber ist mit der Eröffnung des Museums Brandhorst im Mai ein weiterer Schritt getan, der eine Positionsbestimmung für die Entwicklung des Museumsareals unabdingbar macht. Reicht da „No Architecture“? Ein Vorschlag, der sich überirdisch unverbindlich zeigt, ansonsten aber den Flächenbedarf der Museen vor allem in die Erde vergräbt?
Vier Fragen. Am 17./18. April wird es an der TU ein Symposium geben, organisiert vom Lehrstuhl Städtebau unter der Leitung von Sophie Wolfrum und der Stiftung der Pinakothek der Moderne. Es geht um die planerische Neuordnung des Kunstareals, es geht um die Vorbereitung eines möglichen Wettbewerbs, und es geht um den Henn-Vorschlag. Eine Reihe von Fragen werden im Vorfeld der Debatte deutlich:
Erstens die Frage zum zentralen Anlaufpunkt: Widerspricht ein zentraler Verteilerknoten für das Museumsareal in Form dreier anonymer Boxen vor der Pinakothek der Moderne nicht jenem energiegeladenen Potential selbständiger Einzelbauten, deren Typus und Selbstbewusstsein durch die Alte Pinakothek vorgegeben ist?
Zweitens die Frage zum „Centre of Gravity“: Wie glaubwürdig ist dieses Konzept, also die angehübschte, aber weiterhin ungenaue Bezeichnung für einen zentralen Platz, das sich Norman Fosters Umbau des verkehrsumtosten Trafalgar Square zum Vorbild nimmt? Gunter Henn will das Centre mitten auf die verkehrsberuhigte Barer Straße platzieren, wo doch weit und breit keine räumliche Fassung dafür zu sehen ist und die Qualität jener Freianlagen vor der Alten Pinakothek dadurch nicht nur empfindlich geschmälert, sondern aus dem Zusammenhang – und Gleichgewicht – gebracht würden.
Drittens die Frage zur Öffnung des Kunstareals nach außen: Die städtebaulichen Gedanken aus dem Plan von Stephan Braunfels, die mit der Pinakothek der Moderne umgesetzt wurden, zielen auf eine – teilweise porös gestaltete – Verflechtung mit der umgebenden Stadt, die die Idee einer städ-
tebaulichen Rahmenschließung an die Blockstruktur der Maxvorstadt zum Grundsatz nimmt. Widerspricht die Konzentration auf die Mitte nicht genau jenem Ansatz, den das Museum Brandhorst als nächster Baustein gerade einlöst?
Viertens die Frage zur Modernität einer solchen Konzentration überhaupt: Mitorganisatorin Sophie Wolfrum vergleicht die Planung auf dem Kunstareal mit einem Schachspiel. Verschiebt man einen Stein, verändert sich auch die Wertigkeitsbeziehung zwischen den anderen. Henns große Achse stöpselt an die Ostseite der Alten Pinakothek und erstreckt sich bis zum Türkentor. Doch so eindeutig dürften die Interessen der Besucher längst nicht auszumachen sein. Es gibt eine Vielzahl inhaltlicher Beziehungen, die nichts mit einer Achse zu tun haben, dafür aber viel mit neuen, bisher längst nicht ausgeschöpften räumlichen Querverbindungen spielen. Die Beziehung von Klenzes Alter Pinakothek zu von Brancas Neuer Pinakothek, die der TU-Studenten hinüber zur derzeit im Bau befindlichen Hochschule für Film und Fernsehen, die der Besucher der Pinakothek der Moderne in Richtung Sammlung Brandhorst und von dort aus in die Schwabinger Galerien. Müsste ein modernes Gesamtkonzept nicht gerade auf jene multiplen Beziehungen reflektieren, anstatt sie in einen – räumlich wenig überzeugenden – Ost-West-Weg zu pressen?
Nimmt man die Idee des Schachspiels ernst, kann das Museumsareal nur mit mutigen Zügen vorangebracht werden. Dann wäre der Plan, die offene Mitte durch eine halbgare Zentrierung mit nichtssagenden Boxen zuzustellen, nichts weiter als ein Zeitverlust. Das Brandhorst-Museum aber macht jenen fruchtbaren Zwiespalt zwischen Anpassung und Selbstbewusstsein, zwischen notwendiger Ikonisierung und gefügigem Mehrwert für die Anbindung an die umgebende Stadt deutlich, auf den das Kunstareal mit den künftigen Bausteinen reagieren kann. Für die Frage der fehlenden Umbaung der Pinakothek der Moderne und für die große Gelegenheit eines Museums des 21. Jahrhunderts auf dem irgendwann einmal freigeräumten Gelände der LMU ist dies die neue Herausforderung.
Jetzt soll es eine kleine, aber konkrete Abhilfe geben. Auf dem Dach des TU-Gebäudes entlang der Arcisstraße werden die Architekten als gemeinsamen Anlaufpunkt einen sogenannten Club bekommen: einen 300 Quadratmeter großen Umbau des obersten, zurückgesetzten Dachgeschosses, unsäumt von einer wunderbaren, bisher wenig benutzten Terrasse. Zu Beginn des Wintersemesters ist der Umbau bezugsfertig, der „Club“ – der richtige Name steht noch nicht fest – soll auch anderen Fakultäten als Treff dienen und Veranstaltungen, Kritiken, ein Café und ein „International Office“ umfassen. Das Schönste hier oben ist der Blick über halb München, ein Corbusier’scher Stadteroberungspunkt. Die Nachbarschaft ist mehr als prominent, man hat das Münchener Museumsareal bzw. Kunstareal, wie es heute einschlägig genannt wird, direkt vor Augen.
Labyrinthisches Kunstareal? An Orientierung mangelt es bisher nicht nur der Hochschule, an Orientierung mangelt es dem gesamten Münchener Kunstbezirk, jener Sammlung von Museums- und Kulturbauten in der Maxvorstadt mit Leo von Klenzes und Hans Döllgasts Alter Pinakothek in der Mitte. Touristen, so heißt es, verirren sich in den Hof der Technischen Universität, fragen nach der Pinakothek der Moderne und werden von ahnungslosen Studenten in die Glyptothek geschickt. Mitleid mit den Ortsunkundigen ist die eine Seite, der politische Anspruch nach Repräsentation die andere. Die Stadt, vor allem aber den Freistaat quält der Makel der Bescheidenheit: Man verfügt über ein einzigartiges Museumsareal mit Bausteinen von Weltgeltung, und doch findet sich nirgendwo jenes alles umfassende „Große Haus“, jener schreiende Mittelpunkt, der zeigt: Hier dreht sich München.
Lässt sich dieses einzigartige subtile Arrangement der Museen, mit seinen Freiflächen und Gartenanlagen davor, im Raster der Maxvorstadt über ein knappes Dutzend Blocks verteilt, einfach zentrieren und zu einem zusammenhängenden Gewebe umdeuten? Von fern winkt jedenfalls ein großes Vorbild: das Louvre-Entree von Ieoh Ming Pei, jene glasharte Pyramide, bei der Planung 1985–89 brutal kritisiert und heute unisono gelobt.
„No architecture“. Auf dieses Modell bezieht sich der Vorschlag des Münchner Architekten Gunter Henn, der seit Juli vergangenen Jahres auf dem Tisch liegt. Die Stiftung der Pinakothek der Moderne hatte ihn mit einer Studie beauftragt, Ausgangsproblematik waren die teilweise überaus drängenden Flächenbedürfnisse der einzelnen Museen. Gunter Henn, der es in Wolfsburg als einer der Ersten verstanden hat, ein banales Autohaus zu einem glitzernden Museum zu veredeln, fackelte nicht lang und machte aus einer Bedarfsplanung für die Münchner Museen einen Mittelpunktvorschlag. Seinen Entwurf, der lautstark für eine „Schwerpunktfindung“ vor der Pinakothek der Moderne Position bezieht, sieht Henn trotzdem eher bescheiden. Die drei Würfel seien „nicht als Architektur gemeint, sondern eher wie Möbel“. Es seien Zeichen dafür, dass an dieser Stelle über und unter der Erde – dort sitzt das Gros der Flächen – gebaut werden müsse. Fast scheint es, als seien in München viele zu sehr erschrocken über den irgendwie gewünschten und dann unwillkommenen Plan, als dass man Stellung bezöge. Jetzt aber ist mit der Eröffnung des Museums Brandhorst im Mai ein weiterer Schritt getan, der eine Positionsbestimmung für die Entwicklung des Museumsareals unabdingbar macht. Reicht da „No Architecture“? Ein Vorschlag, der sich überirdisch unverbindlich zeigt, ansonsten aber den Flächenbedarf der Museen vor allem in die Erde vergräbt?
Vier Fragen. Am 17./18. April wird es an der TU ein Symposium geben, organisiert vom Lehrstuhl Städtebau unter der Leitung von Sophie Wolfrum und der Stiftung der Pinakothek der Moderne. Es geht um die planerische Neuordnung des Kunstareals, es geht um die Vorbereitung eines möglichen Wettbewerbs, und es geht um den Henn-Vorschlag. Eine Reihe von Fragen werden im Vorfeld der Debatte deutlich:
Erstens die Frage zum zentralen Anlaufpunkt: Widerspricht ein zentraler Verteilerknoten für das Museumsareal in Form dreier anonymer Boxen vor der Pinakothek der Moderne nicht jenem energiegeladenen Potential selbständiger Einzelbauten, deren Typus und Selbstbewusstsein durch die Alte Pinakothek vorgegeben ist?
Zweitens die Frage zum „Centre of Gravity“: Wie glaubwürdig ist dieses Konzept, also die angehübschte, aber weiterhin ungenaue Bezeichnung für einen zentralen Platz, das sich Norman Fosters Umbau des verkehrsumtosten Trafalgar Square zum Vorbild nimmt? Gunter Henn will das Centre mitten auf die verkehrsberuhigte Barer Straße platzieren, wo doch weit und breit keine räumliche Fassung dafür zu sehen ist und die Qualität jener Freianlagen vor der Alten Pinakothek dadurch nicht nur empfindlich geschmälert, sondern aus dem Zusammenhang – und Gleichgewicht – gebracht würden.
Drittens die Frage zur Öffnung des Kunstareals nach außen: Die städtebaulichen Gedanken aus dem Plan von Stephan Braunfels, die mit der Pinakothek der Moderne umgesetzt wurden, zielen auf eine – teilweise porös gestaltete – Verflechtung mit der umgebenden Stadt, die die Idee einer städ-
tebaulichen Rahmenschließung an die Blockstruktur der Maxvorstadt zum Grundsatz nimmt. Widerspricht die Konzentration auf die Mitte nicht genau jenem Ansatz, den das Museum Brandhorst als nächster Baustein gerade einlöst?
Viertens die Frage zur Modernität einer solchen Konzentration überhaupt: Mitorganisatorin Sophie Wolfrum vergleicht die Planung auf dem Kunstareal mit einem Schachspiel. Verschiebt man einen Stein, verändert sich auch die Wertigkeitsbeziehung zwischen den anderen. Henns große Achse stöpselt an die Ostseite der Alten Pinakothek und erstreckt sich bis zum Türkentor. Doch so eindeutig dürften die Interessen der Besucher längst nicht auszumachen sein. Es gibt eine Vielzahl inhaltlicher Beziehungen, die nichts mit einer Achse zu tun haben, dafür aber viel mit neuen, bisher längst nicht ausgeschöpften räumlichen Querverbindungen spielen. Die Beziehung von Klenzes Alter Pinakothek zu von Brancas Neuer Pinakothek, die der TU-Studenten hinüber zur derzeit im Bau befindlichen Hochschule für Film und Fernsehen, die der Besucher der Pinakothek der Moderne in Richtung Sammlung Brandhorst und von dort aus in die Schwabinger Galerien. Müsste ein modernes Gesamtkonzept nicht gerade auf jene multiplen Beziehungen reflektieren, anstatt sie in einen – räumlich wenig überzeugenden – Ost-West-Weg zu pressen?
Nimmt man die Idee des Schachspiels ernst, kann das Museumsareal nur mit mutigen Zügen vorangebracht werden. Dann wäre der Plan, die offene Mitte durch eine halbgare Zentrierung mit nichtssagenden Boxen zuzustellen, nichts weiter als ein Zeitverlust. Das Brandhorst-Museum aber macht jenen fruchtbaren Zwiespalt zwischen Anpassung und Selbstbewusstsein, zwischen notwendiger Ikonisierung und gefügigem Mehrwert für die Anbindung an die umgebende Stadt deutlich, auf den das Kunstareal mit den künftigen Bausteinen reagieren kann. Für die Frage der fehlenden Umbaung der Pinakothek der Moderne und für die große Gelegenheit eines Museums des 21. Jahrhunderts auf dem irgendwann einmal freigeräumten Gelände der LMU ist dies die neue Herausforderung.
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