Bauwelt

Aschersleben

Text: Kowa, Günter, Berlin

Aschersleben

Text: Kowa, Günter, Berlin

Das Ziel der IBA Stadtumbau, den Schrumpfungsprozess kontrolliert zu steuern, war mit Unwägbarkeiten verbunden. Die Drive Thru Gallery, bemalte Plakatwände an der Stelle der Abrissgrundstücke, erlangte kurzfristige Berühmtheit, später wurde sie als Fehlentwicklung kritisiert. Mit dem Bildungszentrum Bestehornpark gelang Aschersleben in letzter Minute ein herausragendes IBA-Projekt.
Mitten in der Gründungsphase der IBA tagte im Herbst 2001 in Aschersleben eine Runde von Stadtplanern, Architekten und Künstlern auf der Suche nach Ideen für die „Ortsdurchfahrt“. Es sollte die erste und am längsten währende Installation der IBA werden. Unter dem Titel „Drive Thru Gallery“ sah sie eine prototypische Mischung aus Stadtentwicklung und Kunstprojektbetrieb vor.
Die „Ortsdurchfahrt“, ein Straßengürtel um die Altstadt, bildet eine jener Randlagen, die durch alle Fördernetze fallen. Der Verkehr, bis zu 20.000 Autos am Tag, erzeugt viel Lärm, Wohnen ist schlecht möglich. Der Leerstand überstieg bald den der ebenfalls schrump­fen­den Altstadt, und er traf, neben kleinen Einfamilien- und Mietshäusern, vor allem den Bestand der städtischen Wohnungsgesellschaft. Diese zeigte kein Interesse mehr an Er­haltungs­maßnahmen und folgte dem Beispiel der Branche: Mit dem geförderten Abriss tilgte sie zugleich die Altschulden. Der damalige und heutige Oberbürgermeister Andreas Michelmann gab die Devise aus, langfristig alle Häuser auf der vom Ortskern abgewandten Stra­ßenseite abzureißen.
Doch angesichts vieler privater Eigentümer war das ein utopisches Unterfangen. Die Idee entsprach vom Prinzip her dem Leitbild der IBA, das „Schrumpfen von außen nach innen“ propa­gierte. Insgesamt 16 Abrisse hinterließen kraterähnliche Einschläge in den bis dahin geschlos­senen Baufluchten. Darin sahen die Ascherslebener IBA-Experten durchaus eine Chance, mit experimentellem Stadtumbau aufzufallen. Doch manches Experiment, das in der Folge realisiert wurde, geriet an den Rand des Klamauks. Zum Beispiel die Gabionen, gefüllt mit Kloschüsseln und anderem Schutt aus Abrisshäusern, die jetzt eine der herausgebro­chenen Fehlstellen in der Straßenflucht zieren.An anderen Abrissgrundstücken wurden haushohe Leinwände montiert, die zunächst örtli­chen Graffitikünstlern und später dann den Be­treibern der „Drive Thru Gallery“ überlassenwurden, finanziert von der Landeskunststiftung. Das kunstbegeisterte Publikum reiste für die Vernissagen derartiger Events oft von weither an und sorgte für Aufmerksamkeit in der Stadt. Dennoch blieb ein schales Gefühl zurück. Auch die praktischen Nachteile der Abrissaktion wurden nach und nach sichtbar: Die Bewoh­ner der zweiten Häuserreihe etwa waren durch die Abrisslücken plötzlich dem Straßenlärm ausgesetzt. Schließlich wurden Fragen nach dem Aufwand laut: 300.000 Euro kosteten die „Hybrid Walls“, 46.000 Euro Fördermittel flossen für die Kunstprojekte. Rechnet man die Abrisskosten hinzu, hätten diese Gelder wohl genügt, um die meisten leer stehenden Häuser in der Stadt auf lange Zeit zu sichern.
Generell hat man den Neubau und die Abrisspolitik in Aschersleben wenig koordiniert. Das zeigt sich auch an den beiden großen Neubauprojekten entlang der Ortsdurchfahrt – ei­nem Discountmarkt sowie der stadteigenen Sport- und Veranstaltungshalle „Ballhaus“ –, die mit Parkplatzeinöden wenig ansprechend geraten sind. Wenn er heute über die IBA spricht, lenkt der Oberbürgermeister von Aschersleben den Blick lieber auf den „Bestehornpark“ als auf die Straßengalerie. Auch bei diesem Projekt stand am Anfang der Abriss. Am Ortseingang aus Richtung Halle verfiel nach der Wende eine ehemalige Kartonagenfabrik, die der Unterneh­mer Heinrich-Christian Bestehorn 1861 gegründet und mehrfach ausgebaut hatte. Denkmalgeschützt war nur der zentrale Baukörper, ein charakteristisch ornamentales Gebäude des einstigen Stadtbaurats Hans Heckner von 1911. Noch bevor über mögliche Perspektiven der Anlage beraten war, riss die Stadt unter anderem einen straßenbegleitenden Flügel ab und hinterließ eine Brache, die heute als Parkplatz genutzt wird.
Dann allerdings fanden sich plötzlich eine Reihe von möglichen Nutzern für die leer stehende Anlage; die Idee eines kombinierten Bil­dungszentrums in der umgebauten Fabrik entstand. 2006 wurde relativ spät ein Wettbewerb für die Sanierung des Hauptgebäudes, in dem früher die schweren Druckmaschinen standen, und für einen neuen Anbau ausge­schrieben. Die Stuttgarter Architekten Lederer Ragnarsdóttir + Oei, die den Stil des mächti­gen Altbaus am besten verstanden hatten, gingen aus dem Wettbewerb als Sieger hervor. Pünktlich zur IBA-Eröffnung wurde der Schulbau jetzt fertig. Dem neuen Schulzentrum kam schließlich auch noch Ascherslebens erfolgreiche Bewerbung um die Landesgartenschau 2010 zugute. Das Gelände rund um die Bauten wurde nach der Idee eines Bildungscampus zu einem Park weiterentwickelt. Mit dieser Umbaumaßnahme ist der Stadt – gerade auch dank der herausragenden Architektur – einer der wichtigen Bausteine der IBA gelungen.

Kombiniertes Konzept | Die Zukunft des imposanten Heckner-Baus (siehe Luftfoto Seite 23)in Aschersleben blieb lange ungewiss. Dannboten sich mögliche Interessenten für eine Umnutzung an: ein industrielles Forschungszentrum, eine Fachhochschule der Polizei und eine integrierte Gesamtschule. Weitere Funk­tionen gesellten sich in direkter Nachbarschaft hinzu; zwei freie Grundschulen zogen – finanziert durch das Ganztagesschulprogramm des Bun- des – 2003 respektive 2005 auf das Areal des Bestehornparks. Zu guter Letzt fanden sich eine neu gegründete freie Sekundarschule so- wie ein Ausbildungsträger für Pflegeberufe als Mieter für ein künftiges Lern- und Bildungszentrum: Die Entscheidung für den Wettbewerb, den Arno Lederer mit seinem Büro gewann, war somit gefallen.
Die kalkgeschlämmte Backsteinarchitek-tur des Neubaus, dessen unregelmäßig auf- und absteigenden Sheds ins Auge fallen, schließt heute in überzeugender Weise an den Altbau an. Diesen Altbau haben die Architekten im Inneren zu einer großen luftigen Halle geöffnet – das Erdgeschoss beherbergt zurzeit die IBA-Ausstellung. Der Neubau birgt künftig die halb­öffentliche Mensa, aktuell sind die Räume Teil der Ausstellung der Gartenschau. In den atelierartigen Obergeschossen will die Stadt ab Herbst den Kunstunterricht all ihrer Schulenbündeln. Ab Ende Mai wird hier aber erst ein- mal eine Ausstellung von Neo Rauch und seinen Schülern gezeigt.
Fakten
Architekten Lederer, Ragnarsdóttir + Oei, Stuttgart
aus Bauwelt 17-18.2010
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