Bauwelt

Eisleben

Text: Kowa, Günter, Berlin

Eisleben

Text: Kowa, Günter, Berlin

Kaum mehr zu kontrollieren waren die gravierenden Schrumpfungsprozesse auch in Eisleben. Mit den koordinierten Abrissen und Neubauten entlang dem Lutherweg erhielt das IBA-Thema „Kleiner, klüger, kooperativ“ plötzlich eine klare Ausrichtung.
Von der Schrumpfung bis zum Verschwinden ist es manchmal nur ein Schritt. So war es auch beim Mansfelder Land, das bei der Gebietsreform im Jahr 2007 zusammen mit dem alten Landkreis Sangerhausen zu „Mansfeld-Südharz“ verschmolz. In puncto Bevölkerungsverlust wird dieser Landstrich laut Prognosen auch künftig besonders schwer betroffen sein. Bis 2025, so die Berechnungen des Statistischen Landesamts, verliert Sachsen-Anhalt ein Fünftel seiner Bewohner, in Mansfeld-Südharz sind es fast 30 Prozent.
Dies ist kein post-industrielles und auch kein generelles Nachwende-Syndrom, es ist ein post-montanes. Städte wie Eisleben, Mansfeld oder Sangerhausen waren Zentren des Bergbaus mit jahrhundertealter Tradition, de­ren raison d’etre mit den ausgebeuteten Boden­schätzen so gut wie erloschen ist. In Eisleben reicht der Leerstand vom Patrizierpalais bis zum Handwerkerhaus, das eine wie das andere Teil des altstädtischen Gefüges.
In die Altstadtstruktur einzugreifen ist für Eisleben längst kein Tabu mehr. Das Konzept der „perforierten Stadt“ ist IBA-Thema unter dem Titel „Kleiner, klüger, kooperativ (3 K)“. Im Internetauftritt zum eigenen IBA-Projekt er­klärt Eisleben die Abkehr von der gewachse­nen Stadt. Das Ziel sei eine „gewollte und konsequente Perforation der Innenstadt“, um mit „weniger, aber besseren Häusern eine Alternative zum suburbanen Wohnen auf der grünen Wiese zu schaffen“. Punktuelle Abrisse sind in geschlossenen Häuserzeilen zum Beispiel dann möglich, wenn Nachbarn die Grundstücke kaufen und etwa als Gärten oder auch Parkraum nutzen. Gestaltete Mauerzüge sollen Lücken ka­schieren, symbolische „Rote Türen“ auf freie Grundstücke verweisen.
Von Anfang an war auch die Stiftung Luthergedenkstätten in den Stadtumbau von Eisleben einbezogen. Die geplante Erweiterung des Luther-Geburtshauses sollte ihm ein Glanzlicht aufsetzen. In Anbetracht des sensiblen städtebaulichen Umfelds gab es für den gewünschten Museumsflügel samt Besucherzen­trum einen Wettbewerb, den das Berliner Büro Jörg Springer 2005 gewann. Zwei Jahre später wurde der Bau eröffnet. Der schmiegsam eingefügte und verklinkerte Anbau mit Satteldach wurde mitsamt dem neuen Besucher-Gebäude auf dem unmittelbar benachbarten Eckgrundstück hochgelobt (Heft 18.2007). In der Folge erwarb die Stiftung gleich noch ein zweites Nachbargrundstück, dessen nicht minder heruntergekommene Häuser gleichfalls abgerissen wurden. Sie wichen einem „Schöpfungsgarten“, gestaltet vom Münchner Büro Lohrer und Hochrein.
In der angrenzenden Badergasse sind heute die ersten „3 K“-Maßnahmen zu besichtigen. Ein Gasthaus nutzt eine klaffende Lücke im Altstadtgefüge als Freisitz. Die Funktion der „Roten Türen“ allerdings ließ zu wünschen übrig: Die Nachfrage nach Grundstücken blieb einfach zu mager. Der fortlaufende Abstimmungsprozess aller Beteiligten sorgt inzwi­schen aber doch für eine Weiterentwicklung in der Perforations-Strategie der Kommune. Ein bloßer Freisitz etwa entlang dem „Lutherweg“, der durch die Altstadt führt, mutierte zum „Hörgarten“. Die Idee dieses Lutherweges zielt darauf ab, mit Installationen an leer stehenden Häusern und mit neu eingefügten Gärten einen Genius Loci zu reinszenieren und zu- gleich Leerstand und Verfall in der Stadt bewusst zu machen. Die Kirchengemeinden beteiligen sich eifrig an diesem Konzept, auch wenn nicht jede Idee überzeugt. Die St. Annenkirche plant, die Mönchszellen des Klosters zu öffnen, für die Taufkirche St. Petri gibt es die bisher eher vage Vorstellung eines „Internationalen Taufzentrums“.
Der stadträumliche Höhepunkt des Weges findet sich auf dem Anstieg zu St. Annen, wo der Abriss eines Kinos und mehrerer Wohnhäuser Platz für die neuen „Stadtterrassen“ geschaffen hat. Die Gartenanlage nach dem Entwurf wiederum von Lohrer und Hochrein will durch eine labyrinthische Wegeführung die Sinnsuche des jungen Luther deutlich machen. Sie endet mit dem freien Ausblick über die Stadt. Als jüngstes Projekt wurde für Luthers „Sterbehaus“ der Wettbewerb für einen neuen Anbau ausgelobt, den das Stuttgarter Büro „M-Architekten“ im September letzten Jahres gewann.  
Fakten
Architekten Springer Architekten, Berlin; lohrer.hochrein landschaftsarchitekten, München
aus Bauwelt 17-18.2010
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