Von Dubai beeindruckt, konsterniert von Detroit
Ostkreuz-Jubiläumsausstellung
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Von Dubai beeindruckt, konsterniert von Detroit
Ostkreuz-Jubiläumsausstellung
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Von wegen „Ende der großen Erzählungen“! Das neue Ausstellungsprojekt der Berliner Fotografenagentur Ostkreuz beginnt mit einem Kreidestrich in der chinesischen
Wüste.
Wüste.
Auf kahlem Steppenboden zeigt er an, wo jetzt also Ordos aus dem Boden gestampft wird, die Planstadt für eine Million Menschen mitten in der Inneren Mongolei. Ein archaisches Zeichen, das an den ersten Schöpfungstag der Bibel denken lässt. Und mit dieser Wucht geht es weiter, einmal rund um den Planeten. 18 international renommierte Fotografen haben für dieses Projekt 22 Städte besucht und ihre Eindrücke zu jeweils einem persönlichen Bildessay verdichtet. Beeindruckt von Dubai, fassungslos in Lagos oder Manila, konsterniert von Detroit, das „aus seiner Mitte heraus zerfällt“. Kurze, aber anschauliche Protokolle geben jedem Erlebnis eine gedankliche Fassung: „Las Vegas lebt ganz vom Anschein“, heißt es da, „Auroville aus dem Ideal und Atlantis vom Mythos.“ Und wie in der Bibel wird auch die Apokalypse nicht ausgespart: Die Ruinen der zerschossenen Gaza-Stadt sind noch frisch im Nachrichtengedächtnis; Pripjat, die aufgegebene Wohnstadt der Tschernobyl-Arbeiter, versinkt im Nebel unter wuchernder Vegetation.
Ostkreuz wurde 1990 von sieben Fotografen gegründet, in der sich gerade auflösenden DDR als Überlebensprojekt in Erwartung einer übermächtigen Westkonkurrenz. Aber es kam anders. Sie waren gut, ehrgeizig, rückten rasch in die Spitzenklasse vor. Inzwischen hat die Agentur einen Namen in der Welt, zählt 18 Mitglieder und leistet sich nebenher eine eigene Fotoschule, deren Zertifikate international begehrt sind. Vom Gründungsimpuls geblieben ist der Zusammenhalt unter Gleichberechtigten, was nun das erstmals von allen Mitgliedern getragene Kollektivprojekt auf beeindruckende Weise sichtbar macht. Mit dem Mammutwerk „Die Stadt“ feiern sie ihr zwanzigjähriges Bestehen.
Doch das eigentliche historische Datum, dem Ausstellung und Buch ideell gewidmet sind, ist jener nicht genau feststellbare Tag im Jahr 2008, seit dem weltweit mehr Menschen in Städten leben als auf dem Land. Ein globaler Schicksalstag, sollte man meinen, und für die Ostkreuz-Fotografen Grund genug, sämtliche Register ihres Metiers zu ziehen, von der rasanten Reportage über eindringliche Kulturstudien bis zum konzentrierten Porträt. Städte sind ja nicht nur Versammlungen unterschiedlicher Häuser, sondern in erster Linie Zusammenballun-
gen vielfältigster Schicksale. Davon erzählen die Fotografen vor allem. Sie haben Lebensumstände ganz konkreter Personen aufgezeichnet, bei denen in aller Regel schon Körperhaltung oder Gesicht auf das Dahinter schließen lassen, auf Behaustsein oder Verlorenheit. Womöglich kommt ja daraus der eigentliche Gewinn der Unternehmung: Indem sie den reichlich strapazierten Mythos Stadt durch Begegnungen mit realen Städtern ausleuchten, bewahren die Fotografen sich (und uns) vor jener Euphorie, die den endgültigen Sieg des Urbanen gemeinhin feiert. Und nehmen doch vom Versprechen, das „Stadtluft“ weltweit nach wie vor bedeutet, keinen Deut zurück.
In den Bildessays präsentieren Tokioter Serviermädchen oder Moskauer Metropassanten ihre Stadt kaum weniger eindrucksvoll als kahle Straßenecken die verfallene Downtown von Detroit. Dass zu Städten auch ihre Geheimnisse gehören, erzählt Annette Hauschilds Sammlung von obskuren Etablissements, die alle „Atlantis“ heißen, und ausgerechnet Berlin kommt mit den engelhaften Traumfiguren der Sibylle Bergemann überraschend gut davon. Die „Mona Lisen“, die Ute und Werner Mahler in den Randbezirken von Liverpool, Reykjavik, Minsk und Florenz vor ihre Kamera postierten, könnten für allerhand Debattenstoff sorgen, unter Stadttheoretikern wie unter Fotografen. Und ansonsten wenigstens für Nachdenklichkeit.
Während Kunstfotografen sich zunehmend in erratische Innenwelten versteigen oder die Glaubwürdigkeit ihrer Bilder elektronisch wegfrisieren, hat die Mannschaft von Ostkreuz auf die gute alte Kernkompetenz ihres Berufsstandes gesetzt: belangvolles Thema, geschulter Blick und Hartnäckigkeit. Dann darf so ein Projekt im Untertitel auch ruhig „Vom Werden und Vergehen“ heißen.
Ostkreuz wurde 1990 von sieben Fotografen gegründet, in der sich gerade auflösenden DDR als Überlebensprojekt in Erwartung einer übermächtigen Westkonkurrenz. Aber es kam anders. Sie waren gut, ehrgeizig, rückten rasch in die Spitzenklasse vor. Inzwischen hat die Agentur einen Namen in der Welt, zählt 18 Mitglieder und leistet sich nebenher eine eigene Fotoschule, deren Zertifikate international begehrt sind. Vom Gründungsimpuls geblieben ist der Zusammenhalt unter Gleichberechtigten, was nun das erstmals von allen Mitgliedern getragene Kollektivprojekt auf beeindruckende Weise sichtbar macht. Mit dem Mammutwerk „Die Stadt“ feiern sie ihr zwanzigjähriges Bestehen.
Doch das eigentliche historische Datum, dem Ausstellung und Buch ideell gewidmet sind, ist jener nicht genau feststellbare Tag im Jahr 2008, seit dem weltweit mehr Menschen in Städten leben als auf dem Land. Ein globaler Schicksalstag, sollte man meinen, und für die Ostkreuz-Fotografen Grund genug, sämtliche Register ihres Metiers zu ziehen, von der rasanten Reportage über eindringliche Kulturstudien bis zum konzentrierten Porträt. Städte sind ja nicht nur Versammlungen unterschiedlicher Häuser, sondern in erster Linie Zusammenballun-
gen vielfältigster Schicksale. Davon erzählen die Fotografen vor allem. Sie haben Lebensumstände ganz konkreter Personen aufgezeichnet, bei denen in aller Regel schon Körperhaltung oder Gesicht auf das Dahinter schließen lassen, auf Behaustsein oder Verlorenheit. Womöglich kommt ja daraus der eigentliche Gewinn der Unternehmung: Indem sie den reichlich strapazierten Mythos Stadt durch Begegnungen mit realen Städtern ausleuchten, bewahren die Fotografen sich (und uns) vor jener Euphorie, die den endgültigen Sieg des Urbanen gemeinhin feiert. Und nehmen doch vom Versprechen, das „Stadtluft“ weltweit nach wie vor bedeutet, keinen Deut zurück.
In den Bildessays präsentieren Tokioter Serviermädchen oder Moskauer Metropassanten ihre Stadt kaum weniger eindrucksvoll als kahle Straßenecken die verfallene Downtown von Detroit. Dass zu Städten auch ihre Geheimnisse gehören, erzählt Annette Hauschilds Sammlung von obskuren Etablissements, die alle „Atlantis“ heißen, und ausgerechnet Berlin kommt mit den engelhaften Traumfiguren der Sibylle Bergemann überraschend gut davon. Die „Mona Lisen“, die Ute und Werner Mahler in den Randbezirken von Liverpool, Reykjavik, Minsk und Florenz vor ihre Kamera postierten, könnten für allerhand Debattenstoff sorgen, unter Stadttheoretikern wie unter Fotografen. Und ansonsten wenigstens für Nachdenklichkeit.
Während Kunstfotografen sich zunehmend in erratische Innenwelten versteigen oder die Glaubwürdigkeit ihrer Bilder elektronisch wegfrisieren, hat die Mannschaft von Ostkreuz auf die gute alte Kernkompetenz ihres Berufsstandes gesetzt: belangvolles Thema, geschulter Blick und Hartnäckigkeit. Dann darf so ein Projekt im Untertitel auch ruhig „Vom Werden und Vergehen“ heißen.
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