Ideenklau bei den Ayoreo
Salone del Mobile 2010 Mailand
Text: Jouhar, Jasmin, Berlin
Ideenklau bei den Ayoreo
Salone del Mobile 2010 Mailand
Text: Jouhar, Jasmin, Berlin
Konsolidierung und Expansion – diese beiden Gegenpole dominierten das Geschehen beim diesjährigen „Salone del Mobile“. Am Beispiel von vier Sitzmöbeln ein Überblick über die aktuellen Tendenzen in Mailand.
Konsolidierung und Expansion – diese beiden Gegenpole dominierten das Geschehen bei der diesjähriMailänder Möbelmesse „Salone del Mobile“. Während sich die Hersteller auf dem Messegelände nach einem wirtschaftlich insgesamt schwierigen Jahr 2009 vorsichtig gaben und auf allzu spektakuläre Insze-nierungen und extravagante Neuheiten meist verzichteten, hat der „Fuori Salone“, die Präsentationen und Ausstellungen in der Innenstadt, noch einmal deutlich an Umfang zugelegt. Allerdings glich gerade die Zona Tortona, bislang Treffpunkt der Jungen und Experimentellen, über weite Strecken eher einem Rummel als einem Designfestival. Im Osten der Stadt hatte mit dem Viertel Lambrate bereits ein neuer Tummelplatz für den Nachwuchs seinen Auftritt. Am Beispiel von vier Sitzmöbeln ein Überblick über die aktuellen Tendenzen in Mailand.
Ich war 111 Flaschen
Darin sind sich alle einige, ob Designer, Hersteller oder Kritiker: Eine Aufgabe des Designs der Gegenwart ist es, nachhaltigere Produkte zu entwickeln. Weniger Ressourcen sollen verbraucht, weniger Emissionen erzeugt werden. Dass es eine Lösung sein könnte, überhaupt weniger Produkte herzustellen, das ist nur ein Argument für Spielverderber. Aber keines für Marketingabteilungen. So gab es in Mailand manche Neuheit zu sehen, die vor allem durch ein nachhaltiges Image auffiel. Zum Beispiel der „111 Navy Chair“ des amerikanischen Aluminiummöbel-Spezialisten Emeco: Für den Relaunch seines Klassikers „Navy Chair“ tat sich der Hersteller mit Coca-Cola zusammen. Mindestens 111 gebrauchte PET-Flaschen aus der Produktion des Getränke-Giganten werden zu einem neuen Stuhl. Zum Beispiel in der Farbe „Coca-Cola“-Rot. Übrigens ein typisches Phänomen in Mailand: Branchenfremde Unternehmen wie Audi, BMW, Diesel oder Veuve Cliquot kaufen sich einen Auftritt beim Salone, um vom kreativen, zeitgeistigen Image des Designs zu profitieren.
Die hohe Kunst der Verfeinerung
Es ist eine Binsenweisheit, und der diesjährige Salone bestätigte sie aufs Schönste: In der Krise besinnt sich der Mensch auf das, was er kennt und was sich bewährt hat. Übersetzt ins Design bedeutete das: Beständigkeit versprechende Materialien wie Holz, Leder oder Marmor zum einen, und erprobte Möbeltypologien zum anderen. Das Ergebnis: Beim Messerundgang stellte sich häufig ein Déjà-vu-Erlebnis ein. Viele Neuheiten waren vor allem verfeinerte Versionen archetypischer Formen, irgendwo zwischen Retro-Ästhetik und Zeitlosigkeit verortet. Auch der Großmeister dieser Disziplin, der Japaner Naoto Fukasawa, bewies sein Können aufs Neue mit der Stuhlfamilie 130 für Thonet – ein Kandidat für das Klassiker-Portfolio des deutschen Herstellers. Erhältlich mit oder ohne Lehne, gepolstert oder schön hart, in Buche oder Eiche, passt das Sitzmöbel in eine Zeit, in der das Laute und Auffällige verdächtig erscheinen und Sicherheit und Seriosität gefragte Tugenden sind.
Auf dem Holzweg in die Zukunft
Holz also, ein bewährter Werkstoff mit angenehmer Ausstrahlung und nachhaltigem Image. Dass das Material auch für Innovationen taugt, hat sich in den vergangenen Jahren schon abgezeichnet. In diesem Jahr nun waren eine ganze Reihe von Entwürfen zu sehen, die Holz mittels moderner Verarbeitungstechnologien eine ganz neue Seite abgewinnen konnten. Sicher einer der schönsten Stühle war der von Jörg Boner für die Schweizer Firma Wogg mit der Nummer 50. Dank CNC-Frästechnik lässt sich Sperrholz in ungleich komplexeren Formen als früher verarbeiten. Beim Wogg 50 ergibt das einen eleganten Stuhl, der nur aus zwei Teilen besteht, nämlich der geschwungenen Lehne und der Sitzfläche mit ausgestellten Beinen. Das konstruktive Herzstück ist ein unter der Sitzschale eingepresster Kern, an dem auch die beiden Enden der Lehne befestigt sind.
Sitzen jetzt auch to go
Das kleinste Möbel erzeugte die größte Aufmerk-samkeit: Vitra präsentierte neben einem neuen Sofasystem und einigen Klassiker-Auffrischungen den ikonischen Krisenentwurf schlechthin: „Chairless“.Weniger Stuhl geht nicht. Ein Sitzgurt für knapp 20 Euro, der dann zum Einsatz kommen soll, wenn gerade kein Lounge Chair oder Alu Chair zur Verfügung steht. Der Nutzer kauert sich auf den Boden und schlingt sich Chairless um Beine und Rücken. Der Körper wird gestützt wie von einer Lehne, und die Hände bleiben frei zum Lesen, Telefonieren oder Surfen. Die Idee hat sich der chilenische Architekt Alejandro Aravena bei den nomadisch lebenden Ayoreo-Indianern im Grenzgebiet von Bolivien und Paraguay ausgeborgt. Damit gelang ihm die intelligentere Variante eines Design-Dauerthemas: In einer Art kulturellem Transfer greifen Gestalter traditionelle Materialien, Formen oder Fertigungsweisen auf und übertragen sie in westliches Design. Was gerne als Fördermaßnahme für Handwerker in Entwicklungsländern verkauft wird, endet oft in banalem Ethno-Chic. Diese Falle hat Vitra umgangen und zugleich ein smartes Must-have für Großstadtnomaden lanciert: Die erste Serie ist bereits vergriffen, erst im Juni wird es wieder neue Exemplare zu kaufen geben.
Ich war 111 Flaschen
Darin sind sich alle einige, ob Designer, Hersteller oder Kritiker: Eine Aufgabe des Designs der Gegenwart ist es, nachhaltigere Produkte zu entwickeln. Weniger Ressourcen sollen verbraucht, weniger Emissionen erzeugt werden. Dass es eine Lösung sein könnte, überhaupt weniger Produkte herzustellen, das ist nur ein Argument für Spielverderber. Aber keines für Marketingabteilungen. So gab es in Mailand manche Neuheit zu sehen, die vor allem durch ein nachhaltiges Image auffiel. Zum Beispiel der „111 Navy Chair“ des amerikanischen Aluminiummöbel-Spezialisten Emeco: Für den Relaunch seines Klassikers „Navy Chair“ tat sich der Hersteller mit Coca-Cola zusammen. Mindestens 111 gebrauchte PET-Flaschen aus der Produktion des Getränke-Giganten werden zu einem neuen Stuhl. Zum Beispiel in der Farbe „Coca-Cola“-Rot. Übrigens ein typisches Phänomen in Mailand: Branchenfremde Unternehmen wie Audi, BMW, Diesel oder Veuve Cliquot kaufen sich einen Auftritt beim Salone, um vom kreativen, zeitgeistigen Image des Designs zu profitieren.
Die hohe Kunst der Verfeinerung
Es ist eine Binsenweisheit, und der diesjährige Salone bestätigte sie aufs Schönste: In der Krise besinnt sich der Mensch auf das, was er kennt und was sich bewährt hat. Übersetzt ins Design bedeutete das: Beständigkeit versprechende Materialien wie Holz, Leder oder Marmor zum einen, und erprobte Möbeltypologien zum anderen. Das Ergebnis: Beim Messerundgang stellte sich häufig ein Déjà-vu-Erlebnis ein. Viele Neuheiten waren vor allem verfeinerte Versionen archetypischer Formen, irgendwo zwischen Retro-Ästhetik und Zeitlosigkeit verortet. Auch der Großmeister dieser Disziplin, der Japaner Naoto Fukasawa, bewies sein Können aufs Neue mit der Stuhlfamilie 130 für Thonet – ein Kandidat für das Klassiker-Portfolio des deutschen Herstellers. Erhältlich mit oder ohne Lehne, gepolstert oder schön hart, in Buche oder Eiche, passt das Sitzmöbel in eine Zeit, in der das Laute und Auffällige verdächtig erscheinen und Sicherheit und Seriosität gefragte Tugenden sind.
Auf dem Holzweg in die Zukunft
Holz also, ein bewährter Werkstoff mit angenehmer Ausstrahlung und nachhaltigem Image. Dass das Material auch für Innovationen taugt, hat sich in den vergangenen Jahren schon abgezeichnet. In diesem Jahr nun waren eine ganze Reihe von Entwürfen zu sehen, die Holz mittels moderner Verarbeitungstechnologien eine ganz neue Seite abgewinnen konnten. Sicher einer der schönsten Stühle war der von Jörg Boner für die Schweizer Firma Wogg mit der Nummer 50. Dank CNC-Frästechnik lässt sich Sperrholz in ungleich komplexeren Formen als früher verarbeiten. Beim Wogg 50 ergibt das einen eleganten Stuhl, der nur aus zwei Teilen besteht, nämlich der geschwungenen Lehne und der Sitzfläche mit ausgestellten Beinen. Das konstruktive Herzstück ist ein unter der Sitzschale eingepresster Kern, an dem auch die beiden Enden der Lehne befestigt sind.
Sitzen jetzt auch to go
Das kleinste Möbel erzeugte die größte Aufmerk-samkeit: Vitra präsentierte neben einem neuen Sofasystem und einigen Klassiker-Auffrischungen den ikonischen Krisenentwurf schlechthin: „Chairless“.Weniger Stuhl geht nicht. Ein Sitzgurt für knapp 20 Euro, der dann zum Einsatz kommen soll, wenn gerade kein Lounge Chair oder Alu Chair zur Verfügung steht. Der Nutzer kauert sich auf den Boden und schlingt sich Chairless um Beine und Rücken. Der Körper wird gestützt wie von einer Lehne, und die Hände bleiben frei zum Lesen, Telefonieren oder Surfen. Die Idee hat sich der chilenische Architekt Alejandro Aravena bei den nomadisch lebenden Ayoreo-Indianern im Grenzgebiet von Bolivien und Paraguay ausgeborgt. Damit gelang ihm die intelligentere Variante eines Design-Dauerthemas: In einer Art kulturellem Transfer greifen Gestalter traditionelle Materialien, Formen oder Fertigungsweisen auf und übertragen sie in westliches Design. Was gerne als Fördermaßnahme für Handwerker in Entwicklungsländern verkauft wird, endet oft in banalem Ethno-Chic. Diese Falle hat Vitra umgangen und zugleich ein smartes Must-have für Großstadtnomaden lanciert: Die erste Serie ist bereits vergriffen, erst im Juni wird es wieder neue Exemplare zu kaufen geben.
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