Bauwelt

Die Könige kommen nicht zurück

Essay

Text: Würschinger, Klaus, Berlin

Die Könige kommen nicht zurück

Essay

Text: Würschinger, Klaus, Berlin

Ein Sommermärchen in einem Besprechungszimmer, irgendwo in Deutschland. Drei Stunden haben die Architekten den Entwurf erläutert. Das Konzept für den Umbau eines Industriegebäudes wird den Bauherren in allen Einzelhei­ten vorgestellt. Weder Mühen noch Kosten wurden gescheut, um die Idee und die Architektur mit Skizzen, Modellen und Worten zu vermitteln. Die Bauherren sind begeistert, die Modelle werden herumgereicht und auf Augenhöhe betrachtet. Die Stimmung ist gut, auch nachdem die Kosten vorgestellt sind. Die Modelle und Prä­sentationspaneele werden schon wieder zusammengeräumt, da fragt der wortführende
Geschäftsführer noch einmal nach: „Warum diese polygonalen Anschnitte in der Cafeteria?“
Die Architekten verstehen die Frage nicht. Sie antworten: „Das Bestandsgebäude aus den 1980er Jahren ist im Grundriss ein Polygon. Die­ser Ansatz wird aufgegriffen, weitergestrickt, neu interpretiert und konsequent nach innen transportiert. Der Bestand wird auf diese Weise gewürdigt, die Identität gewahrt.“ Die Bauher­ren verstehen die Antwort nicht. Es sei doch nur diese eine Stelle. Für die Architekten ist da­mit das Konzept ruiniert. Die Stimmung kippt. Nein, nein, alles sei gut, sagen die Bauherren, nur eben ohne dieses Polygon in der Cafeteria. Die Architekten wehren sich. Ein neues, ein völlig anderes Konzept müsse dann gesucht werden. Alles auf Anfang. Das Fazit: Ihr oder wir?
 
Ihr oder wir?

So oder so ähnlich sieht die Realität abseits der in Auftrag gegebenen Celebrity-Architektur häufig aus. Gerhard Matzig schrieb 2008 in der Süddeutschen Zeitung (SZ) einen Artikel mit dem Titel „Vom König lernen“. Er spricht darin vom Versagen der Manager und Bürgermeister, und davon, dass von 100 Einfamilienhäusern 98 ohne Architekten geplant und gebaut würden. Es sei die Qualität des Dialogs, die über dieQualität unserer Räume entscheide. Matzig zieht historische Vergleiche der Architekturschulung heran; Kaiser Josef I., der sich durch Fischer von Erlach unterrichten ließ, oder König Ludwig I., der bei Klenze lernte. Wer schickt die Eliten end­lich zur Architektur-Nachhilfe, fragt er. Architekten mögen hier jubilieren, doch eine realistische Lösung für das Dilemma ist das nicht.
Die Architekten können nicht auf den zurückkehrenden Sachverstand der Eliten warten. Wie also kann eine Brücke von seelenloser Basta-Architektur zu dem hohen Anspruch derArchitekten geschlagen werden? Was vermag, jenseits des künstlerischen Dialogs, Bauherr und Architekt auf einen gemeinsamen Weg zu führen? Wenn in den Elefantenrunden, und davon gibt es bei Corporate-Projekten zahlrei-che, nicht Bildung und Kunstverstand allein entscheiden, sind Architekten gefordert, die wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Implikationen ihrer Arbeit darzustellen und zu beweisen. Und sie müssen in Prozessen denken. Will man es martialisch ausdrücken, heißt das:die Manager mit den eigenen Waffen schlagen.
 
Performance, Standards und andere Kleinigkeiten

Für kaum ein Unternehmen ist Architektur ein Selbstzweck zur Darstellung von Eitelkeit. Die meisten verfolgen mit dem Bau oder Umbau von Gebäuden einfache, richtige und nachvollziehbare Ziele: den wirtschaftlichen Erfolg in einem sich verändernden Umfeld zu sichern, Marktpositionen und Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und Mitarbeiter für ihr Unternehmen zu gewinnen. Immer geht es dabei um den return on invest, den Rückfluss der eingesetzten Mittel. Es geht um Zahlen und Fakten. Davor müssen sich die Architekten nicht fürchten.
Versuchen wir, die Qualität der Architektur in einen direkten Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Erfolg zu stellen. Wenn das gelingen soll, werden die Architekten sich neuen Themen widmen müssen.
1. In welchem Umfeld wird zukünftig gearbeitet, und welche Rolle spielt der Mensch darin? 2. Wie wird der Mitarbeiter auf die lange Veränderungsreise mitgenommen? 3. Welche Strukturen und Prozesse müssen in den Unternehmen geschaffen werden, damit nicht Zwischenrufe in den Meetings die Architektur bestimmen.
 
Der Mensch und sein Umfeld

Keine Imagebroschüre der Unternehmen, in denen nicht glückliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sehen sind. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Einer Deutschland-Studie des Gallup-­Instituts von 2009 zufolge verrichten 85 Prozent der im Büro arbeitenden Bevölkerung ihre Arbeit ohne bzw. mit geringer emotionaler Bindung zu ihrer Tätigkeit oder ihrem Arbeit geber. Der geschätzte gesamtwirtschaftliche Schaden durch höhere Fehlzeiten und niedri- gere Produktivität beträgt 250 Milliarden Euro – jährlich.
Die Anhänger einer Denkschule, die dem Innovationstheoretiker Nikolaj Kondratjew folgt, glaubt, dass der Schlüssel für den nächsten Innovationsschub in der psychosozialen Gesundheit und Kompetenz des Menschen liegt. Nach der Computerrevolution geht es nun an die nächste Produktivitätsreserve: den Menschen selbst. An eine Ressource, die paradoxer­weise zugleich überlastet und zu wenig ausgeschöpft ist. Gerade in Deutschland, das innerhalb der nächsten vierzig Jahre 15 Millionen weniger Einwohner haben wird, einem Land, in dem schon 2009 die freien Ausbildungsplätzeder Wirtschaft nicht mehr besetzt werden konnten, gibt es viele gute Argumente für die Architekten. Die 250 Milliarden Euro sind da nur ein Anfang. Die Unternehmen ringen um die besten Köpfe, aber die werden nur in die besten Räume einziehen. Kein Unternehmen, das diesen Zusammenhang begriffen hat, wird sich ohne Architekten an eine Bauaufgabe heranwagen.
Für die „right potentials“ steht die Qualität des Arbeitsumfelds an vorderer Stelle, wenn
es um die Wahl des künftigen Arbeitgebers geht, oft noch vor den eigenen Gehaltsansprüchen. Nach einer Erhebung des Fraunhofer Instituts aus dem Jahr 2006 lässt sich die Leistungsfähig­keit der Mitarbeiter durch die richtigen räumli­chen Umfeldfaktoren um bis zu 36 Prozent steigern. Zu den Umfeldfaktoren mit dem größten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit zählen demOffice Design Index zufolge die richtige Wahl der Büroform und die Attraktivität des Büroambientes insgesamt.
Das Institut für Arbeitsforschung iafob aus Zürich und ausgewiesene Spezialisten wie der Hirnforscher Ernst Pöppel sehen das genauso. Unter der Überschrift „Ein Einfall ist kein Zufall“ konstatierte Pöppel 2007 in der SZ: „Kreativität hängt unter anderem davon ab, wie die physikalische Umwelt gestaltet ist: von der Raumtemperatur, der Lichtintensität, dem Geräuschpegel, dem Geruch, der Architektur der Räume, in denen man sich aufhält.“
Nutzt man Charts wie den Office Design Index und Zitate aus der Welt der Neurowissenschaften, lassen sich auch die Manager überzeugen. Und plötzlich steigt auch das Verständnis für den Architektenjargon. Argumentationsketten von der Identität des Ortes bis hin zu den Feinheiten des Atmosphärenkonzepts werden in einem anderen Licht betrachtet. Schließlich geht es hier um viel Geld, das die Architektur für die Bauherren erwirtschaften kann.
 
Die lange Reise der Veränderung

Viele Konzerne und viele Mittelständler haben die Zeichen der Zeit erkannt. An Programmen und Projekten zur Verbesserung des Umfelds mangelt es nicht. Mitarbeiter werden mit im­mer neuen Prozessveränderungen und Restrukturierungen konfrontiert. Dabei wünschen sich doch eigentlich alle ein glückliches Zuhause, auch an ihrem Arbeitsplatz. Damit auf dieserReise nicht zu viele Mitarbeiter verloren gehen, ist in den letzten Jahren die Bereitschaft zu Beteiligungsprozessen deutlich gestiegen. Es handelt sich dabei nicht um basisdemokratische Veranstaltungen und Abstimmungen über den Entwurf, sondern um die Ermittlung von Bedürfnissen der Belegschaft. In der Regel sind es nicht die hehren Ziele der Architekturkonzeption, die die Mitarbeiter besonders interessieren. Ihnen geht es zunächst um die kleinen Dinge des Lebens: Wer sind meine Nachbarn, wie bringe ich meine Unterlagen unter, und wo stehen meine Topfpflanzen? Mit Einfühlungsvermögen schafft man es auch aus diesem Tal der Tränen und kann sich dann umso stärker dem Entwurf widmen. Die Mitarbeiter lassen sich auf diese Weise für die eigenen Ideen gewinnen, arbeiten an Kommunikations- und Bewegungs­profilen mit.
Die Mitarbeiterbeteiligung ist eine Steilvor­lage für Architekten. Müssen sie die wirtschaftlichen Zusammenhänge erst mühsam erlernen, so ist ihnen ein Grundverständnis für Nutzerbedürfnisse und die Kompetenz, Zusammenhänge zu erkennen, Meinungen zu bündeln und zu lenken, sowie eine hohe Mediationsbereitschaft in die Wiege gelegt. Wer in derLage ist, 100 Handwerker, die versammelte Mannschaft der Bauherrenvertreter, die Genehmigungsbehörden und die Fachplaner auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören, hat das Talent, um Beteiligungsprozesse entscheidend
zu begleiten, und muss dieses Feld nicht anderen überlassen.
 
Spielregeln für alle

Selbst wenn es die Kaiser und Könige noch gäbe, würden sie die meisten Entscheidungen an ihre Minister abgeben. Oft wird unterschätzt, wie häufig in den Ebenen unter dem Top-Mana­ge­ment – ganz nebenbei – wesentliche Faktoren für das Projekt und die Architektur verabschiedet werden.
Es ist die 25. Teamsitzung des Projekts. Ein aktualisierter Vorschlag zu den Raumatmo­sphären liegt auf dem Tisch. Scheinbar hört das Entwerfen nie auf, stöhnen die Bauherrenvertreter. Die Architekten haben noch einmal darüber geschlafen und sind zu dem Entschluss gekommen, dass dieses Haus eine andere Materialität benötigt, ein neues Farb- und Lichtkonzept. So muss es aussehen! Die Bauherrenvertreter reagieren verstört, es sei doch schon alles besprochen worden, alles war gut, bis dieserneue Vorschlag auf den Tisch kam. Das neue Kon­zept mag zwar besser sein, auch wäre es noch nicht zu spät dafür, so die einhellige Meinung, aber jetzt könne man das niemandem mehr verkaufen. Der Zug sei abgefahren.
Doch dieses Mal sind wir besser gerüstet. Die Erfahrung aus den vergangenen Jahren und die Gelegenheit in einem interdisziplinären Team die Corporate Architecture eines großen mittelständischen Unternehmens zu gestalten, haben wir genutzt, um bereits vor den Projek­ten klare Prozessregeln zu definieren. Task and Team Standards definieren Entscheidungswege, Zusammensetzungen der Design Teams und ihre Entscheidungsbefugnis, und vor allem legen sie fest, was geschehen soll, wenn es wieder zu Zwischenrufen der Hinterbänkler kommt.
Die wichtigsten Positionen in dem Gemenge aus Entscheidern, Abteilungsleitern, Unterabteilungsleitern usw. sind der Promoter und der Leiter des Monitoring Teams. Beide Rollen nehmen die Position der Supervision ein. In jedem Unternehmen gibt es Menschen, die sich für ein bestimmtes Projekt, für die Architektur odersogar beides begeistern lassen und sich dafür einsetzen. Sie nehmen nicht am Tagesgeschäft des Projekts teil, sind aber über alle wesentli­chen Vorgänge informiert. Eine Art Oberschiedsrichter, die Hüter des Projekts.
 Dieses Mal also wird das Monitoring Team angerufen. Nach einer Bedenkzeit wird das neue Konzept abgesegnet, die Beteiligten halten sich an die Entscheidung. Der klar definierteProzess gibt allen Sicherheit. Dieses Prozesshafte ist weder den Managern noch den Architekten fern, im Grunde lieben es beide Seiten.
Die direkte Korrelation von guter Architektur und wirtschaftlichem Erfolg existiert. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen vor, sie müssen von den Architekten nur gelesen, verstanden, ein- und vor allem umgesetzt werden. Spricht man auch die Sprache der Mitarbeiter und der Manager, dann rückt die von Klenze
beschriebene gehalt- und bodenlose Detail-Einmischung seitens des Bauherrn in weite Ferne. Dass auf diesem Wege und mit diesen Mitteln immer bessere Architektur entsteht, ist nicht sicher. Sicher ist nur: Die Könige kommen nicht zurück.
Fakten
Architekten weberwürschinger Architekten, Berlin
aus Bauwelt 28.2010

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