Ebenso anheimelnd wie verunsichernd
Neo Rauch in München und Leipzig
Text: Paul, Jochen, München
Ebenso anheimelnd wie verunsichernd
Neo Rauch in München und Leipzig
Text: Paul, Jochen, München
Das Irritierende für den Betrachter ist, dass er stets im Ungewissen bleibt, ob er Neo Rauchs Szenerien „richtig“ dechiffriert hat, oder, was noch irritierender wäre, ob es überhaupt etwas zu dechiffrieren gibt.
Wie kaum ein anderer Maler seiner Generation findet Neo Rauch, der Wegbereiter der „Neuen Leipziger Schule“, internationale Anerkennung: Weltweit bemühen sich Sammler und Museen um seine Werke, und Ausstellungen finden vorzugsweise als Retrospektiven statt. Anlässlich seines 50. Geburtstags widmen ihm die Pinakothek der Moderne in München und das Museum der Bildenden Künste Leipzig unter dem Titel „Begleiter“ gleich eine Doppel-Schau; jeweils mit in der Mehrzahl großformatigen Arbeiten, die in Europa erstmals zu sehen sind – sie waren direkt von der Staffelei in Privatsammlungen nach Übersee gegangen.
Was zunächst auffällt, ist, wie Neo Rauch seinen Malstil kontinuierlich weiterentwickelt hat: Während die Arbeiten der 90er Jahre noch eher flächig und überwiegend in den „Maschinenfarben“ Lindgrün, Mennigerot, Stahlblau und in Sanitärweiß gehalten sind, gleicht der Bildaufbau nach 2001 zunehmend einer tief gestaffelten Bühne, und die Palette der Renaissance hält peu à peu Einzug – eine Ausnahme bilden eigentlich nur die drei Monumentalformate „Das Blaue“ (2006), das in beinahe fluoreszentem Schwefelgelb gehaltene „Kalimuna“ (2010) und das rostbraune „Übertage“ (2010).
Rauchs Personal hat gleichfalls gewechselt: An die Stelle seiner (post-)sozialistischen Helden der Arbeit, welche die frühen Tableaus bevölkern, treten mehr und mehr Figuren des deutschen Biedermeiers und der Romantik, deren Posen seltsam eingefroren und überdreht wirken. Dabei ist die Szenerie insbesondere der neueren Arbeiten ebenso anheimelnd wie verunsichernd, und bereits der zweite Blick lässt stutzen: Die Perspektiven schachteln sich in- und übereinander, der Malstil wechselt abrupt, und inmitten von scheinbar banalen Alltagsszenen ereignen sich surreale Dinge.
Auch wenn für Neo Rauch „Verstehen der Tod eines Bildes“ ist, lassen sich seine absichtsvoll rätselhaften Gemälde durchaus lesen: Wie der Kunsthistoriker und Kunstvermittler Jochen Meister, der Führungen durch die Münchner Ausstellung anbietet (www.neo-rauch-verstehen.de), betont, sind die Bildgeschichten zwar mehrfach codiert, beschäftigen sich aber stets sowohl mit Rauchs eigener Biographie als auch mit der Frage nach dem künstlerischen Stellenwert der Generation seiner Lehrer (Arno Rink und Bernhard Heisig) an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst – wo Neo Rauch 2005–09 selbst ordentlicher Professor war.
Äußerst detailgetreu bildet Neo Rauch die typischen Bauten seiner mitteldeutschen Heimat ab – Markkleeberger Villen ebenso wie Leipziger Vororthäuser und Nachwendetreppenhäuser, das Kriminalpanoptikum und das Rathaus Aschersleben (Die Vorführung, 2006) ebenso wie Bergbaulandschaften (Kalimuna) und die industriellen Hinterlassenschaften der DDR. Aber auch sie sind mehrfach codiert: Was in „Fastnacht“ (2010) wie ein orthodoxes Holzkirchlein aussieht, ist bei näherem Hinsehen das – von Goethes Gartenhaus aus sichtbare – Torgebäude des Konzentrationslagers Buchenwald, die Sternwarte in „Das Blaue“ verweist auf den Tübinger Hölderlinturm und die blaue Blume der Romantik, derSchriftzug „Muna“ dagegen auf die Heeresmunitionsanstalt, in der seine Großmutter während des Krieges unter Tage MG-Patronen montieren musste.
Was zunächst auffällt, ist, wie Neo Rauch seinen Malstil kontinuierlich weiterentwickelt hat: Während die Arbeiten der 90er Jahre noch eher flächig und überwiegend in den „Maschinenfarben“ Lindgrün, Mennigerot, Stahlblau und in Sanitärweiß gehalten sind, gleicht der Bildaufbau nach 2001 zunehmend einer tief gestaffelten Bühne, und die Palette der Renaissance hält peu à peu Einzug – eine Ausnahme bilden eigentlich nur die drei Monumentalformate „Das Blaue“ (2006), das in beinahe fluoreszentem Schwefelgelb gehaltene „Kalimuna“ (2010) und das rostbraune „Übertage“ (2010).
Rauchs Personal hat gleichfalls gewechselt: An die Stelle seiner (post-)sozialistischen Helden der Arbeit, welche die frühen Tableaus bevölkern, treten mehr und mehr Figuren des deutschen Biedermeiers und der Romantik, deren Posen seltsam eingefroren und überdreht wirken. Dabei ist die Szenerie insbesondere der neueren Arbeiten ebenso anheimelnd wie verunsichernd, und bereits der zweite Blick lässt stutzen: Die Perspektiven schachteln sich in- und übereinander, der Malstil wechselt abrupt, und inmitten von scheinbar banalen Alltagsszenen ereignen sich surreale Dinge.
Auch wenn für Neo Rauch „Verstehen der Tod eines Bildes“ ist, lassen sich seine absichtsvoll rätselhaften Gemälde durchaus lesen: Wie der Kunsthistoriker und Kunstvermittler Jochen Meister, der Führungen durch die Münchner Ausstellung anbietet (www.neo-rauch-verstehen.de), betont, sind die Bildgeschichten zwar mehrfach codiert, beschäftigen sich aber stets sowohl mit Rauchs eigener Biographie als auch mit der Frage nach dem künstlerischen Stellenwert der Generation seiner Lehrer (Arno Rink und Bernhard Heisig) an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst – wo Neo Rauch 2005–09 selbst ordentlicher Professor war.
Äußerst detailgetreu bildet Neo Rauch die typischen Bauten seiner mitteldeutschen Heimat ab – Markkleeberger Villen ebenso wie Leipziger Vororthäuser und Nachwendetreppenhäuser, das Kriminalpanoptikum und das Rathaus Aschersleben (Die Vorführung, 2006) ebenso wie Bergbaulandschaften (Kalimuna) und die industriellen Hinterlassenschaften der DDR. Aber auch sie sind mehrfach codiert: Was in „Fastnacht“ (2010) wie ein orthodoxes Holzkirchlein aussieht, ist bei näherem Hinsehen das – von Goethes Gartenhaus aus sichtbare – Torgebäude des Konzentrationslagers Buchenwald, die Sternwarte in „Das Blaue“ verweist auf den Tübinger Hölderlinturm und die blaue Blume der Romantik, derSchriftzug „Muna“ dagegen auf die Heeresmunitionsanstalt, in der seine Großmutter während des Krieges unter Tage MG-Patronen montieren musste.
0 Kommentare