Bauwelt

Rekonstruktions-Debatte

Wer wann und warum rekonstruiert hat: Aufschlussreiche Motiv-Recherche des Architekturmuseums der TU München

Text: Paul, Jochen, München

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Rekonstruktions-Debatte

Wer wann und warum rekonstruiert hat: Aufschlussreiche Motiv-Recherche des Architekturmuseums der TU München

Text: Paul, Jochen, München

Seit ungefähr 15 Jahren wird das Thema „Rekons­truk­tion oder Neubau“ zunehmend kontrovers und emotional aufgeladen diskutiert – und das nicht nur in Fachkreisen, sondern ebenso in der Öffentlichkeit.
Was die Debatten um den Wiederaufbau des Ber­liner Schlosses (siehe auch „betrifft“, Seite 8), des Pots­damer Stadtschlosses, des Braunschweiger Re­sidenzschlosses, der Dresdner Frauenkirche, des Frankfurter Römerbergs und des Aachener Katschhofs überdecken, ist zweierlei: Erstens, dass auch in Deutschland viele nach ihrer Zerstörung wiederhergestellte Baudenkmäler geringes bis gar kein Konfliktpotential beinhalteten – Beispiele dafür sind die Würzburger und die Münchner Residenz ebenso wie der Goldene Saal des Augsburger Rathauses; zweitens, dass die Rekonstruktion verlorener Bauten – aus verschiedenen Gründen und mit wechselndem Verständnis von „Wiederherstellung“ – seit der Antike selbstverständ­licher Teil der Baugeschichte ist.
 
Um die Diskussion zu ent-emotionalisieren und „das umstrittene Thema Rekonstruktion aus oftmals fixierten Denkmustern in einen offenen, differenzierten Diskurs zu führen“, bettet die von Winfried Nerdinger mit Markus Eisen und Hilde Strobl kuratierte Ausstellung des Architekturmuseums der TU München die Positionen und Argumente nicht nur in den jeweiligen historischen Kontext ein, sondern entwickelt anhand von ca. 150 Fallbeispielen, illustriert mit Modellen, Gemälden, Plänen, Fotos und Ani­mationen, ein motivisches Raster. Beweggründe für die Rekonstruktion eines Gebäudes können religiöse Kontinuität, die Erinnerung an Personen und Ereignisse oder nationale, politische und dynastische Über­legungen ebenso sein wie die Wiedergewinnung der Bilder und Symbole einer Stadt, die Wiederherstellung der Einheit eines Ensembles oder touristische und kommerzielle Überlegungen; in den von einem zyklischen Zeitverständnis geprägten Kulturen Asiens kommen noch die rituelle Wiederholung und die Rekonstruktion des „authentischen Geistes“ hinzu.

Wahrzeichen, Erinnerungsorte, kulturelle Selbst­verteidigung
Konkret bedeutet dies, dass der auf Weisung von Venedigs Bürgermeister Filippo Grimani erfolgten Wie­derrichtung des 1902 eingestürzten Campanile von San Marco („com’era, dov’era“ – wie er war, wo er war) gänzlich andere Motive zugrunde lagen als beispielsweise der Wiederherstellung des Frankfurter Goethehauses oder der Warschauer Altstadt und des Königsschlosses. Im ersten Fall ging es um die Wiedererrichtung eines Wahrzeichens, bei der – seinerzeit höchst umstrittenen – Rekonstruktion von Goethes Geburtshaus darum, der Nachwelt „die Möglichkeit zu schaffen, die Atmosphäre von Goethes Jugend nachzuerleben“ und einen verlorenen „Erinnerungsort“ (Jan Assmann) wiederherzustellen. Im dritten Fall dagegen war der Beweggrund, der von den nationalsozialistischen Besatzern beabsichtigten Auslöschung Polens als Staat und als Kulturnation einen Akt „kultureller Selbstverteidigung“ entgegenzusetzen. In Deutschland hingegen führten das Trauma der Kriegsschuld und der Siegeszug des „International Style“ nach 1945 zunächst zu einem Bruch mit der Tradition.
 
Wie sich anhand der Rheinburgen zeigen lässt, sind wiedererrichtete Bauten aber auch in der Lage, ihre ursprüngliche „Rekonstruktions-Botschaft“ abzulegen und neue Bedeutungen anzunehmen. Idealtypisch rekonstruiert im 19. Jahrhundert, um die Rolle des Rheins als Deutschlands Grenzfluss zu unterstreichen und „die Botschaft vom wiedererstrahlenden Glanz eines Vaterlandes, dessen Geschichte bis ins Mittelalter zurückreichte“ (Winfried Speitkamp), zu verkünden, verwandelten sich die Burgen nach dem Zweiten Weltkrieg in unpolitische, dafür aber attraktive und günstig gelegene Ausflugsziele. Das mussten sie wohl auch: Stünden sie immer noch für wilhelminischen Größenwahn und Annexionsgeist, wären sie vermutlich längst geschleift worden.

An den genannten und zahlreichen weiteren Beispielen belegt die Ausstellung eindrücklich, dass sich (Bau-)Geschichte nicht auf eine Chronologie des Fortschritts reduzieren lässt, sondern, wie Winfried Nerdinger sagt, „ein Geflecht von Innovation und Be­wahrung, von Umbruch und Survival, von Avantgarde und Revival“ ist.

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