Bauwelt

„Eine vertane Chance“

Stefano Boeri war einer der vier Chefplaner des ursprünglichen Gesamtkonzepts für die Mailänder Expo. Das Gespräch fand Ende April in seinem Büro statt

Text: Crone, Benedikt, Berlin

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    Die erste Planung mit einer einheitlichen Gesamtstruktur für alle Nationen
    Visualisierung und Lageplan: ©Herzog & de Meuron

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    Visualisierung und Lageplan: ©Herzog & de Meuron

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    Stefano Boeri
    Foto: Boeri Architetti associati

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    Stefano Boeri

    Foto: Boeri Architetti associati

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    Konzept für das Expogelände von Richard Burdett, Herzog & de Meuron, William MacDonough und Stefano Boeri von 2009. Übernommen wurden nur die Längs- und die Querachse.
    Plan im Maßstab 1:15.000

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    Konzept für das Expogelände von Richard Burdett, Herzog & de Meuron, William MacDonough und Stefano Boeri von 2009. Übernommen wurden nur die Längs- und die Querachse.

    Plan im Maßstab 1:15.000

„Eine vertane Chance“

Stefano Boeri war einer der vier Chefplaner des ursprünglichen Gesamtkonzepts für die Mailänder Expo. Das Gespräch fand Ende April in seinem Büro statt

Text: Crone, Benedikt, Berlin

Herr Boeri, Sie haben die Expo als einer der vier Chefplaner konzipiert und sie zeitweise als Mailänder Kulturdezernent von Seiten der Stadt geleitet. Diese Weltausstellung sollte einen radikal neuen Weg gehen – welchen?
Wir wollten eine spannende, reichhaltige und gleichzeitig nüchterne Expo. Wir wollten erstens die typischen Muskelspiele und den architektonischen Wettbewerb der Pavillons vermeiden und zweitens jede Form von Spekulation und Wertsteigerung im Keim ersticken, indem eine großflächige Bebauung unterlassen wird: Rund 70 Prozent des Geländes sollte unbebaut bleiben und dem Anbau von Nahrungsmitteln dienen. Und drittens: Wir wollten der Stadt und dem Land durch die Expo ein Erbe hinterlassen. Die Landwirtschaftsflächen, der Botanische Garten, ein Park auf einem Hügel, Flächen für kommerzielle Nutzungen, Unterhaltung und Forschung – all das wäre ohne viel Nachbearbeitung gut brauchbar für die Stadt gewesen.
Ihr Konzept wurde vom Bureau International des Expositions (BIE) zunächst angenommen. 2011 kam es zum Meinungswandel und zum Bruch. Warum?
Es gab starke Interessen von privaten Akteuren aus Italien und von teilnehmenden Nationen, die sich gegen unseren Plan stellten. Der Quadratmeterpreis für dieses ungenutzte Land außerhalb der Stadt liegt eigentlich bei 12, maximal 15 Euro. Dennoch sollte die öffentliche Hand für den Erwerb des privaten Geländes aufgrund
erwarteter Wertsteigerungen rund 160 Euro für den Quadratmeter zahlen, also mehr als das Zehnfache des tatsächlichen Wertes. Wir wollten diese Spekulation nicht mitmachen, auch mit dem Blick darauf, was für die Expo noch in die Infrastruktur investiert werden würde. Ich wehrte mich gegen den Kauf des Landes, geriet in einen Konflikt mit dem Bürgermeister – und gab schließlich meine Tätigkeit für die Expo auf. Die dann folgende Entwicklung der Weltausstellung ist in meinen Augen eine vertane Chance. Es werden zwar Besucher kommen, aber ich bin überzeugt, unser Konzept wäre diesem wichtigen geopolitischen Thema der Welternährung angemessener gewesen.
Sie glauben, diese Expo ist wieder ein Festival der Nationen?

Ja – und das ist genauso langweilig wie anachronistisch. Shanghai war ein Besuchererfolg, aber warum? Weil Millionen Chinesen kamen, die zum ersten Mal die Welt durch die Augen der Expo sehen konnten; Menschen, die bisher wenig von der Welt gesehen hatten. Das war das Erfolgsgeheimnis der Expo Shanghai. Das Konzept war allerdings veraltet und an die Ausstellungsformate des 20. Jahrhunderts angelehnt. Erinnern Sie sich an die Expo in Hannover 2000? Damals war es viel schwerer, die Menschen anzulocken. Vielleicht wird sich genau dieses Problem wiederholen.
Sehen Sie noch Ideen, die von Ihrem ursprünglichen Konzept geblieben sind?
Ja, aber das betrifft vor allem den räumlichen Aspekt: die 1,5 Kilometer lange Achse, die Wasserkanäle und die Länder-Cluster für Kaffee und Kakao. Dann hört es aber schon auf. Wir wollten eine Bebauungsfläche von maximal 40 bis 50 Prozent pro Pavillongrundstück: Jetzt sind es 80 Prozent. Das ist absurd! Wir haben eine Million Quadratmeter Ausstellungsgelände. Eine nutzlose Fläche zwischen einer Schnellstraße, einem Friedhof, einem Gefängnis und dem Messegelände. Was passiert hier, wenn die Expo vorbei ist? Sechs Monate Party – und dann?
Was war denn Ihr Nachnutzungsvorschlag?
Die Expo sollte ein Ort sein, an dem je nach Land unterschiedliche Arten und Möglichkeiten der Lebensmittelproduktion gezeigt werden. Nach Ausstellungsende hätten wir darauf aufgebaut, das Areal in einen landwirtschaftlichen Park entwickelt und Bedingungen dafür geschaffen, dass hier regelmäßig eine nationale Landwirtschaftsmesse abgehalten werden kann. Italien ist schließlich reich an guten Lebensmitteln. Daneben hätten wir das Gelände für Unterhaltungsangebote und Forschungsinstitutionen genutzt. Was jetzt kommt? Keine Ahnung! Es gibt Vorschläge, einen Teil der öffentlichen Universität hierhin auszulagern. Das finde ich gut, allerdings scheint die Umsetzung schwierig zu werden.
Abgesehen vom Gesamtkonzept, erwarten Sie auf der Expo architektonisch Interessantes?
Ja, es gibt viel Spannendes zu sehen, auch gute Pavillons.
Was halten Sie vom Italienischen Pavillon?
Naja. Die Idee, eine Gestaltungsform aus abstrakten, ökologischen Gedanken abzuleiten, finde ich etwas veraltet. Aber die Innenräume sind schon spektakulär.
Neben dem Expogelände entsteht ein neues Wohnquartier, das Expovillage.
Furchtbar! Eine halbe Millionen Quadratmeter eng und hoch bebaut, in dieser deprimierenden Umgebung. Entschuldigen Sie, das ist womöglich zu negativ und zu schnell geurteilt. Vielleicht wird ja auch alles ein Erfolg.
Sehen Sie andernorts eher erfolgversprechende Entwicklungen in Mailand?
Das Geschäfts- und Finanzviertel Porta Nuova hat sich in den letzten Jahren stark verändert und ist sicherlich umstritten. Aber der öffentliche Raum, der Park und die Plätze funktionieren. Ich sehe hier durchaus einen Erfolg. Bei CityLife, auf dem ehemaligen innerstädtischen Messegelände, bin ich skeptisch, auch wenn erst wenige Teile realisiert sind. Die Luxus-Wohnbebauung von Daniel Libeskind und Zaha Hadid (Bauwelt 21.2013) ist sehr dicht und wirkt nach außen verschlossen. Insgesamt gesehen wandelt sich Mailand seit zehn Jahren stark, vor allem private Projektentwicklungen prägen das Bild der Stadt.
Fakten
Architekten Boeri, Stefano, Mailand
aus Bauwelt 23.2015
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