Bauwelt

Baukultur ist ein Renditefaktor

Reiner Nagel, der Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, ist ein fundierter Kenner der Immobilienwirtschaft. Ein Gespräch über Mischung, das Potenzial von B-Städten und die richtige Ansprache, um im renditefixierten Umfeld Gehör zu finden

Text: Friedrich, Jan, Berlin

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Reiner Nagel (Jahrgang 1959) ist Architekt und Stadtplaner, seit Mai 2013 Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, zuvor war er Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin für die Bereiche Stadtentwicklung, Stadt- und Freiraumplanung
Porträtfoto: Till Budde für die Bundesstiftung Baukultur

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Reiner Nagel (Jahrgang 1959) ist Architekt und Stadtplaner, seit Mai 2013 Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, zuvor war er Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin für die Bereiche Stadtentwicklung, Stadt- und Freiraumplanung

Porträtfoto: Till Budde für die Bundesstiftung Baukultur


Baukultur ist ein Renditefaktor

Reiner Nagel, der Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, ist ein fundierter Kenner der Immobilienwirtschaft. Ein Gespräch über Mischung, das Potenzial von B-Städten und die richtige Ansprache, um im renditefixierten Umfeld Gehör zu finden

Text: Friedrich, Jan, Berlin

Seit Sie 2013 als Vorstandsvorsitzender angetreten sind, ist die Bundesstiftung Baukultur auf der Expo Real und der MIPIM an Gemeinschaftsständen vertreten. Was ist Ihre Mission auf Immobilienmessen?
Reiner Nagel Mission ist vielleicht nicht der richtige Begriff. Ich bin ja nicht in Glaubensfragen unterwegs, sondern sehr rational und auf der Seite der Vernunft. Uns geht es darum, das Thema guten Planens und Bauens dort zu platzieren, wo die Entscheider sind. Wir wollen vor Ort mitverhandeln, Angebote machen, was man ­positiv verbessern kann für das Berufsfeld der Immobilienentwickler, Immobilieninvestoren und Immobilienbestandshalter – für diese komplexe Welt, die im Ergebnis darüber entscheidet, was am Schluss wirklich gebaut, betrieben und im Bestand gehalten wird.
Wie gehen Sie vor? Nehmen Sie sich die Leute, die Sie als besonders harte Brocken kennen, zur Brust und versuchen, sie zu überzeugen?
Man muss sich das strukturell anschauen: Eine Immobilienmesse ist ein Marktplatz – für den Austausch von Meinungen und von Positionen, aber auch ein klassischer Handelsplatz. Die Bundesstiftung Baukultur hat kein Handelsgut, wir verkaufen keine Grundstücke oder Immobilien, wir haben keine Macht im Sinne von Städten, die über das Genehmigungswesen versuchen, Einfluss zu nehmen auf Gestaltung. Wir haben auch kein Geld, das wir ausschütten. Wir sind nur Mittler im Getriebe. Wir liefern keinen natürlichen Anlass, bei uns vorbeizugehen. Deshalb stiften wir künstliche Anlässe, damit die Leute kommen. Wir veranstalten unsere Dialogforen, bei denen wir Experten aus der Immobilienbranche bitten, als Referenten mitzudiskutieren.
Auf der letzten Expo Real gab es bei Ihnen die Diskussionsrunde „Baukultur als Mehrwert“. Ist das die richtige Herangehensweise: Im Jargon der Immobilienbranche zu argumentieren?
Ja, das sind die richtigen Begriffe, um die Immobilienwirtschaft anzusprechen. Interessanterweise spielen ja schon heute auf der MIPIM und auf der Expo Real Architektur, Gestaltung, Städtebau und Stadtentwicklung eine größere Rolle als auf der „Bau“ in München – obwohl auf Letzterer viele Tausend Architekten unterwegs sind. Wenn Sie aber auf der Bau durch die Hallen ­gehen, sehen Sie Dachflächenfenster, Dachdeckungen, Aufzugsysteme, jedoch keine Modelle von Objekten oder Projekten, keine Architektur. Das findet auf den Immobilienmessen – als Inspiration – viel mehr statt. Es scheint dort ein ­gutes Bauchgefühl für diese Themen zu geben. Also geht es noch darum, den Kopf mitzunehmen.
Und das machen Sie, indem Sie etwa Baukultur als Mehrwert ins Spiel bringen?
Wir arbeiten mit Analogieschlüssen. Zum Beispiel mit Verkehrswertberechnungen, die besagen: Wenn man mehr als drei Materialien für den Fußboden einsetzt, ist das Haus weniger wert, als wenn man sich auf einige wertige Materialien beschränkt. Das ganze Thema Planwertzuwächse, Standortentwicklung aus Immobilien- und Architekturgründen ist eine solche Analogie, Stadtrendite ist eine Analogie. Somit können wir sagen: Baukultur ist für die Immobilienwirtschaft ein Renditefaktor. Rendite ist ein Schlüsselwort, genauso wie Erfolg. Zu „Erfolg durch Baukultur ­in der Immobilienwirtschaft“ haben wir auch einmal eine Veranstaltung durchgeführt.
Der erhobene Zeigefinger wäre keine geeig­nete Strategie, um Gehör zu finden?
Wir versuchen, die Themen, die uns wichtig sind, als Asset, als Vermögenswert, zu preisen. Nicht zu sagen: Ihr müsst jetzt unbedingt, denn das wäre wichtig – aus moralischen Gründen. Sondern: Überlegt mal, ob ihr nicht mit Architekturqualität, mit Mischung, mit einer quartiersbezogenen Managementlösung einen echten Vorteil gegenüber denjenigen habt, die schlicht mit ­einem Dreisatz „je größer, desto mehr Rendite“ daher kommen. Und dann zeigen wir mit guten Beipielen, dass es geht.
Es gibt nach wie vor viele, die sagen, man darf da überhaupt nicht mitmachen, weil das Prinzip, das der Immobilienwirtschaft zugrunde liegt, stadtzerstörerisch ist. Ist es umstritten, dass die Bundesstiftung sich derart engagiert?
Eigentlich nicht. Es gibt natürlich immer Leute, die die Nase rümpfen. Aber wenn wir gefragt werden: „Liebe Bundesstiftung, habt ihr das nötig?“, dann antworte ich: Natürlich! Wenn man ­etwas erreichen will, darf man sich nicht im Elfenbeinturm einschließen, sondern muss dort hingehen, wo Entscheidungen getroffen werden, und mit den Leuten offen darüber reden, wie man die Dinge sieht.
Das heißt für Architekten: sich einmischen?
Wahrscheinlich müssen Architekten, bezogen auf die bevorstehenden Änderungen in der Berufswelt, entscheiden: Will ich irgendwann nur noch Stylist sein und ein schnelles Rendering abgeben, das dann Bauunternehmen umsetzen – wie das ja in vielen Ländern längst der Fall ist –, oder will ich weiter substanziell an Architektur und Bauen mitarbeiten? Wenn man das Zweite will, muss man sich stärker auch mit den Mechanismen von Projektentwicklung, Projektsteuerung usw. beschäftigen.
Vielen Architekten scheint die Rolle, die sie dabei spielen könnten, nicht ganz klar zu sein.
Architekten haben allen Anlass, im Umfeld der Immobilienwirtschaft selbstbewusst aufzutreten. Häufig werden die Projektideen, das reflektierte Zusammenfügen dieser unterschiedlichen Anforderungen in Synthese zu Gestaltung, von Architekten gemacht. Natürlich gibt es aktive Bauherren und Immobilienleute, die eigene Vorstellungen haben, die auch interessant und spannend sind. Aber viele sind doch von der steuernden Energie von Architekten abhängig, damit wirklich ein baubares Projekt entsteht.
Sie haben Ende letzten Jahres den Baukulturbericht 2016/17 „Stadt und Land“ herausgegeben. Ist das ein Thema für die MIPIM im März?
Wenn man es im Sinne der Immobilienwirtschaft auf einen Punkt bringen will, dann geht es beim aktuellen Baukulturbericht um die Kostengruppe 100, also um das Grundstück. Beim Bauen laufen uns in den Ballungszentren zurzeit vor allem die Grundstückskosten weg; die Baukosten steigen, aber überproportional steigen die Grundstückskosten. Unser Ziel ist es, eine gewisse Entlastung zu schaffen, indem wir Kleinstädte und Mittelstädte – aus immobilienwirtschaftlicher Sicht würde man sagen B-Städte – ins Gespräch bringen. Dort kann Baukultur helfen, „Lagen“ zu schaffen, und gleichzeitig profitiert die Qualität der gebauten Umwelt an diesen Orten davon.
Die Profis der Immobilienwirtschaft, die auf den Messen unterwegs sind, interessieren sich aber fast ausschließlich für die sieben großen Städte in Deutschland.
Das sind die überhitzten Portfolio-Städte, die angesichts der Finanzkrisen zurzeit weltweit gefragt sind. Die kleineren Städte, die auch mit Ständen auf den Messen vertreten sind, haben lange nicht so eine gute Nachfrage, allenfalls von regionalen Märkten. Deshalb sagen wir: Es wäre gut, wenn man zum Beispiel Fondsstrukturen schaffen würde, in denen Bestandsgebäude in B-Städten, in Kleinstädten und Mittelstädten, ­­in historisch interessanten Städten ein Portfolio bilden. In der Folge von Investitionen in Immobi­lien ist ja meist schon der Nutzer im Gepäck oder zumindest angedacht, und häufig ist damit eine Vermarktungsstrategie verbunden, die den ganzen Standort nach vorne bringen kann.
Ein Thema, das bei allen Gesprächen, die wir für diese Ausgabe geführt haben, auf den Tisch kam, war Mischung. Respektive die Schwierigkeit, Mischung herzustellen.
Mischung. Ja, das wäre allerdings wirklich ein Thema, das wir als Mission vor uns hertragen müssten! Wenn man abstrakt darüber spricht, stimmt jeder zu, dass Mischung das Gebot der Stunde ist, sozial und funktional im Gebäude ­und im Quartier. Wir wissen aber auch, dass Mischung systematisch abnimmt, dass kleinteilige Strukturen schwierig sind, dass Trennung eher das Grundprinzip ist – auch und vor allem in der Immobilienwirtschaft.
Ein Hauptproblem scheint zu sein, dass viele Entwickler, viele Investoren spezialisiert sind auf eine Nutzung. Wo kann man da ansetzen?
Das Konzert derjenigen, die das Thema Mischung hochhalten, funktioniert zunehmend. Und zwar auch gegen die Argumente der Immobilienwirtschaft, es gehe nicht. Es gehe nicht, wegen ­unterschiedlicher Raumhöhen, wegen sich widersprechender Lebenszyklen oder Tageszyklen – der Wohnungseigentümer möchte morgens nicht in ein hell beleuchtetes Bürofenster gucken, hinter dem die Leute schon arbeiten, während er sich gerade fertig macht. Dann werden auch immer Widersprüche hinsichtlich von steuerlicher Abschreibung behauptet. Gewerbeimmobilien schreiben sich über andere Zeiträume ab als Wohnimmobilien. Die Versicherungsthematik, der Brandschutz usw. werden als Hindernisse aufgeführt.
Nutzungsmischung im Quartier wird als Lösung des Problems angeboten.
Es wird behauptet: Wir machen Mischung gerne, aber ein Haus neben dem anderen Haus und mit so viel Abstand, dass es auch in anderen Portfolios gelagert werden kann, ohne dass es Konflikte gibt. Aber es gibt eben doch Beispiele, wo ein klassisches Zinshaus funktioniert, mit gewerblichem Erdgeschoss, mit Wohnen und Büro, ergänzt durch Kultur.
Und solche Beispiele, die häufig von Städten durchgesetzt worden sind oder von weitsichtigen Einzelinvestoren entwickelt wurden, die halten wir hoch und sagen: Es geht, wenn man will. Es geht sogar bis hin zu einem horizontal geschichteten Gebäude mit öffentlicher Schulnutzung, Schulhoffläche auf dem Dach, einem Behindertenhotel, Wohnungen – gemischte Projekte, von denen selbst der öffentliche Bauherr meint: Das geht eigentlich nicht, da ist die Komplexität zu hoch. Und da muss man sagen: ­Das kann nicht das Problem sein, wenn man will, dass eine gute Stadt entsteht!

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