Ulrich Brinkmann Sie haben alle drei in der Lehre mit Studenten zu tun, die von solchen Einflüssen geprägt an die Universität kommen. Ansgar und Benedikt Schulz, Sie lehren in Dortmund zusammen mit Paul Kahlfeldt und Christoph Mäckler. Wie reagieren die Studenten auf die historische Grundierung des Entwerfens?
Benedikt Schulz Wir haben den Vorteil, dass wir ein relativ kleines Kollegium sind, dadurch bekommen die Studenten den Austausch zwischen den Professoren mit. Wir diskutieren sehr offen. Wir akzeptieren, dass der eine diese Häuser baut, der andere jene. Für die Studenten ist es gut, die extreme Bandbreite zu sehen und zu erleben, dass nicht einer für sich beanspruchen kann, allein Recht zu haben.
Kaye Geipel Klingt nach totaler Idylle ...
Benedikt Schulz Das ist natürlich eine Entwicklung. Der Lehrstuhl war vertretungsweise zu besetzen, und die Wahl fiel wohl eher zufällig auf uns. Und dann sind wir über die letzten Jahre in Dialog getreten.
Kaye Geipel Gibt es nicht auch Konfliktlinien, was den Umgang mit der Stadt und der Architektur betrifft?
Benedikt Schulz Es gibt sie, auf mehreren Ebenen: Konflikte um das Didaktische, Konflikte um die Frage, wie man mit der Stadt umgeht und schließlich auch Konflikte um die Architektur.
Ansgar Schulz Es gibt den Konflikt, dass wir mehr in die Lehre reinbringen wollen; dass ein Haus auch mal vier Seiten haben kann. Womit wir wieder bei der Kontext-Diskussion sind. Das hat letztendlich mit Raum zu tun, mit der Reduktion des Entwurfs auf Fassade und Grundriss oder auf Raum-Setzung. Wenn das Gebäude von der Setzung her determiniert wird, dann ist es auch freier im Bezug zu anderen Häusern, die nebenan stehen, und dann wird die Architektur auch etwas anders.
Arno Lederer Aber gibt es denn beides? Ich sagte schon, es sind gesellschaftliche Modelle. Für mich hat ein Haus immer vier Fassaden, nur mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben. In der Europäischen Stadt sind öffentlicher und privater Raum getrennt. Wollen wir, dass die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit aufgehoben werden und somit alles öffentlich ist? Das ist eine aktuelle Diskussion, auch in ganz anderen Bereichen.
Kaye Geipel Ich sehe eher die Schwierigkeit, dass früher selbstverständlich öffentliche Teile der Stadt gerade in den neuen, privat erstellten Quartieren zunehmend kontrolliert werden und verloren gehen – gerade auch bei den Bauten des „Populärklassizismus“, von denen wir gesprochen haben. Dieser Verlust an Übergangsräumen lässt sich im Detail gut nachweisen. Das Plädoyer für mehr Privatheit, das ich beim Internet unterstütze, halte ich in der Stadt für problematisch.
Arno Lederer Ich meine etwas anderes. Mir geht es um die Frage des Solitärs und des Nicht-Solitärs sowie um Transparenz oder Nicht-Transparenz. Das hat mit den Häusern des Neu-Klassizismus überhaupt nichts zu tun. Uns interessiert eine alte Frage; wenn man den Papst im Fenster stehen sieht, dann sieht man nicht, ob er eine Hose anhat oder nicht. Das ist toll, weil hier zwei Gegensätze zusammenkommen, die Öffentlichkeit und die Privatheit, die unser Leben bestimmen und einen Wert darstellen.
Kaye Geipel Was wäre denn zu sehen, wenn der Papst in einem Ihrer Gebäude auf dem Balkon erschiene?
Benedikt Schulz Darüber denke ich schon länger nach, wir machen ja keinen Wohnungsbau, sondern nur öffentliche Gebäude, da kommt die Frage des Privaten eigentlich nicht vor. Erstmalig ist das beim Trias passiert, dass da hinter der Tür des Büros plötzlich Schluss war. Das hat auch Auswirkungen auf die Architektur gehabt.
Ansgar Schulz Weil wir eben von der Lehre sprachen und davon, dass 95 Prozent der Häuser gar nicht besprochen werden – mir stellt sich die Frage: „Wie bilde ich Architekten aus? Bilde ich die alle so aus, dass sie die fünf Prozent bauen wollen, die besprochen werden, oder bilde ich die so aus, dass die mit den anderen 95 Prozent keinen Schaden anrichten?“ Christoph Mäckler sagt: „Ich lehre Regeln, die nichts mit Formensprache zu tun haben, an denen ihr euch entlanghangeln könnt, und dann geht erst mal nichts schief.“ Das hilft vielleicht Leuten, die keine großen Entwerfer sind. Aber wenn man das ein bisschen reflektiert, dann merkt man, und hier sind wir jetzt vielleicht beim „gangbaren Konservatismus“, dass da was Wahres dran sein könnte. Zumindest dann, wenn man sich nicht sicher ist.
Kaye Geipel Arno Lederer, Sie haben erst in Karlsruhe unterrichtet, dann in Stuttgart. Die Frage: „Bilde ich für die fünf oder für die 95 Prozent aus?“ – stellte die sich Ihnen auch?
Arno Lederer Wir haben sehr lange gesagt: „Mach erst mal, was du willst, und dann gucken wir mal, wie man’s baut.“ Das ist der umgedrehte Weg, der aber schwierig sein kann. Die Frage des Daches, die wir vorhin diskutiert haben, ist ein Beispiel dafür, wie man Studenten erklären kann, dass es Regeln gibt, von denen ich sage: „Es ist vernünftig, es so zu machen.“ Wenn ich das Dach nicht als eine Form erkläre, sondern als ein Prinzip, mit dem ich erreichen kann, dass kein Wasser ins Haus dringt, kann man Regeln aufstellen, die jeder befolgen kann. Und dabei kommt meist etwas Ordentliches raus.
Kaye Geipel Das sauber konstruierte Dach ist aber nur ein Teil der Geschichte, auf die Sie sich beziehen, wenn Sie unterrichten. Was sind denn Kernelemente, die Sie weitergeben?
Arno Lederer Kernelemente sind erstens die Frage nach der Fügung des Materials und der sinnvollen Verwendung und Zusammensetzung von bestimmten Dingen und zweitens die nach der Typologie. Was ich in der Lehre für falsch halte, ist, zu sagen: „Jetzt gehen wir nur nach den Regeln“, oder „Du bist sowieso nur Durchschnitt“. Wer das hört, gibt sofort auf, obwohl vielleicht gerade in ihm eine besondere Begabung steckt. Das wissen wir am Anfang nicht. Deshalb muss man sich an hohen Zielen messen: Wir versuchen, aus jedem das Beste zu machen, und dann stellt sich im Laufe der Zeit schon heraus, wer das Ziel erreichen kann. Ich versuche, den Studenten zu nehmen, wie er ist; er will Architektur studieren, und er will das Beste erreichen. Toll, das machen wir zusammen. Und wenn’s dann nicht klappt, ist es auch nicht schlimm – aber wir probieren es.
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