Bauwelt

Müssen Häuser sich benehmen?

„Früher war alles besser“, scheint die Architektur in Deutschland gegenwärtig vielerorts zu sagen. Von Arno Lederer und den Brüdern Ansgar und Benedikt Schulz wollten wir wissen, ob und wie es gelingen kann, aus der Tradition zu schöpfen, ohne sich den Zukunftsperspektiven zu verschließen.

Text: Ulrich Brinkmann, Oliver Elser, Kaye Geipel

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    Im Weißen Salon der Redaktion: das Bauwelt-Gespräch am 5. September 2014
    Erik-Jan Ouwerkerk

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    Im Weißen Salon der Redaktion: das Bauwelt-Gespräch am 5. September 2014

    Erik-Jan Ouwerkerk

Müssen Häuser sich benehmen?

„Früher war alles besser“, scheint die Architektur in Deutschland gegenwärtig vielerorts zu sagen. Von Arno Lederer und den Brüdern Ansgar und Benedikt Schulz wollten wir wissen, ob und wie es gelingen kann, aus der Tradition zu schöpfen, ohne sich den Zukunftsperspektiven zu verschließen.

Text: Ulrich Brinkmann, Oliver Elser, Kaye Geipel

Kaye Geipel Die Frage in die Runde, zuerst an Sie, Arno Lederer: Würden Sie sich als einen konservativen Architekten bezeichnen? Und falls ja, was bedeutet das?
Arno Lederer Ich kann mit dem Begriff in Bezug auf unsere Arbeit nichts anfangen. Wenn wir Typologien begreifen als Grundlagen, die eine gewisse Konstanz über Jahrhunderte haben, dann ist das für mich keine Frage des Konservativismus, sondern eine Frage der Brauchbarkeit von Entwurfsmodellen.
Ulrich Brinkmann Wie sieht das bei Ihnen aus, Ansgar und Benedikt Schulz?
Benedikt Schulz Wir hatten am Anfang wenig Projekte im Kontext. Einfügung in die Umgebung war eher Setzung als Auseinandersetzung mit einem architektonischen und räumlichen Erbe. Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Folglich wandelt sich auch der Fokus der Überlegung. Andersrum, auf die Frage bezogen: Es gibt Bereiche der Gesellschaft, in denen man nicht gern zurückschaut, etwa die Medizin. Es gibt andere, in denen Traditionen sehr wichtig sind, man nehme den Fußball. Und in der Architektur? Dass es jetzt ein BauweltHeft zu diesem Thema gibt, wäre vor fünf Jahren wohl noch undenkbar gewesen. Es gab lange Zeit Lagerkämpfe, zwischen denen, die diesen Konservativismus pflegen, und denen, die das total ablehnen. Offenbar bewegen sich diese Lager aufeinander zu.
Ulrich Brinkmann Uns scheint jedenfalls eine Beschäftigung mit der Tradition in Gang gekommen, die eher eine Aktualisierung bedeutet als ein starres Wiederholen; Projekte etwa von Adam Caruso oder David Chipperfield oder eben auch von Ihnen, Arno Lederer – eine Art „gangbarer Konservativismus“ in unseren Augen, der Elemente der Vergangenheit für eine Weiterentwicklung aktiviert.
Oliver Elser Bei Ihren Bauten, Arno Lederer, hat man den Eindruck, dass da eine Suchbewegung stattfindet, es also keineswegs so leicht ist, sich brauchbare Typologien zu erschließen. Wie stellt sich das bei Schulz und Schulz dar?
Ansgar Schulz Für mich ist es eine Entwicklung. Als ich angefangen habe zu studieren, da wollte ich frei sein und radikal entwerfen. Jetzt wird man älter und sieht, dass gewisse Konzepte, vor allem im städtischen Kontext, scheitern. Und da hinterfragt man sich. Dann geht es nicht um Konservativismus, sondern um eine Reflexion dessen, was gut ist an den Gebäuden, die sich einfügen. Was ist sensibel?
Kaye Geipel Was heißt scheitern?
Ansgar Schulz Scheitern an der Radikalität, mit der es entworfen ist: Zum Beispiel Sichtbetonhäuser, die von der Materialität und von der Konstruktion her nicht mehr machbar sind und derartige Mängel haben, dass die Ästhetik und der Strukturalismus, der den Häusern mal innewohnte, völlig verloren gegangen ist.
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Arno Lederer
Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

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Arno Lederer

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Arno Lederer Solche Konzepte scheitern in einer Stadt, die auf einer anderen Grundlage aufgebaut ist: in der gelobten „Europäischen Stadt“. Da gibt es ein additives Prinzip. Die Häuser sind aneinander gestoßen, benehmen sich untereinander. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand etwas anderes, weil die Geschichte etwas war, womit man sich möglichst nicht beschäftigen wollte. Dazu kam noch der Glaube der Moderne, dass durch Technik und Fortschritt alles besser wird. Das solitäre Haus aber, das kein Vorne und kein Hinten hat, ist kein adaptives System wie die Stadt, an der immer weitergebaut wurde. Deshalb ist es für mich keine Frage, ob ich wie in der Vergangenheit baue oder wie in einer gedachten Zukunft. Ich glaube, dass wir einen dritten Weg suchen müssen. Wie sähe der aus? Bis jetzt haben wir keinen Begriff dafür.
Kaye Geipel Das Wort „scheitern“ tauchte jetzt gleich zwei Mal auf, auf einer baukonstruktiven und einer stadträumlichen Ebene. Arno Lederer, Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Benehmen“ der Häuser. Das sei in der Vorkriegszeit noch gegeben gewesen und danach nicht mehr. Ist es tatsächlich so, dass die Nachkriegsarchitektur nicht in der Lage war, dieses Benehmen der Häuser, das Sie als Wert formulieren, umzusetzen?
Arno Lederer So einfach kann man es nicht sagen, weil zur Nachkriegsarchitektur auch der Wiederaufbau von Münster zählt. Aber es gab die Missachtung des historisch Gebauten als eine taugliche Typologie, weil die Geschichte nicht interessiert hat.
Ulrich Brinkmann Gleichwohl gab es auch in den fünfziger Jahren landauf, landab noch eine städtische Architektur. Ein Beispiel dafür: der Bau von Erich Schelling am Marktplatz in Karlsruhe. Mit Ihrem Neubau knüpfen Sie an Weinbrenners Architekturmodell an, nicht an die Architektur von Schelling. Warum?
Arno Lederer Die Architektur von Schelling war eine, an die zunächst gar nicht gedacht war. Schelling hatte sich angelehnt an den Plan, den der damalige Stadtplaner gemacht hatte – ein ganz symmetrischer Entwurf, der in der ersten Fassung auch aus der Schmitthenner-Schule hätte stammen können. Dagegen intervenierten aber die Geschäftsleute, und dann ist die Zeile eben „modern“ geworden. Wir dachten einfach an die Fassung eines Raums, den wir nicht auf das Haus bezogen sehen, sondern auf den gesamten Plan von Weinbrenner. Uns stellte sich die Frage, ob dieser Plan tauglich ist oder nicht. Wir bauen ja nicht Weinbrenner. Der Neubau ist erkennbar ein Bau von Lederer Ragnarsdóttir Oei. Wir sind auch überhaupt nicht gegen die Moderne – es geht uns darum, wie Typologien miteinander umgehen.
Ansgar Schulz Da würde ich einstimmen, denn das gelingt auch modernen Gebäuden. Wenn ich an die Hauptpost in Leipzig denke, am Augustusplatz, die steht da wie eine Eins, weil sie sich im Detail, in den Typologien richtig verhält. Wenn man dieses Handwerkszeug beherrscht, dann erübrigt sich die Frage nach dem Stil.
Kaye Geipel Ich finde den Begriff „Benehmen der Architektur“ interessanter als die Stilfrage. Wie sollen sich denn die Häuser zu ihren Nachbarn verhalten?
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Oliver Elser
Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

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Oliver Elser

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Oliver Elser Mich erinnert dieses Loblied auf die Europäische Stadt fatal an die Berliner Debatte ums „Planwerk Innenstadt“, an dessen Ignoranz gegenüber den Qualitäten des Wiederaufbaus. Es ist zu einfach zu sagen: „Der Nachkriegsstädtebau hat Tabula rasa gemacht, jetzt müssen wir zurückbauen, wo es nur geht.“
Arno Lederer Wir haben von einer städtischen Kontinuität gesprochen. Häuser symbolisieren, was wir an sozialen Werten haben, sie sind eine Umsetzung unserer Vorstellung auf die Frage, wie wir zusammen leben. Das hat nichts mit modern oder rückständig zu tun.
Kaye Geipel Schrägdach versus Flachdach: Warum durfte das Flachdach von Schelling als Zeichen einer Transformation nicht bleiben?
Arno Lederer Der Bau war untauglich geworden. Es gab dann den Wettbewerb, und wir haben uns gefragt, wie ein Haus dort aussehen könnte.
Oliver Elser Man kann die polemische Qualität des Projekts aber nicht übersehen – dazu sollten Sie auch stehen. Es ist ja nicht so, dass dieses Ergebnis das selbstverständlichste auf der Welt ist.
Arno Lederer Das ist, was wir an der Stelle richtig finden. Hätte ein anderes Büro gewonnen, hätte es vielleicht ein Haus ohne Schrägdach gebaut. Wir gehören zu einem Berufsstand, der kein richtig oder falsch kennt, sondern in dem man den Versuch unternimmt, die Dinge zu unterscheiden.
Ulrich Brinkmann Und wo man angesichts der Dogmen und Verhärtungen der letzten Jahre vielleicht öfter am Einzelfall diskutieren müsste. Sie, Ansgar Schulz, Benedikt Schulz, haben in Leipzig das Bürohaus am Ring gebaut, das „Trias“, das unverkennbar Anleihe nimmt bei der Geschäftshausarchitektur der 1920er Jahre. Von der BILD-Zeitung wurde es als „das schönste Haus Leipzigs“ gefeiert. Wie kommt es, dass die Fachöffentlichkeit mit Rückbezügen fremdelt, die Laien aber begeistert sind?
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Ansgar Schulz
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Ansgar Schulz

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Ansgar Schulz Manchmal wollen wir Architekten unbedingt das Neue, noch nie Dagewesene. Dieses Brechen mit Sehgewohnheiten imponiert zwar den Kollegen, der Laie kann damit aber wenig anfangen. Wenn man ein paar gängige Elemente einfügt, dann sind das Zeichen, die den Passanten befriedigen: ein städtischer Sockel, ein Abschluss des Hauses nach oben, an der Traufe und dem Übergang ins Dach, sei es ein gestaffeltes Dach oder ein Steildach; der Schaft zwischen Sockel und Dachabschluss, seine Gliederung, die Proportionen der Fenster, das Bündeln von Fenstern, und wenn ich ein Eckgrundstück habe, ist es noch die Formulierung der Ecke, die Bauplastik des Gebäudes.
Kaye Geipel Es ist ja überaus sinnvoll, dass sich die Häuser im Erdgeschoss auf den gewachsenen Grundriss der Stadt beziehen. Wir kennen die Bauten von Moretti in Mailand, wir haben auf der Biennale in Venedig die phantastische Ausstellung von Cino Zucchi, der dort nachweist, dass im Italien der Nachkriegszeit neue Gebäude zwar den gegebenen städtischen Sockel verbindlich einhalten, darüber aber große Freiheit bestand – das wäre ein Ansatz, den ich mir auch in deutschen Städten wünschte.
Oliver Elser Die kulturellen Leitbauten in Deutschland seit 1980 sprechen genau von dem, worüber wir hier diskutieren: den Kontext aufnehmen, die Stadt weiterbauen. Trotzdem gibt es in der professionellen Szene bei dem Thema immer noch so eine latente Gereiztheit. Woran, glauben Sie, liegt das, und wie gehen Sie damit um? Gerade mit Blick auf das TriasGebäude, das schon etwas anderes ist als das, wofür Ihr Name bislang stand – wie macht man das, dieses Umschalten?
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Benedikt Schulz
Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

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Benedikt Schulz

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Benedikt Schulz Ich habe ein Problem mit diesem ganzen Dogmatischen. Wir bewerten die Dinge im Einzelfall. Beim TriasHochhaus ging es darum, einen Baublock zu schließen, der zu neunzig Prozent mit dem Stadthaus von Hugo Licht bebaut ist. Dann gab es in den zwanziger Jahren den Vorschlag von Hubert Ritter, einen Hochhauskranz um Leipzig zu bauen, mit einem Hochhaus auch an dieser Stelle. So war es für uns naheliegend, diese Idee aufzugreifen.
Arno Lederer Das hat nichts damit zu tun, sich zu verbiegen. Es geht um die Frage, ob wir uns als Architekten allein wahrnehmen, wie ein Schau spieler, der sich als Selbstdarsteller sieht, oder spielen wir gemeinsam ein Stück? Wenn man es als etwas Gemeinsames sieht, dann ist zuerst die Stadt da, und wir dürfen an bestimmten Stellen mitbauen. Das hat nichts mit Rückschau zu tun, sondern mit der Auseinandersetzung mit der Aufgabe. Ich frage mich, was die Stadt von mir an dieser Stelle erwartet: Stadt als ein über Jahrhunderte hinweg gebautes Beispiel einer Gesellschaft.
Kaye Geipel Die Öffentlichkeit, oder die BILD-Zeitung, goutiert ja einen Populär oder Persiflage-Klassizismus à la Patzschke und Bonanni, weil er Kontinuität verspricht. Die Werbeprospekte des gehobenen luxuriösen Wohnungsbau in der Stadt schmeicheln dieser Wohlfühlatmosphäre mit historisierenden Tapeten, die dann auch umgesetzt werden, wie man in der Nachbarschaft der Bauwelt-Redaktion an den Neubauten gut sehen kann. Im Erdgeschoss grenzen sich diese Bauten mit schmiedeeisernen Zäunen dann aber ab. Schließen wir mit der Forderung nach dem „Benehmen“ von Architektur und von Elementen, die allgemein verständlich sein sollen, nicht eher etwas zu, unterbinden wir nicht etwas, anstatt etwas zu öffnen, das wir unbedingt brauchen?
Arno Lederer Das könnte sein, aber niemand von uns kann das mit letzter Gewissheit beantworten. Architektur ist nichts anderes als ein Abbild unserer Vorstellung davon, wie sich das Leben gestalten kann. Und da wir uns in unseren Vorstellungen unterscheiden, erscheinen die Dinge unterschiedlich.
Ansgar Schulz Manchmal wird das auch von der Architekturkritik reingeschmissen. Wir haben eben darüber geredet: „Da ist ja ein Satteldach drauf!“, und zack!, schon ist man in einer Schublade und sitzt dann hier und muss über gangbaren Konservativismus reden. Wenn ich mir das nächste Haus baue, da baue ich mir ein Satteldach drauf, da stecke ich mein ganzes Archiv rein, und außerdem habe ich weniger Probleme, das Wasser vom Haus wegzuhalten. Ich sehe das als Entwerfer viel pragmatischer als Sie als Kritiker, wenn so ein Zeichen kommt. „Boah, sehe ich da einen Rundbogen, oder ein Satteldach? Was sind das denn für welche?“ Bei uns ist es so: Wir fragen uns: „Warum ist da ein Satteldach drauf, braucht der vielleicht viel Stauraum, warum ist da unten ein Bogen, sind die Geschäfte vielleicht über zwei Etagen erschlossen, oder ist das ein Café, in dem es oben noch eine Galerie gibt, wo man rausgucken kann?“ So hinterfrage ich solche Elemente – nach ihrem Sinn und nicht nach dem Zitat. Die Architekturkritik müsste mal überprüfen, ob sie nicht gar zu schnell Schubladen auf zieht und No-Gos und Don‘ts formuliert.
Oliver Elser Und die schlimmste Schublade ist das „Nicht-Besprechen“. Wenn ein Bauwerk erst gar nicht vorkommt.
Arno Lederer Über 95 Prozent der Gebäude reden wir nicht. Wenn man sich über Architektur aufregt, dann merkt man einen Gestaltungswunsch dahinter. Das Dach ist zunächst eine vernünftige Konstruktion. Über die Frage, ob das flache oder das steile Dach richtig ist, sind wir, glaube ich, hinweg.
Kaye Geipel Oliver Elser, fehlt Ihnen als Kurator der Postmoderne-Ausstellung, die gerade am DAM in Frankfurt läuft, in dieser Diskussion nicht die Anbindung an die achtziger Jahre? Das, worüber wir hier sprechen, hat ja eine Vorgeschichte – von Rossi über Kollhoff bis hinzu diesen Populärklassizisten im gehobenen Wohnungsbau. An welchen Stellen in dieser Entwicklung würden Sie den Finger heben und sagen: Obacht – Sackgasse?
Oliver Elser Die grobe Linie ist tatsächlich eine Kontinuität der Wiederentdeckung von städtischer Architektur in den siebziger Jahren, über die Vorbereitung der IBA in Berlin bis hin zu Hans Stimmann. In den achtziger Jahren gab es Experimente, die etwas Skrupulöses hatten: Man konnte nicht einfach eine Steinfassade bauen, man musste bei Otto Wagner gucken und zeigen, dass die nur angeschraubt ist; man musste an jeder Ecke zeigen, dass sie nur ganz dünn ist, damit ja niemand kommt und sagt: „Ihr tut so, als wäre das ein massiver Steinbau.“ Viele dieser Bauten hatten eine große diskursive Qualität, weil da tatsächlich ein Fass aufging und vieles wieder möglich war. Die Architekten dachten wieder über handwerkliche Details nach, über die Konstruktion, über die klassische Erscheinung eines Gebäudes, wie sich damit spielen lässt. Dieses Spielerische ist verloren gegangen. Ursprünglich hatten viele postmoderne Ideen auch einen Schlag ins Populäre, der nicht mit der Schwere der Tradition kam, sondern eher ein Kokettieren mit dem Banalen war, mit Alltagsarchitektur, mit Pop, mit Schuppen. Wenn wir heute darüber nachdenken, was die Leute gut finden, steht das nicht am Ende – das stand mal am Anfang.
Benedikt Schulz Aber wie führt das zum Populärklassizismus? Und wieso bauen Patzschke & Co. diese Häuser am laufenden Meter?
Oliver Elser Das wäre die letzte Phase. Man muss Hans Kollhoff zurechnen, dass er in den neunziger Jahren baukonstruktiv neu erfunden hat, wie man mit heutigen Techniken umgehen kann – wie kann man eigentlich eine Steinfassade bauen, wenn man sie nicht in ihrer Gemachtheit zeigen, sondern sie homogen haben will? Danach kokettierten viele in seinem Umfeld mit einem sehr wörtlichen Klassizismus, und daran schließen diese Epigonen an.
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Kaye Geipel
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Kaye Geipel

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Kaye Geipel Warum sind die so erfolgreich?
Oliver Elser Vielleicht machen wir es uns zu einfach, aber für ein neukonservatives Bürgertum, bei dem Verlustängste eine Rolle spielen – Stichwort: Spiegel der Gesellschaft –, ist das eine Option auf dem Wohnungsmarkt.
Benedikt Schulz Der innerstädtische Wohnungsbau, wie er jetzt gerade stattfindet, ist ja nur möglich, weil überhaupt jemand wieder eine Wohnung im Zentrum haben will, das gab es ja zwischenzeitlich gar nicht. Dadurch konnte die Frage neu beantwortet werden, weil nirgends angeknüpft werden musste. Das nimmt eine Stellvertreterrolle ein – die Säule gibt mir Sicherheit. Die Formensprache suggeriert den Menschen eine gewisse Solidität; dass das Haus, in das sie heute ihr Geld investieren, mindestens hundert Jahre steht, obwohl das alles nur aufgeklebtes Pappmaché ist.
Oliver Elser Ich hätte noch eine These: Dieser Wohnungsbau wird deshalb so gebaut, weil sich ein viel zu kleines Segment der Architekten darum gekümmert und ihn dieser konservativen Nische überlassen hat. Auch jetzt lächelt man eher drüber, als dass man selbst versuchte, gangbare Alternativen zu entwickeln, um einem zweifellos bestehenden Bedürfnis zu genügen.
Arno Lederer Gab es das nicht immer, dass Dinge, die seriös und gut durchdacht waren, die sich weiter entwickeln, plötzlich vermarktet werden und dann mit der ursprünglichen Absicht gar nichts mehr zu tun haben? Stilbildend sind ja noch ganz andere Sachen, McDonalds zum Beispiel oder IKEA, in der Werbung sind die sechziger Jahre plötzlich wieder präsent. Also, es gibt beide Phänomene – die Frage der Vermarktung von Formen und den Populismus, der dahinter steht.
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Ulrich Brinkmann
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Ulrich Brinkmann

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Ulrich Brinkmann Sie haben alle drei in der Lehre mit Studenten zu tun, die von solchen Einflüssen geprägt an die Universität kommen. Ansgar und Benedikt Schulz, Sie lehren in Dortmund zusammen mit Paul Kahlfeldt und Christoph Mäckler. Wie reagieren die Studenten auf die historische Grundierung des Entwerfens?
Benedikt Schulz Wir haben den Vorteil, dass wir ein relativ kleines Kollegium sind, dadurch bekommen die Studenten den Austausch zwischen den Professoren mit. Wir diskutieren sehr offen. Wir akzeptieren, dass der eine diese Häuser baut, der andere jene. Für die Studenten ist es gut, die extreme Bandbreite zu sehen und zu erleben, dass nicht einer für sich beanspruchen kann, allein Recht zu haben.
Kaye Geipel Klingt nach totaler Idylle ...
Benedikt Schulz Das ist natürlich eine Entwicklung. Der Lehrstuhl war vertretungsweise zu besetzen, und die Wahl fiel wohl eher zufällig auf uns. Und dann sind wir über die letzten Jahre in Dialog getreten.
Kaye Geipel Gibt es nicht auch Konfliktlinien, was den Umgang mit der Stadt und der Architektur betrifft?
Benedikt Schulz Es gibt sie, auf mehreren Ebenen: Konflikte um das Didaktische, Konflikte um die Frage, wie man mit der Stadt umgeht und schließlich auch Konflikte um die Architektur.
Ansgar Schulz Es gibt den Konflikt, dass wir mehr in die Lehre reinbringen wollen; dass ein Haus auch mal vier Seiten haben kann. Womit wir wieder bei der Kontext-Diskussion sind. Das hat letztendlich mit Raum zu tun, mit der Reduktion des Entwurfs auf Fassade und Grundriss oder auf Raum-Setzung. Wenn das Gebäude von der Setzung her determiniert wird, dann ist es auch freier im Bezug zu anderen Häusern, die nebenan stehen, und dann wird die Architektur auch etwas anders.
Arno Lederer Aber gibt es denn beides? Ich sagte schon, es sind gesellschaftliche Modelle. Für mich hat ein Haus immer vier Fassaden, nur mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben. In der Europäischen Stadt sind öffentlicher und privater Raum getrennt. Wollen wir, dass die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit aufgehoben werden und somit alles öffentlich ist? Das ist eine aktuelle Diskussion, auch in ganz anderen Bereichen.
Kaye Geipel Ich sehe eher die Schwierigkeit, dass früher selbstverständlich öffentliche Teile der Stadt gerade in den neuen, privat erstellten Quartieren zunehmend kontrolliert werden und verloren gehen – gerade auch bei den Bauten des „Populärklassizismus“, von denen wir gesprochen haben. Dieser Verlust an Übergangsräumen lässt sich im Detail gut nachweisen. Das Plädoyer für mehr Privatheit, das ich beim Internet unterstütze, halte ich in der Stadt für problematisch.
Arno Lederer Ich meine etwas anderes. Mir geht es um die Frage des Solitärs und des Nicht-Solitärs sowie um Transparenz oder Nicht-Transparenz. Das hat mit den Häusern des Neu-Klassizismus überhaupt nichts zu tun. Uns interessiert eine alte Frage; wenn man den Papst im Fenster stehen sieht, dann sieht man nicht, ob er eine Hose anhat oder nicht. Das ist toll, weil hier zwei Gegensätze zusammenkommen, die Öffentlichkeit und die Privatheit, die unser Leben bestimmen und einen Wert darstellen.
Kaye Geipel Was wäre denn zu sehen, wenn der Papst in einem Ihrer Gebäude auf dem Balkon erschiene?
Benedikt Schulz Darüber denke ich schon länger nach, wir machen ja keinen Wohnungsbau, sondern nur öffentliche Gebäude, da kommt die Frage des Privaten eigentlich nicht vor. Erstmalig ist das beim Trias passiert, dass da hinter der Tür des Büros plötzlich Schluss war. Das hat auch Auswirkungen auf die Architektur gehabt.
Ansgar Schulz Weil wir eben von der Lehre sprachen und davon, dass 95 Prozent der Häuser gar nicht besprochen werden – mir stellt sich die Frage: „Wie bilde ich Architekten aus? Bilde ich die alle so aus, dass sie die fünf Prozent bauen wollen, die besprochen werden, oder bilde ich die so aus, dass die mit den anderen 95 Prozent keinen Schaden anrichten?“ Christoph Mäckler sagt: „Ich lehre Regeln, die nichts mit Formensprache zu tun haben, an denen ihr euch entlanghangeln könnt, und dann geht erst mal nichts schief.“ Das hilft vielleicht Leuten, die keine großen Entwerfer sind. Aber wenn man das ein bisschen reflektiert, dann merkt man, und hier sind wir jetzt vielleicht beim „gangbaren Konservatismus“, dass da was Wahres dran sein könnte. Zumindest dann, wenn man sich nicht sicher ist.
Kaye Geipel Arno Lederer, Sie haben erst in Karlsruhe unterrichtet, dann in Stuttgart. Die Frage: „Bilde ich für die fünf oder für die 95 Prozent aus?“ – stellte die sich Ihnen auch?
Arno Lederer Wir haben sehr lange gesagt: „Mach erst mal, was du willst, und dann gucken wir mal, wie man’s baut.“ Das ist der umgedrehte Weg, der aber schwierig sein kann. Die Frage des Daches, die wir vorhin diskutiert haben, ist ein Beispiel dafür, wie man Studenten erklären kann, dass es Regeln gibt, von denen ich sage: „Es ist vernünftig, es so zu machen.“ Wenn ich das Dach nicht als eine Form erkläre, sondern als ein Prinzip, mit dem ich erreichen kann, dass kein Wasser ins Haus dringt, kann man Regeln aufstellen, die jeder befolgen kann. Und dabei kommt meist etwas Ordentliches raus.
Kaye Geipel Das sauber konstruierte Dach ist aber nur ein Teil der Geschichte, auf die Sie sich beziehen, wenn Sie unterrichten. Was sind denn Kernelemente, die Sie weitergeben?
Arno Lederer Kernelemente sind erstens die Frage nach der Fügung des Materials und der sinnvollen Verwendung und Zusammensetzung von bestimmten Dingen und zweitens die nach der Typologie. Was ich in der Lehre für falsch halte, ist, zu sagen: „Jetzt gehen wir nur nach den Regeln“, oder „Du bist sowieso nur Durchschnitt“. Wer das hört, gibt sofort auf, obwohl vielleicht gerade in ihm eine besondere Begabung steckt. Das wissen wir am Anfang nicht. Deshalb muss man sich an hohen Zielen messen: Wir versuchen, aus jedem das Beste zu machen, und dann stellt sich im Laufe der Zeit schon heraus, wer das Ziel erreichen kann. Ich versuche, den Studenten zu nehmen, wie er ist; er will Architektur studieren, und er will das Beste erreichen. Toll, das machen wir zusammen. Und wenn’s dann nicht klappt, ist es auch nicht schlimm – aber wir probieren es.
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Vor dieser Kulisse fiel das Lächeln für den Fotografen nicht ganz leicht: Berliner Persiflage-Klassizismus von Patzschke und Bonanni
Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

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Vor dieser Kulisse fiel das Lächeln für den Fotografen nicht ganz leicht: Berliner Persiflage-Klassizismus von Patzschke und Bonanni

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Arno Lederer
Jahrgang 1947, seit 1979 Architekt in Stuttgart, seit 1985 mit Jórunn Ragnarsdóttir, seit 1992 auch mit Marc Oei; von 1990 bis 2005 Professor für Baukonstruktion und Entwerfen I und Gebäudelehre an der Uni Karlsruhe, seit 2005 Leiter des Instituts für öffentliche Bauten an der Uni Stuttgart
Ansgar und Benedikt Schulz
Jahrgang 1966 bzw. 1968, seit 1992 gemeinsam selbstständig in Leipzig; seit 2010 gemeinsame Vertretungsprofessur für Baukonstruktion an der TU Dortmund
Oliver Elser
Jahrgang 1972, seit 2007 Kurator am Deutschen Architekturmuseum, zuvor freier Architekturkritiker, u.a. für die Frankfurter Allgemeine Zeitung; 2012/13 Gastprofessor für Szenografie an der Fachhochschule Mainz
Fakten
Architekten Lederer, Arno, Stuttgart; Schulz, Ansgar, Leipzig; Schulz, Benedikt, Leipzig
aus Bauwelt 37.2014
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