Umschichten und 72 Hour Urban Action
Debüt Nr.13
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Umschichten und 72 Hour Urban Action
Debüt Nr.13
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Im israelischen Bat Yam haben Peter Weigand und Lukasz Lendzinski getestet, wie man in drei Tagen und für 2500 Dollar Stadt verändern kann.
In Bezug auf Größe und Lage verhält sich Bat Yam zu Tel Aviv wie Esslingen zu Stuttgart oder Potsdam zu Berlin. Vergangenen Herbst fand dort im Rahmen der „Biennale of Landscape Urbanism“ der Wettbewerb „72 Hour Urban Action“ statt, ein Format, das irgendwo zwischen Festival, Triathlon und Stegreifentwurf anzusiedeln ist und als Lockerungsübung für langwierige Stadtplanungsprozesse gesehen werden kann. Für Peter Weigand und Lukasz Lendzinski vom Büro Umschichten aus Stuttgart klang das nach dem, was sie am liebsten machen: Aktionen im öffentlichen Raum. Sie bewarben sich mit ihrem Projekt PopUp (Bauwelt 1–2.2009), bei dem sie auf dem Stuttgarter Bahngelände im Sommer 2008 für einen Monat Konzerte, Gespräche und gemeinsames Poolplanschen veranstaltet hatten, und konnten we- nig später mit Freunden und Kollegen nach Israel fahren. Dort trafen sie auf 100 andere Architekten, Künstler, Handwerker, Designer und Philosophen aus aller Welt, ein zur Herberge umfunktioniertes Schulhaus und aufgeschlossene Einwohner. Die Organisatoren hatten zehn Teams mit jeweils zehn Leuten eingeladen, entlang einer Straße zehn Orte bestimmt und verschiedene Aufgaben gestellt, die den öffentlichen Raum verbessern sollten: eine Eingangssituation gestalten, einen Hinterhof bespielen, Aufenthaltsqualität vor einem Haus schaffen. Jedes Team erhielt 2500 Dollar für Material und exakt 72 Stunden Zeit. Der Einsatz begann um Mitternacht, mit einem Pistolenschuss vom Bürgermeister.
Wie sind Sie ausgerechnet zu einem Projekt in Israel gekommen?
Lukasz Lendzinski | Wir haben den Trailer für 72 Hour Urban Action im Netz gesehn. Der lockte mit: Fun Fame Fortune. Und es gab einen Schlüsselsatz: „Man sagt, Veränderungen im öffentlichen Raum seien langwierig und kompliziert.“ Da fühlten wir uns angesprochen.
...um das Gegenteil zu beweisen?
Peter Weigand | Wir erleben das ja gerade in Stuttgart. Stuttgart 21 heißt 15 Jahre Baustelle, ein riesiger Bauzaun und täglich hunderte LKWs, die über eine eigens gebaute Trasse Erde wegschaffen. Keiner macht sich Gedanken darüber, was in der Zwischenzeit passiert.
Im Sommer 2008 haben Sie auf einer Brache des Stuttgart-21-Geländes eine Plattform aufgebaut, die für allerlei Veranstaltungen genutzt wurde. Auch ein Schwimmbad gab es. Für einen Monat.
PW | Die PopUp-Platte war so eine Art Testfeld für gemeinsame Stadtgestaltung. Nachbarn haben den Wasseranschluss gestellt, Manager an einem Wochenende die Struktur aufgebaut, Passanten und Kinder im Container-Swimmingpool gebadet. Bands haben gespielt.
LL | Das war ein Superprojekt, weil wir uns da eigentlich völlig übernommen haben. Aber es ist ein öffentlicher Raum entstanden, der zum Treffpunkt wurde. Wir haben viel gelernt.
Was zum Beispiel?
LL | Dass man loslassen muss. Wir waren Handwerker, Kuratoren, Organisatoren und Projektentwickler in einem, haben sogar für alle gekocht und wollten dabei auch noch die Plattform gestalten. Architektenkontrolle ist nicht alles.
Inwiefern war die Aktion in Bat Yam „Fun Fame Fortune“?
LL | Alle Versprechungen haben sich erfüllt. Architektur wurde auf eine Festivalebene gehoben. Wir waren mit Leuten zusammen, die gleiche Themen bearbeiten, über die gleichen Probleme nachdenken, die auf schnelle Architektur Lust haben. Es gab ein Gemeinschaftsgefühl. Wir wohnten alle in einer Grundschule deren Schüler Ferien hatten, in jedem Klassenraum ein Team. Im Hof war die Werkstatt. Das Tolle war, dass die Aufgaben für die Teams bis zuletzt streng geheim waren. So blieb es spannend. Um Mitternacht mussten sich alle versammeln, wir tranken Sekt, und dann gab der Bürgermeister den Startschuss. Plötzlich rannten alle los zu ihrem Einsatzort.
Sie sollten sich um den Außenraum eines Hochhauses kümmern.
PW | Das Hochhaus ist ein ehemaliges Bürogebäude, das zum Altenheim umfunktioniert wurde. 400 ältere Leute wohnen da. Sie kommen morgens mit ihren Plastikstühlen vors Haus und sind mittags wieder weg, weil es keinen Schatten gibt. Da ist überhaupt keine Aufenthaltsqualität vor dem Haus.
Wieviel Aufenthaltsqualität kann man für 2500 Dollar herstellen?
LL | Wir haben erst einmal 12 Stunden lang diskutiert. Dann kam Kerem Halbrecht, der Organisator, und sagte: „Jetzt macht mal ,urban action‘ und nicht ,urban planning‘.“ Letztlich sind fünf Interventionen entstanden. Wir haben zum Beispiel Markisenstreifen gespannt, die einzelnen Bänke zu einer langen „Couch“ ergänzt, einen Kronleuchter aus alten Plastikflaschen aufgestellt und die Park- und Feuerwehr-Markierungen auf der Straße zum Muster ergänzt.
Ein Kronleuchter aus Plastikflaschen? Fanden die Bewohner das gut?
LL | In den drei Tagen sind vor allem Absichtserklärungen entstanden, 1:1-Ideenskizzen. Unsere Markise auf der Südseite des Hochhauses zum Beispiel war eher eine bildliche Botschaft: Ihr braucht da Schatten! Der Kronleuchter sollte den Wunsch nach einer Art Skulptur ausdrücken. Die Frage ist doch: Wie kommuniziere ich eine Idee so, dass sie greifbar wird?
Architekten zeichnen meist. Für Häuslebauer fertigen sie Modelle, für Investoren aufwendige Renderings. Mit Ihren gebauten 3D-Skizzen entwickeln Sie ja nicht zuletzt auch die Planersprache weiter.
PW | 3D-Skizzen, ein Superwort. Wir glauben, dass man solche temporären Aktionen wie 72 Hour Urban Action als ein ergänzendes Werkzeug zur Stadtplanung einsetzen kann.
Sie wollen 72 Hour Urban Action im kommenden Jahr nach Stuttgart holen. Was erhoffen Sie sich davon?
PW | Es geht darum, Wege zu finden, Stuttgart 21 zusammen mit Bürgern zu entwickeln. Bisher passiert alles auf einer abstrakten Planungsebene. Das Format bietet die Chance, erlebbar zu machen, was die Leute, was die Planer vorhaben. Wir wollen 72 Hour Urban Action als ein mögliches ergänzendes Werkzeug zur Stadtplanung vorstellen.
Wird der Stuttgarter Bürgermeister den Startschuss geben?
PW | Die Demonstrationen haben gezeigt, dass die Leute mitreden wollen. Die Stadtverwaltung ist gerade sehr offen, ein guter Zeitpunkt, so etwas zu versuchen und damit Gehör zu finden – auch beim Bürgermeister.
Warum machen Sie immer wieder temporäre Projekte?
LL | Das Temporäre hat sehr großes Potenzial. Man kann Ideen ausprobieren, Leute damit konfrontieren und die Reaktionen abwarten. Temporäre Projekte werden häufig unterbewertet, weil Architektur immer noch als Ewigkeitsversprechen gilt.
PW | Wir wollen uns nicht anmaßen, immer gleich zu wissen, was genau richtig ist. Aber was ist eigentlich temporär? Wenn es wieder verschwindet? Wenn man eine Multifunktionalität, eine Nachnutzung mitdenkt? Diese ständige Transformation ist doch, was Stadt ausmacht.
Sehen Sie sich als Künstler oder Architekten?
PW | Immer kommt diese Frage. Wir halten es da wie ein Kollege von Raumlabor Berlin, der immer sagt: „Wenn das Hochbauamt fragt, bin ich Diplom-Ingenieur. Im Kunstkontext bin ich Künstler.“ Wir benutzen die Bezeichnung tatsächlich eher strategisch.
Jetzt fragt die Bauwelt.
PW | Wir sind auch Projektentwickler.
LL | In der Gesellschaft wird Architektur als etwas Statisches gesehen. Wir wollen weg von dieser Sichtweise, die auf einen Endzustand fixiert ist.
Wie sind Sie ausgerechnet zu einem Projekt in Israel gekommen?
Lukasz Lendzinski | Wir haben den Trailer für 72 Hour Urban Action im Netz gesehn. Der lockte mit: Fun Fame Fortune. Und es gab einen Schlüsselsatz: „Man sagt, Veränderungen im öffentlichen Raum seien langwierig und kompliziert.“ Da fühlten wir uns angesprochen.
...um das Gegenteil zu beweisen?
Peter Weigand | Wir erleben das ja gerade in Stuttgart. Stuttgart 21 heißt 15 Jahre Baustelle, ein riesiger Bauzaun und täglich hunderte LKWs, die über eine eigens gebaute Trasse Erde wegschaffen. Keiner macht sich Gedanken darüber, was in der Zwischenzeit passiert.
Im Sommer 2008 haben Sie auf einer Brache des Stuttgart-21-Geländes eine Plattform aufgebaut, die für allerlei Veranstaltungen genutzt wurde. Auch ein Schwimmbad gab es. Für einen Monat.
PW | Die PopUp-Platte war so eine Art Testfeld für gemeinsame Stadtgestaltung. Nachbarn haben den Wasseranschluss gestellt, Manager an einem Wochenende die Struktur aufgebaut, Passanten und Kinder im Container-Swimmingpool gebadet. Bands haben gespielt.
LL | Das war ein Superprojekt, weil wir uns da eigentlich völlig übernommen haben. Aber es ist ein öffentlicher Raum entstanden, der zum Treffpunkt wurde. Wir haben viel gelernt.
Was zum Beispiel?
LL | Dass man loslassen muss. Wir waren Handwerker, Kuratoren, Organisatoren und Projektentwickler in einem, haben sogar für alle gekocht und wollten dabei auch noch die Plattform gestalten. Architektenkontrolle ist nicht alles.
Inwiefern war die Aktion in Bat Yam „Fun Fame Fortune“?
LL | Alle Versprechungen haben sich erfüllt. Architektur wurde auf eine Festivalebene gehoben. Wir waren mit Leuten zusammen, die gleiche Themen bearbeiten, über die gleichen Probleme nachdenken, die auf schnelle Architektur Lust haben. Es gab ein Gemeinschaftsgefühl. Wir wohnten alle in einer Grundschule deren Schüler Ferien hatten, in jedem Klassenraum ein Team. Im Hof war die Werkstatt. Das Tolle war, dass die Aufgaben für die Teams bis zuletzt streng geheim waren. So blieb es spannend. Um Mitternacht mussten sich alle versammeln, wir tranken Sekt, und dann gab der Bürgermeister den Startschuss. Plötzlich rannten alle los zu ihrem Einsatzort.
Sie sollten sich um den Außenraum eines Hochhauses kümmern.
PW | Das Hochhaus ist ein ehemaliges Bürogebäude, das zum Altenheim umfunktioniert wurde. 400 ältere Leute wohnen da. Sie kommen morgens mit ihren Plastikstühlen vors Haus und sind mittags wieder weg, weil es keinen Schatten gibt. Da ist überhaupt keine Aufenthaltsqualität vor dem Haus.
Wieviel Aufenthaltsqualität kann man für 2500 Dollar herstellen?
LL | Wir haben erst einmal 12 Stunden lang diskutiert. Dann kam Kerem Halbrecht, der Organisator, und sagte: „Jetzt macht mal ,urban action‘ und nicht ,urban planning‘.“ Letztlich sind fünf Interventionen entstanden. Wir haben zum Beispiel Markisenstreifen gespannt, die einzelnen Bänke zu einer langen „Couch“ ergänzt, einen Kronleuchter aus alten Plastikflaschen aufgestellt und die Park- und Feuerwehr-Markierungen auf der Straße zum Muster ergänzt.
Ein Kronleuchter aus Plastikflaschen? Fanden die Bewohner das gut?
LL | In den drei Tagen sind vor allem Absichtserklärungen entstanden, 1:1-Ideenskizzen. Unsere Markise auf der Südseite des Hochhauses zum Beispiel war eher eine bildliche Botschaft: Ihr braucht da Schatten! Der Kronleuchter sollte den Wunsch nach einer Art Skulptur ausdrücken. Die Frage ist doch: Wie kommuniziere ich eine Idee so, dass sie greifbar wird?
Architekten zeichnen meist. Für Häuslebauer fertigen sie Modelle, für Investoren aufwendige Renderings. Mit Ihren gebauten 3D-Skizzen entwickeln Sie ja nicht zuletzt auch die Planersprache weiter.
PW | 3D-Skizzen, ein Superwort. Wir glauben, dass man solche temporären Aktionen wie 72 Hour Urban Action als ein ergänzendes Werkzeug zur Stadtplanung einsetzen kann.
Sie wollen 72 Hour Urban Action im kommenden Jahr nach Stuttgart holen. Was erhoffen Sie sich davon?
PW | Es geht darum, Wege zu finden, Stuttgart 21 zusammen mit Bürgern zu entwickeln. Bisher passiert alles auf einer abstrakten Planungsebene. Das Format bietet die Chance, erlebbar zu machen, was die Leute, was die Planer vorhaben. Wir wollen 72 Hour Urban Action als ein mögliches ergänzendes Werkzeug zur Stadtplanung vorstellen.
Wird der Stuttgarter Bürgermeister den Startschuss geben?
PW | Die Demonstrationen haben gezeigt, dass die Leute mitreden wollen. Die Stadtverwaltung ist gerade sehr offen, ein guter Zeitpunkt, so etwas zu versuchen und damit Gehör zu finden – auch beim Bürgermeister.
Warum machen Sie immer wieder temporäre Projekte?
LL | Das Temporäre hat sehr großes Potenzial. Man kann Ideen ausprobieren, Leute damit konfrontieren und die Reaktionen abwarten. Temporäre Projekte werden häufig unterbewertet, weil Architektur immer noch als Ewigkeitsversprechen gilt.
PW | Wir wollen uns nicht anmaßen, immer gleich zu wissen, was genau richtig ist. Aber was ist eigentlich temporär? Wenn es wieder verschwindet? Wenn man eine Multifunktionalität, eine Nachnutzung mitdenkt? Diese ständige Transformation ist doch, was Stadt ausmacht.
Sehen Sie sich als Künstler oder Architekten?
PW | Immer kommt diese Frage. Wir halten es da wie ein Kollege von Raumlabor Berlin, der immer sagt: „Wenn das Hochbauamt fragt, bin ich Diplom-Ingenieur. Im Kunstkontext bin ich Künstler.“ Wir benutzen die Bezeichnung tatsächlich eher strategisch.
Jetzt fragt die Bauwelt.
PW | Wir sind auch Projektentwickler.
LL | In der Gesellschaft wird Architektur als etwas Statisches gesehen. Wir wollen weg von dieser Sichtweise, die auf einen Endzustand fixiert ist.
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